Interview Christoph Zielinski: Tumor-Schwachstellen identifizieren

25.04.2020 | Medizin

Zwar stellt die Immuntherapie bei verschiedensten Tumoren eine effektive Behandlung dar, dennoch wirkt sie bei nur rund 30 Prozent der Betroffenen. Die Zukunft der Krebsmedizin sieht der Leiter des Vienna Cancer Centers (CCC), Univ. Prof. Christoph Zielinski, in der immer genaueren Kenntnis der Tumor-eigenen Schwachstellen, wie er im Gespräch mit Verena Radlinger erklärt.


2017 haben Sie das Comprehensive Cancer Center Vienna mitbegründet. Warum hat es eine eigene Organisationseinheit in Form des Vienna Cancer Center gebraucht?

Unser Ausgangspunkt war, sicherzustellen, dass jeder Patient im gesamten Bereich von Wien die bestmögliche Therapie nach gemeinsam definierten Qualitätskriterien erhält. Dafür musste die überregionale Vernetzung von onkologischen Experten vereinfacht werden. Mit den steigenden Patientenzahlen und höheren Anforderungen an die Strukturen und Prozesse war die Vision, eine flächendeckende, qualitätsgesicherte und zwischen den verschiedenen Fachdisziplinen vernetzte onkologische Versorgung zu schaffen. Auch sollte ein niederschwelliger Zugang zu innovativen Therapien sichergestellt, aber auch eine gesteigerte Geschwindigkeit der Rekrutierung von Patienten in klinische Studien sichergestellt werden. Letzteres soll auch zur Etablierung der Stadt Wien als Forschungszentrum für klinische Studien in der Onkologie führen.

Was waren für Sie die Höhepunkte im Comprehensive Cancer Center der Medizinischen Universtität Wien und des AKH, die erreicht worden sind?
Das Wichtigste war sicher die Etablierung und Optimierung der 21 CCC-Tumorboards. Außerdem sind hier die Verbesserung der für die professionelle Durchführung dieser Fallkonferenzen n.tige Infrastruktur und die strategische Ausrichtung des CCC auf transnationale Forschung, die Förderung der Studientätigkeit auf dem Gebiet der Onkologie und die Vergabe von Forschungsgrants aus den Mitteln der Initiative Krebsforschung zu erwähnen. Auch die Entwicklung und Umsetzung eines Haus- und Träger-übergreifenden Gesamtkonzepts für eine umfassende vertiefende internistisch-onkologische Aus- und Fortbildung nach höchsten international gültigen Standards ist gelungen.

Kaum überschaubar ist die Zahl der neu zugelassenen onkologischen Arzneimittel und Therapien. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Grundsätzlich ist es natürlich sehr erfreulich, dass sich die Krebstherapie stetig positiv weiterentwickelt. Der drastische Zuwachs von neuen Krebsmedikamenten ist auch mit einer Vielzahl von Zulassungserweiterungen bei bereits verfügbaren Arzneimitteln verbunden. Bei einzelnen Krebserkrankungen kann man schon vom Übergang in eine chronische Erkrankung sprechen. Natürlich ist diese Entwicklung aber gleichzeitig etwas problematisch. Den Überblick über alle Therapien und Medikamente zu behalten, ist schier unmöglich. Deshalb müssen sich die Kollegen spezialisieren, und das macht eine Vernetzung so wichtig.

Diese neuen Therapien kosten aber sehr viel Geld und werden nicht für jeden Patienten finanziert. Wie kann man dieser Problematik entgegenwirken?
Im Jahr 2018 betrugen die Ausgaben des Wiener Krankenanstaltenverbunds für onkologische Arzneimittel rund 100 Millionen Euro. Für die nächsten Jahre ist mit einem weiteren Anstieg der Ausgaben von rund 15 bis 25 Prozent pro Jahr zu rechnen. Vor kurzem konnten wir ein Finanzierungsmodell für Wiener Krebspatienten schaffen, mit dem wir die Finanzierung von innovativen Therapien stabilisieren können. Im konkreten Fall geht es um die CAR-T-Zell-Therapie, eine der innovativsten der vergangenen Jahre. Sie kommt gegen bestimmte Formen von Lymphomen zum Einsatz, bei denen vorhergegangene Chemotherapie und Knochenmarktransplantation versagt haben.

