Uro­lo­gie: Ver­mehrt Nie­ren­steine bei Kindern

25.05.2020 | Medizin


Die Tat­sa­che, dass gehäuft Nie­ren­steine bei Kin­dern dia­gnos­ti­ziert wer­den, steht laut Exper­ten u.a. mit ver­än­der­ten Ernäh­rungs­ge­wohn­hei­ten und Adi­po­si­tas in Zusam­men­hang. Im Gegen­satz zu frü­her wird heute bereits nach dem ers­ten gesi­cher­ten fie­ber­haf­ten Harn­wegs­in­fekt eine ent­spre­chende Dia­gnos­tik eingeleitet.

Wäh­rend in den ers­ten bei­den Lebens­jah­ren Harn­wegs­in­fekte vor allem bei männ­li­chen Säug­lin­gen auf­tre­ten, die orga­ni­sche Ursa­chen haben, ändert sich das spä­ter. „Ab dem zwei­ten Lebens­jahr ändert sich das Bild. Hier sind in ers­ter Linie Mäd­chen von fie­ber­haf­ten wie nicht fie­ber­haf­ten Harn­wegs­in­fek­ten betrof­fen“, berich­tet Patrick Rein, Fach­arzt für Uro­lo­gie in Dorn­birn. Tre­ten bei Kin­dern Harn­wegs­in­fekte auf, muss eine ent­spre­chende Abklä­rung früh­zei­tig in die Wege gelei­tet wer­den. „In den ers­ten zwei Lebens­jah­ren nach der Geburt sind vor allem Buben betrof­fen, die häu­fig eine Harn­röh­ren­pa­tho­lo­gie und/​oder einen ves­ikour­ete­ra­len Reflux im Hin­ter­grund haben“, erklärt Univ. Doz. Josef Oswald von der Abtei­lung für Kin­der­uro­lo­gie des Ordens­kli­ni­kums Linz Barm­her­zige Schwes­tern. Da Säug­linge ihre Beschwer­den nicht direkt äußern kön­nen, reagie­ren sie mit sehr unspe­zi­fi­schen Sym­pto­men wie einem schlech­ten All­ge­mein­be­fin­den, Fie­ber, Erbre­chen oder Bauch­weh. Hohes Fie­ber über 38°C ist ein abso­lu­tes Alarm­zei­chen. Ab dem zwei­ten Lebens­jahr, dem Beginn der Kontinenz­Entwicklung, sind vor allem Mäd­chen von Harn­wegs­in­fek­ten betrof­fen. Rein: „Eine funk­tio­nelle Ursa­che kann die Dys­ko­or­di­na­tion der Rela­xa­tion des Bla­sensphinc­ters und Kon­trak­tion des Detru­sors sein“. Laut Oswald ist es auch hier wich­tig, einen poten­ti­ell vor­han­de­nen ves­ikour­ete­ra­len Reflux zu dia­gnos­ti­zie­ren und zu behan­deln. Oswald wei­ter: „Sowohl für die Dia­gnos­tik als auch für die The­ra­pie ste­hen heute über­wie­gend mini­mal­in­va­sive Metho­den zur Ver­fü­gung, sodass nicht mehr jeder Reflux offen ope­riert wer­den muss.“

