Sec­tio: Kin­der pro­fi­tie­ren nicht

25.03.2020 | Medizin


Rund ein Drit­tel der öster­rei­chi­schen Kin­der kommt der­zeit via Sec­tio zur Welt. Die Indi­ka­tion dafür sollte gezielt gestellt wer­den, denn sowohl die Kin­der als auch die Müt­ter pro­fi­tie­ren davon nicht.

Sophie Fessl

Im Jahr 2017 lag die Kai­ser­schnitt­rate in Öster­reich laut Daten der OECD bei 29,3 Pro­zent, etwas über dem OECD-Durch­schnitt von 28,1 Pro­zent. Dabei ist euro­pa­weit ein star­kes Gefälle zu beob­ach­ten: Wäh­rend in Skan­di­na­vien die Kai­ser­schnitt­ra­ten im Jahr 2017 bei rund 16 Pro­zent lagen, waren es in Polen 39,3 Pro­zent. Auch in Öster­reich gibt es ein Ost-West-Gefälle. Im Bur­gen­land kam 2016 jedes dritte Lebend­ge­bo­rene per Kai­ser­schnitt zu Welt, in Salz­burg und Vor­arl­berg dage­gen nur jedes vierte. „Es ist aller­dings nicht über­lie­fert, dass die bur­gen­län­di­schen Kin­der beson­ders gesund wären“, stellt Univ. Prof. Thors­ten Fischer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Frau­en­heil­kunde und Geburts­hilfe des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Salz­burg, fest. „Viele den­ken, dass der Kai­ser­schnitt für das Kind siche­rer ist. Ich würde das auch glau­ben, wenn ich kein Gynä­ko­loge wäre. Aber die Spon­tan­ge­burt ist für das Kind nicht trau­ma­ti­scher als ein Kai­ser­schnitt. Auch ein Kai­ser­schnitt hat Nach­teile, vor allem für die Mut­ter bei nach­fol­gen­den Schwan­ger­schaf­ten. Kin­der pro­fi­tie­ren erkenn­bar nicht vom Kai­ser­schnitt.“ Auf­grund die­ser Nach­teile wer­den in neuen Leit­li­nien die Indi­ka­tio­nen zum Kai­ser­schnitt stren­ger gehand­habt wer­den, erklärt Fischer. „Gewisse Indi­ka­tio­nen sind abso­lut, da gibt es keine umstrit­tene Bewer­tung. Zur Sicher­heit der Pati­en­tin und des Kin­des gibt es abso­lute Indi­ka­tio­nen, wo eine Sec­tio durch­ge­führt wer­den muss – da gibt es keine Dis­kus­sion. Rela­tive Indi­ka­tio­nen dage­gen muss man mit der Pati­en­tin bespre­chen“, erläu­tert Univ. Prof. Her­bert Kiss von der Abtei­lung für Geburts­hilfe und feto­ma­ter­nale Medi­zin der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien.

Gefähr­dung von Mut­ter und Kind

Zu den abso­lu­ten Indi­ka­tio­nen zäh­len laut Fischer die Pla­centa praevia, eine dro­hende akute kind­li­che Asphy­xie, eine Ent­bin­dung aus Becken­end­lage vor der 36. Schwan­ger­schafts­wo­che sowie spe­zi­elle Pla­zen­ta­schwä­chen. „Gene­rell sind abso­lute Indi­ka­tio­nen sol­che, bei denen die Mut­ter oder das Kind gefähr­det sind und man nicht die Dauer einer Vagi­nal­ge­burt abwar­ten kann. Bei einer Pla­centa praevia etwa würde die Mut­ter bei der Geburt ver­blu­ten. Bei den indi­zier­ten Pla­zen­ta­schwä­chen kann man dem Kind keine über Stun­den oder Tage dau­ernde Vagi­nal­ge­burt zumu­ten. Aber so viele abso­lute Indi­ka­tio­nen gibt es nicht“, fasst Fischer zusam­men. „Ansons­ten sind Indi­ka­tio­nen, die manch­mal genannt wer­den, wie Zwil­lings­schwan­ger­schaf-ten oder Becken­end­lage, keine har­ten Vor­la­gen für einen Kai­ser-schnitt. Zwil­linge kön­nen in vie­len Fäl­len vagi­nal gebo­ren wer-den und haben nach inter­na­tio­na­ler Stu­di­en­lage dabei ein gutes Out­come.“ Bei sol­chen rela­ti­ven Indi­ka­tio­nen bedeute ein Kai­ser­schnitt oft­mals einen Zeit­ge­winn. „Es gibt viele Situa­tio­nen, wo ein Kai­ser­schnitt häu­fig die bes­sere Mög­lich­keit ist, da man damit Zeit gewinnt. Aber gleich­zei­tig muss bei die­sen Indi­ka­tio­nen nicht in jedem Fall ein Kai­ser­schnitt durch­ge­führt wer­den. Dazu gehö­ren man­che Prä-Eklamp­sien oder Pla­zen­ta­in­suf­fi­zi­en­zen“, berich­tet Fischer.