Wie sieht dieses Finanzierungsmodell aus?
Erstmal muss man sich vor Augen halten, dass die CAR-T-Zell-Therapie ein wirklich aufwendiges Verfahren ist. T-Zellen werden außerhalb des Körpers gentechnisch so verändert, dass sie Krebszellen erkennen und angreifen. Sechsstellige Behandlungskosten pro Patient sind dabei keine Seltenheit. Allerdings sprechen nur etwa 50 Prozent der Patienten auf diese Therapieform an, wobei eine Prognose wegen des Fehlens von Biomarkern nicht möglich ist. Deshalb konnte das Vienna Cancer Center mit den herstellenden Pharmafirmen vereinbaren, dass sich bei Nicht-Ansprechen der Therapie nur knapp über 60 Prozent der Kosten zu Buche schlagen. Bei Therapieerfolg erhält der Hersteller die gesamten Kosten.

Wann ist die Immuntherapie eine Option?
Wenn Tumorzellen an ihrer Oberfläche das Antigen PD-L1 aufweisen, dann ist das bei den meisten Erkrankungen für uns ein Hinweis, dass eine Immuntherapie infrage kommt. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir die ‘Versteckmechanismen‘ der Tumorzelle ausheben und dadurch die zytotoxen T-Zellen ihrer Aufgabe der Zerstörung von Tumorzellen wieder nachkommen können. Als erstes ist diese Therapieform beim malignen Melanom angewendet worden, bei dem es 2010 die ersten Studienergebnisse gegeben hat. Seit fünf Jahren wird die Immuntherapie auch bei Lungenkrebs erforscht. Wir sehen zudem Möglichkeiten bei einer Vielzahl anderer Tumoren wie Blasen-, Nieren-, Magen- und HNO-Tumoren, beim hepatozellulären Karzinom, bei bestimmten Formen des Dickdarmkarzinoms und bei Lymphomen.

Wo wirkt diese nicht? Und warum?
Es gibt Tumorarten, bei denen wir noch keine wissenschaftlich belegten Daten zur Wirksamkeit dieser Therapieform haben. Dazu gehören derzeit vor allem das Prostata- und das Pankreaskarzinom, bei denen ein hoher Bedarf nach verbesserten Therapieformen besteht.

Wohin geht die Entwicklung?
Wir müssen herausfinden, warum die Immuntherapie auf Dauer nur in bis zu 30 Prozent aller Fälle wirkt, die Faktoren dafür identifizieren und Lösungen finden. Ich denke, dass ein modulares Therapieprinzip eine Lösung ist. Immuntherapie in Kombination mit Chemotherapie ist effizienter als nur Chemotherapie, möglicherweise kommen da noch andere Angriffspunkte dazu, die unsere Therapien noch zielgerichteter machen. Das Immunsystem hat ja auch noch andere Komponenten als die zytotoxen T-Zellen, und Tumorzellen haben auch noch andere Angriffspunkte als das PD-L1-Antigen. In der immer genaueren Kenntnis der Tumor-eigenen Schwachstellen liegt die Zukunft der Onkologie.

Wie sieht die Zukunft der Krebstherapien aus?

Eine Verquickung zwischen molekularer Diagnostik und entsprechender Beeinflussung von molekularen Resistenzmechanismen gegenüber immunologischen Therapieformen, aber auch die Verbindung verschiedener immunologischer Ansätze werden die Zukunft prägen. Darüber hinaus wird nach Tumormarkern als Prädiktoren für das Therapieansprechen geforscht. Ohne Zweifel wird aber die Erweiterung der Krebstherapie über eine immunologische Modulation die Zukunft der Behandlung maßgeblich prägen.

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2020