Herzklappenersatz: Limitierte Möglichkeiten

25.02.2020 | Medizin

Statistisch gesehen haben biologische Klappen eine höhere Reoperationsrate beziehungsweise Reinterventionsrate als mechanische Klappen. Zwar ist keine Immunsuppression erforderlich, jedoch ist durch ihre begrenzte Haltbarkeit der Einsatz bei jungen Patienten limitiert.
Sophie Fessl

 

Der Ersatz der Herzklappe wird aufgrund der steigenden Lebenserwartung auch künftig eine wichtige Rolle spielen. Einer Bedarfserhebung zufolge werden im Jahr 2050 bis zu 800.000 Eingriffe an Herzklappen durchgeführt. Aber Univ. Prof. Rainald Seitelberger, Leiter der Universitätsklinik für Herzchirurgie am Landeskrankenhaus Salzburg, warnt: „Weder ein mechanischer noch ein biologischer Herzklappenersatz entspricht dem Idealbild menschlicher Herzklappen.“

Die Liste der Ansprüche, die an eine Herzklappe gestellt wird, ist lang: „Sie sollte lange haltbar sein, keiner Antikoagulation bedürfen, eine gute Hämodynamik aufweisen, leise, nicht zu teuer und leicht zu implantieren sein“, führt Univ. Prof. Alfred Kocher von der Klinischen Abteilung für Herzchirurgie am AKH Wien aus. Und diesen Ansprüchen werden die beiden derzeit verfügbaren Optionen – mechanischer und biologischer Klappenersatz nicht gerecht. „Idealerweise erhält jeder Patient eine Klappe für den Rest seines Lebens und hat durch sie keine Komplikationen. Doch diese ideale Klappe gibt es nicht“, folgert auch Kocher.

In Österreich wird bei unter 60-Jährigen ein mechanischer Klappenersatz empfohlen; bei über 65-Jährigen ein biologischer Klappenersatz, erklärt Kocher. „In den USA wird mechanischer Klappenersatz bei Patienten unter 50 verwendet, biologischer Klappenersatz bei Patienten über 75. Dazwischen gibt es ebenso auch bei uns einen Bereich für Diskussion.“ Am Wiener AKH arbeitet Kocher mittlerweile hauptsächlich mit biologischen Herzklappen. „Einerseits weil wir mehr ältere Patienten haben als früher, andererseits weil sich auch jüngere Patienten für einen biologischen Klappenersatz entscheiden.“

Der große Nachteil von mechanischen Herzklappen liegt laut Kocher in der lebenslangen Antikoagulation, um der Bildung von Thromben vorzubeugen. „Der Vorteil von biologischem Klappenersatz ist, dass in der Regel, abhängig vom Herzrhythmus, keine Antikoagulation für die Klappe per se benötigt wird“, betont auch Seitelberger. Ein weiterer Vorteil von biologischen Herzklappen, die aus dem Perikard vom Rind oder nativen Aortenklappen vom Schwein gefertigt werden, ist, dass sie geräuschlos funktionieren. „Viele Patienten berichten, dass sie die mechanische Klappe hören können. Das ist sehr unterschiedlich und hängt von den räumlichen Bedingungen im Brustkorb ab“, erläutert Seitelberger. Zum Teil wird das Klappengeräusch als so störend wahrgenommen, dass es zur Reoperation und dem Einsatz einer biologischen Klappe kommt, weiß Kocher. Das sei der große Vorteil von biologischem Klappenersatz, sagt Seitelberger: „Biologische Klappen führen zu keinem Problem mit der Lebensqualität.“ Eine Immunsuppression ist bei Patienten, die eine biologische Herzklappe erhalten, ebenfalls nicht notwendig, erklärt Kocher. „Alle Antigene werden mit verschiedenen Methoden gekappt, so dass das Immunsystem sie nicht erkennt. Es wird diskutiert, ob die Verkalkung einer biologischen Klappe eine Xenograft-Reaktion ist, aber es sind keine Immunsuppressiva notwendig.“

Zwiespalt Haltbarkeit

Die chemische Behandlung des Klappenersatzes verlängert auch ihre Haltbarkeit; stellt doch die begrenzte Haltbarkeit einen der größten Nachteile der biologischen Klappe dar. „Das große Risiko bei der biologischen Klappe ist, dass es zu einer Reoperation kommt. Statistisch gesehen haben biologische Klappen eine höhere Reoperations- beziehungsweise Reinterventionsrate als mechanische Klappen“, erläutert Seitelberger. Besonders bei jungen Patienten ist das Risiko für eine Reoperation hoch, da das Herz stärker beansprucht wird und es zu einer größeren Belastung der Herzklappe kommt. Bei Patienten ab 60 Jahren ist das Langzeit-Überleben mit einer biologischen Herzklappe gut. „Egal, ob die Klappe vom Rind oder Schwein stammt: Die Patienten mit einer biologischen Klappe haben das gleiche Überleben wie die Standardpopulation ohne Klappenerkrankung oder Klappenersatz“, weiß Kocher.

