Gesta­ti­ons­dia­be­tes: Stei­gende Zah­len, feh­lende Daten

10.05.2020 | Medizin

Rund zehn Pro­zent aller Schwan­ge­ren in Öster­reich lei­den an Gesta­ti­ons­dia­be­tes. Genaue Zah­len gibt es nicht, da Regis­ter­da­ten feh­len. Dar­über hin­aus hat eine Frau, die einen Gesta­ti­ons­dia­be­tes hatte, ein 50-pro­zen­ti­ges Risiko, inner­halb der nächs­ten zehn Jahre einen Typ 2‑Diabetes zu ent­wi­ckeln.
Sophie Fessl

Etwa jede zehnte Schwan­gere ist in Öster­reich von einem Gesta­ti­ons­dia­be­tes betrof­fen. „Das ist durch­aus ein inner­halb von West- und Mit­tel­eu­ropa ver­gleich­ba­rer Wert“, erklärt Assoz. Prof. Susanne Kaser von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Innere Medi­zin I der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Inns­bruck. Aller­dings: Genaue Zah­len gibt es nicht. „Das Pro­blem ist das Feh­len wirk­li­cher Regis­ter­da­ten. Die ange­ge­bene Prä­va­lenz von etwa zehn Pro­zent beruht auf Schät­zun­gen und klei­nen Stu­dien.“ Spe­zi­ell in Anbe­tracht der Frage, ob die Prä­va­lenz von Gesta­ti­ons­dia­be­tes steigt, wären exakte Daten hilf­reich, erklärt Kaser. „Wir sehen einen Anstieg, aber haben dazu keine genauen Zah­len und Aus­wer­tun­gen. Doch die Daten wären vor­han­den, da der Zucker­be­las­tungs­test ja im Rah­men der Mut­ter-Kind-Pass-Unter­su­chun­gen durch­ge­führt wird.“

Auch wenn sich der Anstieg an Frauen mit Gesta­ti­ons­dia­be­tes nicht an exak­ten Zah­len fest­ma­chen lässt, so ist er in der Kli­nik zu beob­ach­ten, stimmt Univ. Prof. Bern­hard Lud­vik von der Abtei­lung für Innere Medi­zin 1 mit Dia­be­to­lo­gie, Endo­kri­no­lo­gie und Nephrolo­gie der Kran­ken­an­stalt Rudolfs­tif­tung Wien, zu. Lud­vik sieht die Ursa­chen dafür im stei­gen­den Auf­tre­ten von Über­ge­wicht sowie in Schwan­ger­schaf­ten in höhe­rem Lebens­al­ter. Zu den wei­te­ren Risi­ko­fak­to­ren für Gesta­ti­ons­dia­be­tes zäh­len eine posi­tive Fami­li­en­ana­mnese, Hyper­to­nie, vor­lie­gende Stoff­wech­sel­stö­run­gen sowie das Auf­tre­ten eines Gesta­ti­ons­dia­be­tes in einer vor­an­ge­gan­ge­nen Schwan­ger­schaft und die frü­here Geburt eines Kin­des mit Geburts­ge­wicht über vier Kilo­gramm. Wei­ters steigt auch die Zahl der Frauen, die bereits zu Beginn der Schwan­ger­schaft an Dia­be­tes mel­li­tus lei­den, erklärt Lud­vik. „Immer mehr Frauen haben bereits vor der Schwan­ger­schaft einen Dia­be­tes, sowohl Typ 1 als auch Typ 2. Sie sind oft des­we­gen bereits in Behand­lung. Unter Umstän­den kön­nen gute Zucker­werte mit Met­formin gehal­ten wer­den, aber meist erfolgt recht früh eine Insu­lin-The­ra­pie.“ Bei Vor­lie­gen eines Typ 1- oder Typ 2‑Diabetes sollte die Behand­lung bereits prä­kon­zep­tio­nell opti­miert wer­den, rät Kaser. „Opti­mal ist, wenn die Schwan­ger­schaft geplant ist, damit die The­ra­pie und die Zucker­ein­stel­lung im Vor­hin­ein opti­miert sind. Das ist nicht nur rele­vant in Hin­sicht auf den Blut­zu­cker­wert, son­dern auch auf die medikament.se The­ra­pie. Denn Lipidsen­ker oder Sta­tine soll­ten schon vor der Schwan­ger­schaft abge­setzt wer­den.“ Außer­dem müsse aus­ge­schlos­sen wer­den, dass ein ver­bor­ge­ner Typ 1‑Diabetes besteht, der sich in der Schwan­ger­schaft mani­fes­tiert. Das kann der Fall sein, wenn sich der Zucker­wert bei einer eher schlan­ken Schwan­ge­ren rasch ver­schlech­tert, so Lud­vik. „Die zahl­rei­chen kör­per­li­chen Ver­än­de­run­gen wäh­rend einer Schwan­ger­schaft füh­ren dazu, dass einige Zyto­kine und Hor­mone der Wir­kung von Insu­lin ent­ge­gen­ar­bei­ten“, führt Kaser aus. Dadurch ent­steht in der Schwan­ger­schaft eine Insu­lin­re­sis­tenz. Bei rund 90 Pro­zent der Schwan­ge­ren kann die Insu­lin­re­sis­tenz durch eine Mehraus­schüt­tung von Insu­lin kom­pen­siert wer­den. Bei rund zehn Pro­zent der Betrof­fe­nen gelingt das aber nicht, ent­we­der weil eine Vor­er­kran­kung besteht oder die Funk­tion der Bauch­spei­chel­drüse beein­träch­tigt ist. Kaser wei­ter: „Wenn etwa Pr.diabetes oder ein meta­bo­li­sches Syn­drom bestehen, haben Schwan­gere ein höhe­res Risiko, dass die Zucker­werte die Grenz­werte übersteigen.“