„Ein­mal Kai­ser­schnitt, immer Kai­ser­schnitt”, diese weit ver­brei­tete Mei­nung ist auch nach einer Emp­feh­lung der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaft für Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hilfe ein Irr­glaube, wie Fischer betont. „Das ist eine Indi­ka­tion, bei der man eine gewisse Ent­schei­dungs­breite hat“, erklärt Kiss. „Es gibt genü­gend Daten, die zei­gen, dass eine Frau nach einem ers­ten Kai­ser­schnitt das zweite Kind nor­mal gebä­ren kann. Aber dabei muss man auch wis­sen, warum die vor­he­rige Geburt ein Kai­ser­schnitt war!“ Wurde der erste Kai­ser-schnitt auf­grund einer Becken­end­lage durch­ge­führt, so gäbe es keine Indi­ka­tion, beim zwei­ten Mal nicht eine Spon­tan­ge­burt zu ver­su­chen. Wurde der erste Kai­ser­schnitt aller­dings wegen einer ver­zö­ger­ten Geburt oder einem zu klei­nen Becken durch­ge­führt, bestünde ein hohes Risiko, dass die nächste Geburt wie­der in einem Kai­ser­schnitt münde. „Aber der Zustand nach Kai­ser­schnitt ist nicht per se eine Indi­ka­tion für einen Kai­ser­schnitt“, ver­si­chert Fischer. Eine große Rolle kommt dabei der indi­vi­du­el­len Fami­li­en­pla­nung zu. „Man muss viele Fak­to­ren berück­sich­ti­gen. Bekommt eine Mut­ter ein oder zwei Kin­der, so ist das weni­ger bedeu­tungs-voll. Aber bei jeder Schwan­ger­schaft wird der Zustand nach Kai­ser­schnitt risi­ko­rei­cher und kom­pli­zier­ter, dann spielt die Ent­schei­dung eine grö­ßere Rolle“, berich­tet Fischer.

Ein gemein­sa­mes, daten­ba­sier­tes Vor­ge­hen mit der Schwan­ge­ren ist für Kiss beson­ders wich­tig. „Bei rela­ti­ven Indi­ka­tio­nen muss man die Pati­en­tin anhand von gesi­cher­ten Daten bera­ten, näm­lich Zah­len wie hoch das indi­vi­du­elle Risiko ist, und bespre­chen, wel­ches Risiko sie bereit ist, ein­zu­ge­hen.“ Gesi­cherte Daten und Berech­nungs­al­go­rith­men wür­den ange­wen­det wer­den, um das indi­vi­du­elle Risiko zu berech­nen. „Hier geht es nicht um indi­vi­du­elle Ein­schät­zun­gen, son­dern um objek­ti­ves Bera­ten anhand von Zah­len. Wie hoch ist das Risiko, wenn wir diese oder jene Vor­ge­hens­weise wäh­len?“ Dabei ist wich­tig, dass die Ent­schei­dung mit der Schwan­ge­ren gemein­sam getrof­fen wird. „Die Schwan­gere trägt das Risiko. Wenn eine Frau sagt, sie möchte eine Vagi­nal­ge­burt nach einem vor­an­ge­gan­ge­nen Kai­ser­schnitt ver­su­chen, dann ist das ihre Ent­schei­dung. Es besteht das Risiko, nach Stun­den mit Wehen ohne ent­spre­chen­dem Fort­schritt in einem sekun­dä­ren Kai­ser­schnitt zu enden. Eine gemein­same Ent­schei­dung, pati­ent-shared decis­ion-making, ist daher immer not­wen­dig, und ohne Ein­wil­li­gung der Frau ist es im Nor­mal­fall nicht mög­lich, einen Kai­ser­schnitt durchzuführen.“