Der erste Schritt bei der Dia­gnos­tik ist die Unter­su­chung des Urins. „Bei älte­ren Kin­dern ver­sucht man, einen sau­be­ren Mit­tel­strahl­harn zu erhal­ten, bei klei­nen Kin­dern den soge­nann­ten Sackerl­harn“, erklärt Rein. Ist die­ser unauf­fäl­lig, kann man einen Harn­wegs­in­fekt aus­schlie­ßen. „Ist er aber auf­fäl­lig, muss man einen Kathe­ter­harn gewin­nen, um ein wirk­lich aus­sa­ge­kräf­ti­ges nega­ti­ves oder posi­ti­ves Ergeb­nis zu erhal­ten. Der Sackerl­harn ist näm­lich oft­mals falsch posi­tiv“, weiß Rein, der auch im Arbeits­kreis Uro­lo­gie der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Uro­lo­gie tätig ist. Mit­hilfe der Sono­gra­phie wird eva­lu­iert, ob sich eine Hydro­n­e­phrose im Bereich der Nie­ren fest­stel­len lässt, ob bereits Nar­ben sicht­bar sind, „die Bla­sen­ent­lee­rung kann eva­lu­iert wer­den und die Beur­tei­lung des Rek­tums kann Auf­schluss über eine Obs­ti­pa­tion bezie­hungs­weise Kon­sti­pa­tion geben“, so Rein. Die Labor­un­ter­su­chung (Leu­ko­zy­ten, CRP, Pro­cal­ci­to­nin) run­det die Pri­mär­dia­gnos­tik im Rah­men eines fie­ber­haf­ten Infekts ab. In wei­te­rer Folge sei bei einem fie­ber­haf­ten Harn­wegs­in­fekt die Ursa­che zu eva­lu­ie­ren; am häu­figs­ten finde man einen ves­ikour­ete­ra­len Reflux, erklärt Rein. Das Mik­ti­ons­zys­tour­eth­ro­gramm gibt dazu Auf­schluss, ob Urin von der Blase in die Niere zurück­fließt. Wird das Vor­lie­gen eines Reflu­xes bestä­tigt, soll­ten im Rah­men der Nie­ren­szin­ti­gra­fie Nie­rennar­ben aus­ge­schlos­sen werden.

Wäh­rend man frü­her zwei Harn­wegs­in­fekte als Indi­ka­tion für eine wei­tere Abklä­rung abge­war­tet hat, wird heute nach dem ers­ten gesi­cher­ten fie­ber­haf­ten Harn­wegs­in­fekt eine ent­spre­chende Dia­gnos­tik ein­ge­lei­tet. „Wer­den Harn­wegs­in­fekte nicht oder zu spät dia­gnos­ti­ziert, dro­hen dau­er­hafte Nie­ren­schä­den. Diese sind irrever­si­bel“, betont Oswald. In der Pra­xis sieht er „lei­der“ (Oswald) jeden Tag Kin­der mit irrever­si­blen Paren­chym­schä­den. Nie­rennar­ben, die im Kin­des­al­ter ent­ste­hen, blei­ben das Leben lang bestehen und kön­nen früh­zei­tig zu neph­ro­ge­nem Blut­hoch­druck, Nie­ren­in­suf­fi­zi­enz und bis zur Dia­ly­se­pflicht füh­ren. Ein ves­ikour­ete­ra­ler Reflux kann viele Jahre uner­kannt blei­ben, stumm und sym­ptom­los ver­lau­fen, jedoch in der Part­ner­schaft und wäh­rend der Schwan­ger­schaft schwerste Nie­ren­be­cken­ent­zün­dun­gen hervorrufen.

Sta­tio­näre Auf­nahme bei hoch­fie­ber­haf­ten Infekten

Bei hoch­fie­ber­haf­ten Harn­wegs­in­fek­ten und einem damit ein­her­ge­hen­den redu­zier­ten All­ge­mein­zu­stand ist bei Säug­lin­gen häu­fig eine sta­tio­näre Auf­nahme und intravenös­antibiotische The­ra­pie indi­ziert. „Sobald man die Urin­kul­tur hat und das Kind abfie­bert, kann auf ein ora­les Medi­ka­ment umge­stellt wer­den“, so Rein. Tre­ten rezi­di­vie­rende, nicht fie­ber­hafte Harn­wegs­in­fekte auf, ist auch hier eine Urin­kul­tur für die Eva­lu­ie­rung ziel­füh­rend. „Es ist auch wich­tig, bei älte­ren Kin­dern eine funk­tio­nelle Bla­sen­ent­lee­rungs­stö­rung aus­zu­schlie­ßen“, betont Rein. Diese Pro­ble­ma­tik sehe er in der Pra­xis am häu­figs­ten, wobei ein Bren­nen beim Uri­nie­ren und ein unan­ge­neh­mer Geruch des Urins von Kin­dern und Eltern meist als ein­zige Sym­ptome berich­tet werden.

