Zusammenhang COVID-19 und RAAS-Hemmer: „Rein spekulativ“

25.05.2020 | Coronavirus, Medizin


Einen Zusammenhang zwischen einer Behandlung mit ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptorblockern mit einer SARS-CoV-2-Infektion bezeichnet der Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft Univ. Prof. Peter Siostrzonek als reine Spekulation. Das Absetzen einer entsprechenden Medikation sei unbedingt zu vermeiden und auch ein Umstieg auf andere Präparate nicht erforderlich.

Die Beobachtung, dass Patienten mit COVID-19 Infektion häufig an einer Herzerkrankung, Hypertonie oder Diabetes litten und diese Faktoren auch bei an COVID-19 Verstorbenen überdurchschnittlich häufig anzutreffen waren, bildete den Ausgangspunkt für die Überlegungen. „Die pathophysiologische Grundlage war die Beobachtung, dass SARS-CoV-2 am ACE2-Rezeptor an den Lungenepithelien andockt und über diesen Weg in die Lungenepithelien eindringt“, erläutert Univ. Prof. Peter Siostrzonek von der Abteilung für Innere Medizin III am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz. Aus Tierexperimenten ist bekannt, dass ACE2 unter einer Therapie mit ACEI oder ARB bei Patienten mit Diabetes mellitus vermehrt in verschiedenen Organen wie Herz, Lunge, Niere und Blutgefäßen exprimiert werde. Eine erhöhte ACE2-Konzentration im Harn ist darüber hinaus bei Hypertonikern unter einer Therapie mit ARB zu beobachten. Bei erster Betrachtung könne dies „durchaus der Hypothese rechtgeben, dass ein direkter Zusammenhang zwischen dem Vorliegen einer mit ACEI oder ARB behandelten Hypertonie und einer COVID-19 Infektion vorliegen könnte“, berichtet Siostrzonek.

Das Angiotensin Converting Enzym (ACE) führt zur Umwandlung von Angiotensin I in Angiotensin II; dieses wiederum wirkt über den Angiotensin II-Rezeptor vasokonstriktiv, prooxidativ und proinflammatorisch. ACE2 fungiert als Gegenspieler von ACE, spaltet Angiotensin I und II und setzt dabei verschiedene vasodilatatorisch, antioxidativ und antiinflammatorisch wirksame Angiotensin-Fragmente frei. Siostrzonek dazu: „Folgt man dieser Hypothese, würde eine erhöhte ACE2-Aktivität sogar günstige Effekte hinsichtlich des Auftretens einer akuten Inflammation der Lunge aufweisen. „Über die Gabe von ACEI oder ARB I zur Vermeidung des akuten Lungenversagens wird schon seit Längerem diskutiert“, berichtet Siostrzonek. Univ. Prof. Robert Zweiker von der Klinischen Abteilung für Kardiologie an der Medizinischen Universität Graz bestätigt: „Durch die Hemmung des ACE2-Rezeptors kommt es nicht zur Vermehrung von diesen Andockstellen für SARS-CoV-2.“

Eine Metaanalyse von 37 Studien habe ein geringeres Risiko für das Auftreten einer Pneumonie und eines Lungenversagens unter ACEI/ARB-Therapie ergeben und auch kleine kontrollierte Studien scheinen diesem Gedanken rechtzugeben, berichtet Siostrzonek. „Insgesamt spricht also einiges dafür, dass eine Therapie mit ACEI/ARB bei Patienten mit Lungenbefall den Verlauf einer COVID-19 Infektion sogar abschwächen könnten“, resümiert der Experte.

Mehrere aktuell publizierte klinische Studien hätten nun eindeutig bestätigt, dass ältere Patienten unabhängig von der Einnahme von ACEI/ARB ein erhöhtes Risiko aufweisen, an COVID-19 zu sterben. Siostrzonek erklärt dies wie folgt: „Einerseits hängt dies mit den zunehmenden Komorbiditäten im Alter zusammen, die die Kompensationsmöglichkeiten bei einer schweren pulmonalen Infektion mit Hypoxämie einschränken“. Andererseits nimmt die ACE2-Expression in der Lunge mit zunehmendem Alter ab, was mit einem Verbrauch des ACE2-Rezeptors durch Bindung von SARS-CoV-2 und den nachgewiesenen erhöhten Angiotensin II-Spiegeln unter einer COVID-19 Infektion darstellt und „bedeuten würde, dass gerade bei alten Patienten die proinflammatorischen und prooxidativen Prozesse keiner ausreichenden Gegen regulation unterliegen“, so Siostrzonek. Darin sieht der Experte auch eine Erklärung dafür, wieso besonders ältere Patienten für den durch das Corona-Virus ausgelösten Zytokinsturm sind, der einen besonders schweren Verlauf der Erkrankung mit hoher Mortalität bewirkt.

„Häufig ist die Hypertonie mit Adipositas oder Diabetes mellitus vergesellschaftet. Dadurch kommt es mit den Komorbiditäten zu einer Inklusion von Hypertonikern in die Risiko-Population“, erklärt Zweiker. Seine Empfehlung: „Die bestehende Medikation mit ACEI oder ARB soll bei allen Patienten unbedingt beibehalten werden. Auch ein Wechsel auf andere Präparate ist nicht indiziert.“ Natürlich würden neue spezifische Daten dies noch verändern können, derzeit gehe der Trend aber eindeutig in Richtung der Beibehaltung des Schutzeffektes von ACEI und ARB sowohl bei der Behandlung der arteriellen Hypertonie als auch bei der Herzinsuffizienz. Rezent im New England Journal of Medicine publizierte Daten von fast 6.000 in New York City, USA, an Covid-19 erkrankten Patienten unterstützen diese Empfehlungen.

Therapie beibehalten

„Der postulierte Zusammenhang zwischen einer COVID-19-Infektion und einer antihypertensiven Therapie mit ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptorblockern ist daher derzeit rein spekulativ“, sagt Siostrzonek, der auch Präsident der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft ist. „Möglicherweise wirkt sich gerade das Beibehalten der Medikation auf den Infektionsverlauf günstig aus“. Wegen des Risikos, einen akuten Myokardinfarkt oder einen Insult zu erleiden ober aber auch wegen der Verschlechterung einer Herzinsuffizienz sei „das Absetzen der Medikamente unbedingt zu vermeiden“. Auch sieht er keine Veranlassung, auf andere Präparate zu wechseln. Dass eine bestehende Medikation mit ACE-Hemmern und Angiotensin-Rezeptorblockern bei allen Patienten „unbedingt“ beizubehalten ist, ist unter anderem in den Stellungnahmen der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und auch der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft festgehalten.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2020