Immun­sup­pres­sion in der Schwan­ger­schaft: Dau­er­the­ra­pie gefragt

25.09.2020 | Medizin


Wäh­rend der Ein­satz eini­ger Immun­sup­pres­siva wäh­rend der Schwan­ger­schaft nach Ansicht von Exper­ten nicht pro­ble­ma­tisch ist, stellt eine aktive rheu­ma­ti­sche oder chro­nisch ent­zünd­li­che Darm­er­kran­kung die größte Gefahr dar. Im Gegen­satz zu frü­her wer­den des­we­gen viele Immun­sup­pres­siva in der Schwan­ger­schaft nicht mehr abge­setzt.
Sophie Fessl

Zahl­rei­che Wei­ter­ent­wick­lun­gen im Bereich der Immun­sup­pres­sion haben dazu geführt, dass mitt­ler­weile viele immun­sup­p­ri­mierte Pati­en­tin­nen einen Kin­der­wunsch haben, erklärt Anto­nia Maz­zu­cato-Puch­ner von der Spe­zi­al­am­bu­lanz für Rheu­ma­ti­sche Erkran­kun­gen und Repro­duk­tion am AKH Wien. „Frü­her haben die Pati­en­tin­nen auf­grund der Schmer­zen und ande­ren Beschwer­den gar nicht an einen Kin­der­wunsch gedacht. Heute haben die meis­ten Betrof­fe­nen eine nor­male Lebens­qua­li­tät, damit rückt die Fami­li­en­pla­nung in den Vor­der­grund.“ Meis­tens lei­den diese Pati­en­tin­nen an chro­ni­schen Erkran­kun­gen wie rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen oder chro­nisch ent­zünd­li­chen Darm­er­kran­kun­gen, die häu­fig im jun­gen Erwach­se­nen­al­ter dia­gnos­ti­ziert werden. 

Grund­sätz­lich sollte eine Schwan­ger­schaft bei Pati­en­tin­nen, die Immun­sup­pres­siva ein­neh­men, geplant wer­den. „Bereits bevor die Ver­hü­tung abge­setzt wird, sollte die Pati­en­tin beim Rheu­ma­to­lo­gen kon­trol­lie­ren las­sen, ob die ein­ge­nom­me­nen Medi­ka­mente mit einer Schwan­ger­schaft zu ver­ein­ba­ren sind“, rät Maz­zu­cato-Puch­ner. Im Rah­men der prä­kon­zep­tio­nel­len Bera­tung, die auch an der Spe­zi­al­am­bu­lanz für Rheu­ma­ti­sche Erkran­kun­gen und Repro­duk­tion durch­ge­führt wird, wer­den Pati­en­tin­nen über das Basis­ri­siko in der Schwan­ger­schaft und bei Neu­ge­bo­re­nen bera­ten. „Bei gesun­den Frauen liegt das Basis­ri­siko für Fehl­bil­dun­gen bei drei Pro­zent und für einen Abort im ers­ten Schwan­ger­schafts­drit­tel bei circa 15 Pro­zent“, erklärt die Exper­tin. Dies erfolge beson­ders im Hin­blick dar­auf, dass die Frauen einen Abort in der Früh­schwan­ger­schaft nicht die ein­ge­nom­me­nen Medi­ka­mente als Ursa­che dafür erachten. 