Um antrai­nier­tes Fehl­ver­hal­ten bei der Bla­sen­ent­lee­rung zu erfas­sen, wird ein Miktions­ und Trink­pro­to­koll ein­ge­setzt, in dem die Kin­der über 48 Stun­den auf­zeich­nen, wann sie wie­viel trin­ken und uri­nie­ren. Die Eva­lu­ie­rung der Stuhl­ent­lee­rung wie zum Bei­spiel anhand der Bristol­Stuhlformen­Skala ist ein wei­te­rer wich­ti­ger Schritt, da 40 Pro­zent der betrof­fe­nen Kin­der auch unter Obs­ti­pa­tion leiden.

Nach der Dia­gnose einer funk­tio­nel­len Bla­sen­ent­lee­rungs­stö­rung und Behand­lung einer vor­lie­gen­den Obs­ti­pa­tion kön­nen die fol­gen­den Ver­hal­tens­maß­nah­men laut Rein hilf­reich sein: der Ein­satz von Toi­let­ten­auf­sät­zen, die den Kin­dern hel­fen, eine ent­spannte Sitz­hal­tung auf den prin­zi­pi­ell für Erwach­sene kon­zi­pier­ten Toi­let­ten ein­zu­neh­men; Gewähr­leis­tung einer aus­rei­chen­den Flüs­sig­keits­zu­fuhr; die Kon­trolle der Bla­sen­ka­pa­zi­tät und – wenn not­wen­dig – phy­sio­the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men zur Stei­ge­rung der Bla­sen­ka­pa­zi­tät. Wird keine Bes­se­rung erzielt, wer­den medi­ka­men­töse Maß­nah­men zur Pro­phy­laxe ein­ge­setzt, Cranberry­Extrakte und andere pflanz­li­che Prä­pa­rate. Die Ultima ratio ist Rein zufolge die anti­bio­ti­sche Dau­er­pro­phy­laxe, bei der die Kin­der ein Drit­tel der nor­ma­len Anti­bio­ti­ka­do­sis über einen län­ge­ren Zeit­raum erhal­ten, um aus die­sem Kreis­lauf her­aus­zu­kom­men und dau­er­haft infekt­frei zu wer­den. Die frü­her übli­che Lang­zeit­pro­phy­laxe mit einem Anti­bio­ti­kum über Jahre ist den Aus­sa­gen von Oswald zufolge „abso­lut zu vermeiden“.

Adi­po­si­tas nicht unbedeutend

„Es scheint so zu sein, dass Kin­der mit Adi­po­si­tas ver­mehrt zur Nie­ren­stein­ent­wick­lung nei­gen“, berich­tet Rein. Aller­dings sei die Daten­lage nicht allzu aus­sa­ge­kräf­tig, da es sich meist um klei­nere Kohor­ten handle. Gleich­zei­tig ver­kom­pli­ziere die Adi­po­si­tas aber ebenso in der Erwach­se­nen­me­di­zin ope­ra­tive Ein­griffe durch einen schwe­re­ren Zugang und ver­mehrte Wund­hei­lungs­stö­run­gen. Oswald zufolge gibt es zwi­schen der Adi­po­si­tas und Harn­wegs­in­fek­ten bei Kin­dern und Jugend­li­chen kei­nen Zusam­men­hang. Die Adi­po­si­tas stehe viel­mehr mit der kind­li­chen Nie­ren­stein­ent­wick­lung in Ver­bin­dung. „Nie­ren­steine neh­men bei Kin­dern ein­deu­tig zu und sind mit­un­ter schwie­rig zu behan­deln“, weiß der Experte. Und wei­ter: „Wir sind spe­zia­li­siert dar­auf, sie mit mini­mal­in­va­si­ven Metho­den zu behan­deln. Eine der dis­ku­tier­ten Ursa­chen ist das Über­ge­wicht bei Kin­dern ver­bun­den mit Bewe­gungs­man­gel und natür­lich unaus­ge­wo­ge­ner Ernäh­rung“. Davon zu unter­schei­den seien aber ange­bo­rene Nie­ren­steine, denen meis­tens eine Stoff­wech­sel­er­kran­kung wie die Cys­tin­urie zugrunde liege. (LS)

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 10 /​25.05.2020