Mit der Re-Operationsrate aufgrund von struktureller Degeneration der Klappe befasste sich eine Studie im Jahr 2010. Patienten unter 65 Jahren waren 15 Jahre nach Einsetzen des Klappenersatzes rund 35 Prozent nicht neuerlich operiert worden. Bei Patienten zwischen 65 und 75 Jahren waren es 90 Prozent und bei über 75-Jährigen 99,5 Prozent.

Obwohl es Probleme mit der Haltbarkeit gibt, haben biologische Klappen auch einen Vorteil. „Bei biologischen Klappen lassen sich Probleme über Jahre beobachten. Wenn sie graduell verkalkt, können wir einen Ersatz planen oder auf einen kürzeren Kontrollabstand umstellen“, erklärt Kocher das Vorgehen. „Kommt es bei einer mechanischen Klappe zu einem strukturellen Problem, dann ist es akut, zum Beispiel wenn der Flügel der ausreißt. “

Die Langzeithaltbarkeit ist für konventionellen biologischen Klappenersatz am besten dokumentiert. Patienten mit einem hohen und mittleren Risikoprofil wird derzeit die TAVI-Methode empfohlen. TAVI-Prothesen werden „valve-in-valve“ implantiert; derKlappenersatz wird also direkt in die erkrankte Klappe eingesetzt. Allerdings liegt bei über TAVI eingesetzten biologischen Klappenprothesen die Rate der Schrittmacherimplantation zwischen 2,3 und 36 Prozent – das Risiko schwankt stark, je nach Klappentyp und Studie. Bei konventionellen biologischen Klappenprothesen liegt die Rate der Schrittmacherimplantation dagegen bei circa vier Prozent.

Große Studien laufen derzeit zu „rapid deployment“-Prothesen. Diese sollen die Vorteile der TAVI-Implantation mit denen einer konventionellen Operation vereinen. Diese Prothesen werden mithilfe der Herz-Lungen-Maschine implantiert; allerdings in kürzeren Operationen minimalinvasiv. Mit rapid deployment-Prothesen sei das Einsetzen leichter. „Es sind nicht wie früher 30 Nähte, sondern nur noch drei Nähte notwendig“, berichtet Kocher. Bei „rapid deployment“ Prothesen zeigte allerdings eine retrospektive Studie aus dem Jahr 2018 eine erhöhte Notwendigkeit von zwischen 6,0 und 8,8 Prozent, postoperativ einen Herzschrittmacher einzusetzen.

Ross-Operation

Während also ältere Patienten mit bestehendem biologischen Klappenersatz gut behandelt werden können, muss die Behandlung von jüngeren Patienten noch verbessert werden, findet Kocher. Eine Option stellt die sogenannte Ross-Operation dar, die hauptsächlich bei jungen Patienten zum Einsatz kommt. Dabei wird die verkalkte Aortenklappe durch die Pulmonalklappe des Betroffenen ersetzt; die Pulmonalklappe wiederum wird durch eine menschliche Spenderklappe, ein Homograft, ersetzt. In einer am AKH Wien durchgeführten Studie zeigten sich verbesserte Überlebensdaten für junge Patienten, die sich einer Ross-Operation unterzogen hatten, im Vergleich zu jenen, die einen mechanischen Klappenersatz erhalten hatten.

Eine weitere Option, die bereits zum Einsatz kommt, sind dezellularisierte Homografts. Aus diesen menschlichen Spenderklappen wurden im Labor die Zellen entfernt; nur das Kollagengerüst bleibt bestehen. Auf diesem siedeln sich nach der Implantation die körpereigenen Zellen an. An diese Option hat Kocher hohe Erwartungen: „Wir hoffen auf den dezellularisierten Homograft, denn das wäre eine Heilung. Alle anderen Therapieoptionen sind nur Palliation.“ ◉

Literatur beim Verfasser

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 4 / 25.02.2020