Krank­heits­schübe in der Schwangerschaft

Nicht nur die Medi­ka­mente, son­dern auch Krank­heits­schübe wäh­rend der Schwan­ger­schaft sind ein Risiko für Mut­ter und Kind. Die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die Schwan­ger­schaft sind je nach Grund­er­kran­kung unter­schied­lich: Bei einer rheu­ma­to­iden Arthri­tis geht eine aktive Erkran­kung etwa mit Früh­ge­bur­ten und nied­ri­gem Geburts­ge­wicht ein­her, Lupus wie­derum mit einem erhöh­ten Risiko für Früh­ge­bur­ten und Blut­hoch­druck­erkran­kun­gen (Prä­ek­lamp­sie, Eklamp­sie) in der Schwan­ger­schaft. Daher sei es wesent­lich, dass Pati­en­tin­nen, die Immun­sup­pres­siva ein­neh­men, über das Risiko einer akti­ven Erkran­kung auf­ge­klärt wer­den, betont auch Univ. Prof. Cle­mens Dejaco von der Abtei­lung für Gas­tro­en­te­ro­lo­gie und Hepa­to­lo­gie an der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin III am Wie­ner AKH. „Schon beim Erst­ge­spräch sollte das Thema Kin­der­wunsch ange­spro­chen wer­den, rät Dejaco. Und den Betrof­fe­nen sollte ver­mit­telt wer­den, dass eine Schwan­ger­schaft am bes­ten in einer Phase der Remis­sion erfol­gen sollte. „Eine aktive Erkran­kung einer Schwan­ge­ren berei­tet uns die meis­ten Sor­gen. Die Aus­wir­kun­gen der Medi­ka­mente hin­ge­gen fürch­ten wir nur sehr wenig“, führt er wei­ter aus. 

Kon­sen­sus­be­richt bie­tet Orientierung

Der im Jahr 2019 ver­öf­fent­lichte Kon­sen­sus­be­richt der Öster­rei­chi­schen Gesell­schaf­ten für Gas­tro­en­te­ro­lo­gie und Hepa­to­lo­gie (ÖGGH) sowie Rheu­ma­to­lo­gie und Reha­bi­li­ta­tion (ÖGR) bie­tet Ori­en­tie­rung für die Ver­wen­dung von Immun­sup­pres­siva in der Schwan­ger­schaft und Still­zeit. Denn in den Fach­in­for­ma­tio­nen von fast allen ein­ge­setz­ten Immun­sup­pres­siva ist fest­ge­hal­ten, dass diese Sub­stan­zen in der Schwan­ger­schaft nicht zum Ein­satz kom­men dür­fen. „Das beruht aber meist nicht auf einem nach­ge­wie­se­nen tera­to­ge­nen oder feto­to­xi­schen Effekt des Medi­ka­ments“, berich­tet Mazzucato-Puchner. 

Medi­ka­mente wie 5‑Aminosalicylsäure-(5‑ASA-)Präparate und Anti-Mala­ria­mit­tel wie Plaque­nil oder Quen­syl sind bereits seit Län­ge­rem in der Schwan­ger­schaft und Still­zeit eta­blierte The­ra­pien. Auch eine The­ra­pie mit Thio­pu­ri­nen (6‑Mercaptopurin/​Azathioprin) kann laut dem Kon­sen­sus­be­richt in der Schwan­ger­schaft fort­ge­führt werden. 

Metho­tre­xat, das häu­fig ver­wen­dete Basis­me­di­ka­ment bei rheu­ma­ti­schen Erkran­kun­gen, darf auf­grund sei­nes tera­to­ge­nen Effekts in der Schwan­ger­schaft nicht ein­ge­setzt wer­den und sollte drei Monate, bevor nicht mehr ver­hü­tet wird, abge­setzt wer­den. Nach­ge­wie­sen ist die Tero­to­ge­ni­tät von Cyclo­phos­pha­mid und Myco­phe­no­lat. Auf­grund der Halb­werts­zeit sollte Cyclo­phos­pha­mid drei Monate, Myco­phe­no­lat 1,5 Monate, bevor nicht mehr ver­hü­tet wird, abge­setzt werden.

Leflu­no­mid und JAK-Inhi­bi­to­ren erwie­sen sich im Tier­ver­such eben­falls als tera­to­gen, wobei sie im Men­schen bis­her nicht nach­ge­wie­sen frucht­schä­di­gend sind. „Da zu die­sen Medi­ka­men­ten noch zu wenige Daten vor­lie­gen, wurde im Kon­sen­sus fest­ge­legt, dass sie nicht in der Schwan­ger­schaft ver­wen­det wer­den dür­fen“, berich­tet Maz­zu­cato-Puch­ner. Auf­grund der lan­gen Halb­werts­zeit müsste Leflu­no­mid eigent­lich zwei Jahre vor einer Schwan­ger­schaft abge­setzt wer­den. Aller­dings besteht bei einem Kin­der­wunsch die Mög­lich­keit, Leflu­no­mid mit Cho­le­s­ty­ra­min aus­zu­wa­schen sowie einer nach­fol­gen­den Spiegelbestimmung.