Rasches Ein­grei­fen essentiell

Essen­ti­ell ist laut Lud­vik eine rich­tige Dia­gnose des Gesta­ti­ons­dia­be­tes und ein rasches Ein­grei­fen. Die Dia­gnose erfolgt mit­tels Zucker­be­las­tungs­test aus venö­sem Plasma zwi­schen der 24. und der 28. Schwan­ger­schafts­wo­che. Bei Schwan­ge­ren mit bestehen­dem Dia­be­tes mel­li­tus ent­fällt der orale Glu­ko­se­to­le­ranz-Test; bei Hoch­ri­siko-Pati­en­tin­nen muss der Test vor­ge­zo­gen wer­den. „Ist in einer vor­an­ge­gan­ge­nen Schwan­ger­schaft ein Gesta­ti­ons­dia­be­tes vor­ge­le­gen oder war das Kind von einer Makro­so­mie betrof­fen, sollte der erste Belas­tungs­test bereits in der 14. bis 18. Schwan­ger­schafts­wo­che durch­ge­führt wer­den.“ Ist die­ser Belas­tungs­test krank­haft, sollte die The­ra­pie sofort begon­nen wer­den. Wenn die­ser frühe Test noch nor­mal ist, muss er in der 24. bis 28. Schwan­ger­schafts­wo­che wie­der­holt wer­den. Dabei han­delt es sich um die Phase, in der die Zucker­werte nor­ma­ler­weise anstei­gen; dabei ist bei rund zehn Pro­zent der Schwan­ge­ren mit einer Über­schrei­tung der Grenz­werte zu rech­nen. Zu den sofor­ti­gen The­ra­pie­maß­nah­men zäh­len Ernäh­rungs­be­ra­tung sowie die regel­mä­ßige Über­wa­chung der Blut­glu­ko­se­werte. Der Nüch­tern­blut­zu­cker sollte unter 95 Mil­li­gramm pro Dezi­li­ter lie­gen; eine Stunde nach den drei Haupt­mahl­zei­ten sollte der Blut­zu­cker jeweils unter 140 Mil­li­gramm pro Dezi­li­ter lie­gen. „Wer­den diese Ziel­werte nicht allein mit diä­te­ti­schen Maß­nah­men erreicht, muss eine Insu­lin-The­ra­pie begon­nen wer­den“, erklärt Lud­vik. Der HbA1c-Wert hat bei einem Gesta­ti­ons­dia­be­tes eine gerin­gere Rele­vanz. „Der HbA1c-Wert gilt nicht als ver­läss­li­cher Indi­ka­tor in der Schwan­ger­schaft. Zwar muss er am Anfang kon­trol­liert wer­den, für die lau­fende Kon­trolle muss die Schwan­gere aller­dings selbst täg­lich den Blut­zu­cker­wert mes­sen.“ Eine Umstel­lung der Ernäh­rung und gestei­gerte Bewe­gung sind aus­rei­chende Maß­nah­men für die Mehr­zahl der Pati­en­tin­nen mit Gesta­ti­ons­dia­be­tes, betont Kaser. „Ungef.hr zwei Drit­tel spre­chen auf Maß­nah­men bei Ernäh­rung und Bewe­gung an. Bei rund einem Drit­tel wird eine Insu­lin-The­ra­pie not­wen­dig. Wenn aller­dings Pro­bleme mit der kind­li­chen Ent­wick­lung vor­lie­gen, müs­sen die Blut­zu­cker-Ziel­werte noch enger gewählt werden.“

