Forensisch-psychiatrische Gutachten: Mehr Qualität, mehr Sicherheit

25.06.2020 | Medizin


Besonders im Hinblick auf die zunehmende Verrechtlichung der Gesellschaft nehmen psychiatrische Gutachter einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Von einer entsprechenden Ausbildung – ein neuer Lehrgang forensisch-psychiatrische Gutachten beginnt im Oktober 2020 – profitieren jedoch nicht nur Gutachter, sondern alle Ärzte, die rechtlich auf der sicheren Seite sein möchten.
Laura Scherber

Die Rolle des psychiatrischen Gutachtens ist vielfältig und sogar vom Gesetz her vorgesehen“, erklärt Univ. Doz. Peter Hofmann, der als Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in Wien und Graz tätig ist und den ÖÄK-Diplomlehrgang „Forensisch-psychiatrisches Gutachten“ leitet. So sei beispielsweise im Strafgesetz ausdrücklich angeführt, dass ein Gutachter aus dem Fachgebiet der Psychiatrie beizuziehen ist. Bis vor einigen Jahren gab es allerdings keine entsprechende Ausbildung, sodass einschlägiges Wissen eher durch die Gutachter selbst im Praxisalltag an jüngere Kollegen weitergegeben wurde.

Keine vergleichbare Ausbildung

Hofmann zufolge gibt es viele gute Gründe für die Etablierung dieses ÖÄK-Diplomlehrgangs „Forensisch-psychiatrische Gutachten“. Zusätzlich zur Tatsache, dass es bis dahin keine vergleichbare Ausbildung gab, sind weitere Faktoren ausschlaggebend. Es gibt zu wenige und vor allem zu wenige junge Gutachter. „In der Psychiatrie hat sich vieles in Richtung Psychotherapie und Ähnliches verschoben und wenige wollen Gutachter werden“, fasst der Experte zusammen. Außerdem seien Gutachten bisher nicht entsprechend finanziell abgegolten worden. „Daher gab es zunehmend Initiativen von Seiten der psychiatrischen Community, dies zu verbessern. Es war uns auch ein Anliegen, dieses Fach attraktiver zu machen“, so Hofmann. Indem mit der Ausbildung die gutachterliche Praxis qualitativ verbessert wird, legt man die Basis für eine angemessene Entlohnung. Entstanden ist das Ausbildungscurriculum letztendlich durch die Planung von Univ. Prof. Reinhard Haller; zusammen mit Hofmann zeichnet er für die Umsetzung verantwortlich.

Die Fortbildung richtet sich an Fachärzte für Psychiatrie, Psychiatrie und Neurologie, Neurologie und Psychiatrie sowie Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und findet berufsbegleitend statt. In insgesamt 60 Unterrichtseinheiten (à 45 Minuten in fünf Blöcken) werden die wesentlichen Inhalte vermittelt:

  1. der Aufbau und das Verfassen von Gutachten inklusive Qualitätsstandards;
  2. psychologische Testverfahren;
  3. rechtliche Grundlagen;
  4. die Erstellung von Prognosegutachten und
  5. spezielle gutachterlich-prognostische Probleme und Grenzfälle.

Die formalen und strukturellen Aspekte entscheiden mit, ob ein Gutachten qualitativ überzeugend ist. „Wenn man als Arzt etwas schreibt, muss man bedenken, dass das ja auch angefochten werden kann und daher müssen Gutachter von Rechtswegen her eine Versicherung haben“, führt Hofmann aus. Deshalb ist das Wissen darüber essentiell, wie man ein qualitativ gutes und „wasserdicht“ formuliertes Gutachten anfertigt, auf das man sich guten Gewissens berufen kann. Hilfreich ist diese Kompetenz aber nicht nur für Gutachter, sondern für jeden Arzt, der Befunde verfasst und sich mit haftungsrechtlichen Fragen aus-kennen möchte.

Rechtlich gesehen stehen Hofmann zufolge vor allem die Bereiche des Strafrechts, Zivilrechts sowie des Arbeits- und Sozialrechts im Vordergrund. Bei gutachterlichen Tätigkeiten im Bereich des Strafrechts geht es vor allem um Fragen der Zurechnungsfähigkeit, Hafttauglichkeit, Vernehmungs- und Verhandlungsfähigkeit. „Es ist wichtig, zu wissen, wann jemand in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen werden muss, ob jemand inhaftiert werden kann, ob er hafttauglich ist oder ob jemand aus psychiatrischer Sicht in der Lage ist, bei einem Prozess Aussagen zu machen“, führt Hofmann aus. So gäbe es eine Vielzahl von psychiatrischen Gründen (zum Beispiel Schizophrenie), warum jemand nicht hafttauglich ist oder ob jemand einer Therapie anstatt einer Haftstrafe zugeführt werden sollte – etwa bei einer Suchterkrankung.

Im Rahmen des Zivilrechts setzt sich die gutachterliche Tätigkeit vor allem mit Fragen der Geschäftsfähigkeit auseinander: Inwiefern jemand aus psychiatrischer Sicht in der Lage ist, ein Rechtsgeschäft in seiner gesamten Tragweite zu verstehen, Vollmachten zu erteilen oder ein Testament zu verfassen. Aber auch Fragen im Pflegschaftsverfahren werden adressiert: ob beispielsweise jemand seine Kinder erziehen kann oder für seine eigenen Angelegenheiten einen gesetzlichen Vertreter benötigt. „Das sind ganz wichtige Fragen. Gerade in einer Zeit der Verrechtlichung unserer Gesellschaft spielen psychiatrische Gutachter sicher eine wichtige Rolle“, betont Hofmann. Der dritte große Bereich der gutachterlichen Tätigkeit, das Arbeits- und Sozialrecht, adressiert Fragen der Arbeitsfähigkeit, frühzeitiger Pensionsansprüche oder Rehabilitationsmaßnahmen. „Es ist ein vielschichtiges Thema und jeder einzelne Bereich wird mit einem entsprechenden Theorieteil anhand von konkreten Beispielen bearbeitet, wobei das Ganze natürlich auch sehr interaktiv ist“, so der Experte.

Kompetenznetzwerk für Gutachter

„Es ist uns gelungen, sehr erfahrene Kollegen und Kolleginnen für die Lehre an Bord zu holen“, berichtet Hofmann stolz. Ergänzt wird der Pool der Lehrenden durch erfahrene Juristen, die sich speziell mit dem Bereich der Haftung befassen. Ein weiterer Benefit ist das Kompetenznetzwerk, zu dem die Teilnehmer automatisch einen Zugang bekommen und an das sie sich mit aufkommenden Fragen jederzeit wenden können. „Wir merken, dass der Kurs sehr gerne belegt wird, weil er sehr praktisch orientiert ist und den Teilnehmern auch etwas für den klinischen Alltag bringt“, resümiert Hofmann. Zudem könne man sich viele Fortbildungsstunden anrechnen lassen. Einige Teilnehmer seien auch bereits in der Liste beim Gericht als Gutachter eingetragen.


Details zum Lehrgang

6. ÖÄK-Diplomlehrgang Forensisch-psychiatrische Gutachten

16. 10. 2020 bis 24. 4. 2021 Graz

Leiter: Univ. Doz. Dr. Peter Hofmann

Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.med.or.at/forensik

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 12 / 25.06.2020