Falls syn­the­ti­sche Immun­sup­pres­siva nicht aus­rei­chen, kann auch in der Schwan­ger­schaft die Gabe von Bio­lo­gika not­wen­dig sein. Bei den meis­ten han­delt es sich um IgG1-Anti­kör­per, die auf­grund ihrer Größe im ers­ten Tri­me­non die Pla­zenta noch nicht pas­sie­ren. Ab dem zwei­ten Tri­me­non docken sie jedoch an FC-Rezep­to­ren an und wer­den aktiv über die Pla­zenta trans­por­tiert. Die­ser Trans­port nimmt im Ver­lauf der Schwan­ger­schaft ste­tig zu, weiß Maz­zu­cato-Puch­ner. „Bei der Geburt haben Neu­ge­bo­rene höhere Bio­lo­gika-Kon­zen­tra­tio­nen im Blut als die Mütter.“

Die meiste Erfah­rung in der Ver­wen­dung wäh­rend der Schwan­ger­schaft gibt es für TNF-alpha-Inhi­bi­to­ren. In Stu­dien konnte gezeigt wer­den, dass ihre Ver­wen­dung mit kei­nem erhöh­ten Miss­bil­dungs­ri­siko in der Schwan­ger­schaft ein­her­geht. TNF-alpha-Inhi­bi­to­ren kön­nen daher bei der The­ra­pie wäh­rend der gesam­ten Schwan­ger­schaft zum Ein­satz kom­men. Cer­to­li­zu­mab und Eta­ner­cept sind dabei laut Maz­zu­cato-Puch­ner zu bevor­zu­gen, da Cer­to­li­zu­mab als Fab-Frag­ment und Eta­ner­cept als Fusi­ons­pro­tein nicht bezie­hungs­weise weni­ger über die Pla­zenta trans­por­tiert werden. 

Aus­wir­kun­gen von TNF-alpha Inhibitoren

Wel­che Aus­wir­kun­gen TNF-alpha Inhi­bi­to­ren auf Kin­der haben, die die­sen Sub­stan­zen wäh­rend der Schwan­ger­schaft aus­ge­setzt waren, dar­über lie­gen nur wenige Daten vor. „Da die Kin­der mit einem Bio­lo­gika-Spie­gel auf die Welt kom­men, soll­ten sie in den ers­ten Mona­ten nicht mit Lebend­impf­stof­fen geimpft wer­den“, warnt Maz­zu­cato-Puch­ner. „Aller­dings betrifft das in Öster­reich nur die Rota­vi­rus-Imp­fung. Die Masern-Mumps-Röteln-Imp­fung ab dem ers­ten Lebens­jahr ist davon nicht betrof­fen, denn da dür­fen die Kin­der bereits eine Lebend­imp­fung erhal­ten.“ Bezüg­lich der Infek­ti­ons­an­fäl­lig­keit lie­gen eben­falls wenige Daten vor. Vor­han­dene Daten zei­gen kein erhöh­tes Infekt­ri­siko für Kin­der, die TNF-alpha-Inhi­bi­to­ren expo­niert waren. 

„Gene­rell muss man bei der Bera­tung das Risiko einer akti­ven Erkran­kung mit dem Risiko der Medi­ka­mente in der Schwan­ger­schaft abwä­gen“, betont Maz­zu­cato-Puch­ner. Zwar müsse Metho­tre­xat vor der Schwan­ger­schaft abge­setzt wer­den; die Pati­en­tin­nen soll­ten dafür auf ein in der Schwan­ger­schaft nicht gefähr­li­ches Medi­ka­ment umge­stellt wer­den. Wäh­rend die meis­ten Immun­sup­pres­siva frü­her in der Schwan­ger­schaft abge­setzt wur­den, werde dies nicht mehr so gehand­habt, erklärt Maz­zu­cato-Puch­ner, weil „die unbe­han­delte Erkran­kung ein enor­mes Risiko darstellt.“ 