Kom­pli­ka­tion Makrosomie

Kom­pli­ka­tio­nen des Gesta­ti­ons­dia­be­tes betref­fen haupt­säch­lich das Kind, dazu zäh­len asym­me­tri­sches Wachs­tum und Makro­so­mie. „In der 28. Woche beginnt das Kind, selbst Insu­lin zu pro­du­zie­ren“, so Lud­vik. Des­halb wird auch zwi­schen der 24. und der 28. Woche der Glu­ko­se­to­le­ranz­test durch­ge­führt. Der erhöhte Blut­zu­cker der Mut­ter geht über die Pla­zenta-Schranke auf das Kind über. Dadurch kommt es zu Hyper­pla­sie der feta­len Bauch­spei­chel­drüse. Außer­dem kommt es zu einem erhöh­ten Wachs­tum des Kin­des. Die Makro­so­mie birgt Geburts­ri­si­ken – etwa eine Schul­ter­dys­to­kie auf­grund des Missverh.ltnisses zum Geburts­ka­nal; auch die ver­mehrte Bil­dung von Frucht­was­ser kann geburts­hilf­li­che Pro­bleme berei­ten. Außer­dem muss das Kind nach der Geburt einige Tage über­wacht wer­den, da postpar­tal eine Hypo­glyk­ämie auf­tre­ten kann. Kon­trol­len der kind­li­chen Ent­wick­lung wäh­rend der Schwan­ger­schaft sind den Aus­sa­gen von Kaser zufolge wesent­lich. „Die Ultra­schall-Unter­su­chun­gen sind wich­tig, um das kind­li­che Wachs­tum und die Bil­dung von Frucht­was­ser zu über­wa­chen. Wenn zu viel Frucht­was­ser gebil­det wird oder ein star­kes asym­me­tri­sches Wachs­tum vor­liegt, was vor allem den Bauch­um­fang betrifft, wer­den die Blut­zu­cker-Ziel­werte enger gewählt und eine Insu­lin-The­ra­pie mög­li­cher­weise frü­her begon­nen.“ Zusätz­lich zur t.glich mehr­ma­li­gen Blut­zu­cker-Mes­sung wer­den Schwan­gere mit Gesta­ti­ons­dia­be­tes daher alle ein bis zwei Wochen inter­nis­tisch kon­trol­liert. „Bei nor­ma­ler Größe und gut ein­ge­stell­tem müt­ter­li­chen Blut­zu­cker­wert spricht nichts dage­gen, die Schwan­ger­schaft nor­mal zu füh­ren und mit der Geburt bis zur 40. Schwan­ger­schafts­wo­che zu war­ten“, erklärt Lud­vik. „Wenn das Kind aller­dings grö­ßer ist, muss man über­le­gen, ab der 38. Schwan­ger­schafts­wo­che ein­zu­lei­ten. Bei einem Geburts­ge­wicht über vier Kilo­gramm muss man jedoch auf­pas­sen.“ Bei einem zu hohen Geburts­ge­wicht besteht für das Kind ein erhöh­tes Risiko, selbst über­ge­wich­tig zu wer­den oder Dia­be­tes zu ent­wi­ckeln; ein Risiko für Stoff­wech­sel-Erkran­kun­gen sei gege­ben, betont Kaser. Aber auch für Frauen mit Gesta­ti­ons­dia­be­tes besteht nach der Geburt ein lang­fris­ti­ges Risiko. „Nach der Schwan­ger­schaft rech­net man damit, dass sich der Blut­zu­cker nor­ma­li­siert. Acht Wochen nach der Geburt sollte daher wie­der ein Zucker­be­las­tungs­test durch­ge­führt wer­den, des­sen Wert sollte nor­mal sein“, berich­tet Lud­vik. Aller­dings bestehe ein 50-pro­zen­ti­ges Risiko, dass eine Frau, die an Gesta­ti­ons­dia­be­tes gelit­ten hat, inner­halb der nächs­ten zehn Jahre einen Typ 2‑Diabetes ent­wi­ckelt. Der Blut­zu­cker­wert sollte daher jähr­lich kon­trol­liert wer­den. Lud­vik wei­ter: „Außer­dem raten wir dazu, nach der Geburt das Nor­mal­ge­wicht wie­der zu errei­chen und ent­spre­chend kör­per­lich aktiv zu sein.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 9 /​10.05.2020