Becken­end­lage: keine abso­lute Indikation

Becken­end­lage ist ein häu­fi­ger Grund für einen Kai­ser­schnitt: Im Jahr 2012 wur­den in Öster­reich 93 Pro­zent aller Kin­der in Becken­end­lage via Sec­tio zur Welt gebracht. Aber das ist nicht zwin­gend not­wen­dig, erklärt Kiss. „Die Becken­end­lage war nie eine abso­lute Indi­ka­tion für einen Kai­ser­schnitt. Es hat immer Zen­tren gege­ben, wo Kin­der aus Becken­end­lage vagi­nal ent­bun­den wur­den.“ Für die Zukunft erwar­tet sich Fischer eine umfas­sen­dere Auf­klä­rung von Müt­tern, deren Babys sich in Becken­end­lage befin­den. „Man muss die­sen Müt­tern zur äuße­ren Wen­dung raten und emp­feh­len, sich an spe­zi­elle Zen­tren zu rich­ten. Denn es gibt diese Exper­tise: so-wohl zur Wen­dung als auch zur Ent­bin­dung aus Becken­end­lage.“ Als Gründe für die hohe Rate an Kai­ser­schnit­ten bei Becken­end­lage führt Kiss die sin­kende Exper­tise sowie ein höhe­res Sicher­heits­den­ken an. Eine Spon­tan­ge­burt aus Becken­end­lage habe ein etwas höhe­res Risiko für ein schlech­te­res kind­li­ches Out­come, was in der Ent­schei­dung abge­wo­gen wer­den müsse. Da an vie­len Zen­tren keine Spon­tan­ge­burt aus Becken­end­lage durch­ge­führt wird, wird diese Exper­tise auch sel­te­ner wei­ter­ge­ge­ben. Laut Fischer soll die neu erschei­nende Leit­li­nie zu den Indi­ka­tio­nen einer Sec­tio zu einem ein­heit­li­che­ren Vor­ge­hen in der Geburts­hilfe füh­ren. „In den letz­ten Jah­ren war in der Geburts­hilfe ein hete­ro­ge­nes Vor­ge­hen akzep­tiert. Unter­schied­li­che Kai­ser­schnitt-Raten in den ver­schie­de­nen Zen­tren und Bun­des­län­dern wur­den nicht hin­ter-fragt – das soll­ten sie aber.“ Fischer ver­gleicht es mit dem Vor­ge­hen bei Brust­krebs-Erkran­kun­gen. „In der Seno­lo­gie gibt es ja auch harte Qua­li­täts­mar­ker, zum Bei­spiel wie häu­fig in den jewei­li­gen kli­ni­schen Kol­lek­ti­ven eine Mas­tek­to­mie durch­ge­führt wer­den darf. Über­durch­schnitt­li­che Abwei­chun­gen wer­den nicht akzep­tiert.“ Ob tat­säch­lich nach den Leit­li­nien gehan­delt wird, könne nicht garan­tiert wer­den, fügt Fischer hinzu. „Auch in der Geburts­hilfe sollte es nicht mehr mög­lich sein, dass jeder macht, was er will. Das wird viel­leicht pas­sie­ren. Aber bei Scha­dens­fäl­len müs­sen Gut­ach­ter auch Leit­li­nien als eine der Grund­la­gen für ihre Ent­schei­dun­gen her­an­zie­hen und nicht ein­fach sagen, eine Zwil­lings­ge­burt wäre vagi­nal grund­sätz­lich gefähr­li­cher als per Kai­ser-schnitt – was ja falsch ist.“ 

Im Zen­trum der Geburts­hilfe müsse jeden­falls das Out­come ste­hen, plä­diert Fischer. „Wir wür­den zu 100 Pro­zent Gebur­ten per Kai­ser­schnitt durch­füh­ren, wenn Kin­der und Frauen davon pro­fi­tie­ren wür­den. Aber sie pro­fi­tie­ren nicht. Der Kai­ser­schnitt ret­tet welt­weit Leben, wenn er rich­tig ein­ge­setzt wird. Des­halb braucht die Geburts­hilfe ein indi­vi­dua­li­sier­tes, Evi­denz-basier­tes Vor­ge­hen mit dem ein­zi­gen Ziel, dass Kin­der und Frauen glei­cher­ma­ßen pro­fi­tie­ren – und keine Pri­vat­mei­nung von Einzelärzten.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2020