Des­we­gen war­nen beide Exper­ten davor, Immun­sup­pres­siva in der Schwan­ger­schaft nicht prä­ven­tiv abzu­set­zen. Falls eine Pati­en­tin die Medi­ka­mente von sich aus absetzt, rät Dejaco zu einer dif­fe­ren­zier­ten Vor­gangs­weise. „Wich­tig ist, die Krank­heits­ak­ti­vi­tät zu eva­lu­ie­ren. Wenn die Pati­en­tin die Immun­sup­pres­siva bereits vor sechs Mona­ten abge­setzt hat und keine Krank­heits­ak­ti­vi­tät zeigt, könnte man dies unter eng­ma­schi­ger Kon­trolle wei­ter fort­füh­ren. Hat sie die Immun­sup­pres­siva jedoch erst vor zwei Wochen abge­setzt, sollte man die Pati­en­ten auf jeden Fall bit­ten, wie­der mit der The­ra­pie zu beginnen.“ 

Bei einer unge­plan­ten Schwan­ger­schaft unter Ein­nahme von Immun­sup­pres­siva sollte eine rasche Bera­tung erfol­gen inklu­sive einer Ein­schät­zung, ob die ein­ge­nom­me­nen Medi­ka­mente ein Risiko in der Schwan­ger­schaft bedeu­ten. „Auch wenn eine Pati­en­tin unter Metho­tre­xat schwan­ger wird, bedeu­tet es nicht gleich, dass die Schwan­ger­schaft been­det wer­den muss“, betont Maz­zu­cato-Puch­ner. „Unter der Ein­nahme von Metho­tre­xat steigt das Risiko für eine Fehl­bil­dung von drei auf circa sechs Pro­zent. Die Pati­en­tin muss des­we­gen abwä­gen, ob die­ses Risiko für sie eine Indi­ka­tion für einen Abbruch dar­stellt.“ Eine Fein­dia­gnos­tik mit­tels Ultra­schall an einem Zen­trum sei daher wich­tig, um das Risiko für Fehl­bil­dun­gen unter Metho­tre­xat-The­ra­pie abzuwägen. 

Zusätz­li­che Unter­su­chun­gen kön­nen bei Schwan­ge­ren, die Immun­sup­pres­siva ein­neh­men, je nach Grund­er­kran­kung not­wen­dig sein. Pati­en­tin­nen mit Mor­bus Crohn/​Colitis ulce­rosa gel­ten grund­sätz­lich als Risi­ko­schwan­ger­schaf­ten: Hier rät Dejaco zu einer gemein­sa­men Betreu­ung durch die behan­deln­den Gas­tro­en­te­ro­lo­gen und Gynä­ko­lo­gen. Außer­dem sollte bei einer Pati­en­tin mit chro­nisch ent­zünd­li­cher Darm­er­kran­kung und unkom­pli­zier­ter Schwan­ger­schaft zusätz­lich zu den im Mut­ter-Kind-Pass vor­ge­se­he­nen Unter­su­chun­gen ein­mal pro Tri­mes­ter eine Kon­trolle mit Labor­un­ter­su­chung durch­ge­führt wer­den. Maz­zu­cato-Puch­ner rät allen Schwan­ge­ren, die Immun­sup­pres­siva ein­neh­men, zu einem Erst­tri­mes­ter-Scree­ning sowie einem frü­hen Organ-Scree­ning in der 16. Schwan­ger­schafts­wo­che. Pati­en­tin­nen, die Kor­ti­son ein­neh­men, wird ein frü­her Glu­ko­se­to­le­ranz-Test empfohlen. 


Tipp: Frauen, die Immun­sup­pres­siva ein­neh­men und einen Kin­der­wunsch haben oder schwan­ger sind, kön­nen mit­tels Über­wei­sung eine kon­si­lia­ri­sche Bera­tung an der Spe­zi­al­am­bu­lanz für Rheu­ma­ti­sche Erkran­kun­gen und Repro­duk­tion am AKH Wien erhalten. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 18 /​25.09.2020