Statinunverträglichkeit: Fingerspitzengefühl gefragt

10.02.2020 | Medizin

Statine zählen bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen zu den am häufigsten verordneten Medikamenten. Bis zu ein Drittel der Behandelten entwickelt unter einer Therapie jedoch Beschwerden. Der Wechsel zu einem anderen Präparat kann Abhilfe schaffen: Denn wer ein bestimmtes Statin nicht verträgt, verträgt ein anderes oft gut.
Irene Mlekusch

Neuesten Erkenntnissen zufolge ist in der Retention von LDL und anderen Apo B-enthaltenden Lipoproteinen in die Gefäßwand eine der Schlüsselrollen für die Entstehung der Arteriosklerose zu sehen. Daher gilt: Je niedriger der erreichte LDL-Cholesterin-Wert ist, umso niedriger ist das Risiko für künftige kardiovaskuläre Ereignisse. Statine sind als Hydroxy-methylglutaryl-CoA-Reduktasehemmer in der Lage, wirkungsvoll in die Cholesterin-Biosynthese einzugreifen. Der Vorteil von Statinen liegt aber nicht allein in der Lipidsenkung, sondern in einer Vielzahl von antiinflammatorischen, antithrombotischen, antioxidativen und antiapoptotischen Effekte wie beispielsweise in der Plaquestabilisierung oder der Umkehr der endothelialen Dysfunktion.

 

Obwohl Statine sehr gut untersucht sind und als sicher gelten, äußert etwa bis zu ein Drittel der Behandelten Beschwerden im Zusammenhang mit der Einnahme; im ungünstigsten Fall beenden sie die Einnahme. Die verringerte Einnahme von Statinen wiederum ist linear mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert. Da sich die verschiedenen Statine in ihrer Absorption, Bioverfügbarkeit, Plasmaproteinbindung, Ausscheidung und ihrer Lipophilität unterscheiden, haben sie auch ein unterschiedliches Potential zur Lipidsenkung einerseits und zum Auftreten von Nebenwirkungen andererseits. „Wer ein bestimmtes Statin nicht verträgt, verträgt oft ein anderes gut“, sagt Univ. Prof. Thomas Wascher von der 1. Medizinischen Abteilung im Hanusch Krankenhaus in Wien.

Die häufigste klinisch relevante Nebenwirkung von Statinen sind Muskelbeschwerden. Die sogenannten Statin-Assoziierten Muskelsymptome (SAMS) äußern sich in Form von Myalgien, Myopathien und Myositis. Diese Symptome sind heterogen, gehen mit einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und unter Umständen einer Erhöhung der CK einher. Die schwerste Form der muskulären Nebenwirkungen der Statintherapie stellt die Rhabdomyolyse dar; diese tritt aber mit 0,1 Prozent der Patienten selten auf. Die Rhabdomyolyse zeigt sich durch starke Muskelschmerzen und Muskelnekrosen mit Myoglobinurie sowie einem CK-Anstieg von bis >40 ULN. „Es besteht akuter Behandlungsbedarf“, verdeutlicht Assoz. Prof. Harald Sourij von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz. In weiterer Folge kann die Rhabdomyolyse zum akuten Nierenversagen und zum Tod führen. Die Statintherapie muss bei diesen Patienten sofort beendet und darf auch später nicht wieder aufgenommen werden, um das Risiko für einen Rückfall zu verhindern. Um die renale Ausscheidung von Myoglobin zu fördern und ein Nierenversagen zu verhindern, sollten die Betroffenen möglichst viel Flüssigkeit zu sich nehmen. Große klinische Studien haben gezeigt, dass sich schwere Fälle von Rhabdomyolyse mit akutem Nierenversagen eher bei Patienten mit zusätzlichen Risikofaktoren finden. Vor allem gefährdet scheinen Personen, die Statine in Kombination mit Cyclosporin, Gemfibrozil oder Proteaseinhibitoren einnehmen. Vereinzelte Fälle von Rhabdomyolyse wurden bei gleichzeitiger Einnahme von Statinen mit Niacin, Makroliden, Digoxin, Azolantimykotika oder Warfarin beschrieben.

Wascher empfiehlt, zwischen Myalgien mit und ohne biochemischen Nebenwirkungen zu unterscheiden, da viele Patienten auch ohne CK-Anstieg an deutlichen Muskelschmerzen leiden, die ernst genommen werden müssen. Dies betrifft etwa zehn bis 15 Prozent der Patienten unter Statin-Therapie. Sourij führt die höhere Häufigkeit für SAMS in Beobachtungsstudien im Vergleich zu Placebo-kontrollierten Studien auf den Nocebo-Effekt zurück, da einige Patienten Statinen gegenüber eine negative Erwartungshaltung aufweisen. „Manchmal treten atypische Beschwerden auf, nachdem die Patienten den Beipacktext gelesen haben“, gibt Wascher zu bedenken. Und weiter: „Beginnt man mit einer niedrigen Dosis, sind Statine oft besser verträglich.“

Die Pathophysiologie von SAMS ist nicht vollständig geklärt. Genetische Untersuchungen konnten eine starke Assoziation zwischen Polymorphismen im SLCO1B1-Gen und SAMS vor allem unter Simvastatin und weniger ausgeprägt unter Atorvastatin aufdecken. Heterozygote Träger haben ein 4,5-fach erhöhtes Risiko und homozygote Träger ein 17-fach erhöhtes Risiko für Muskelbeschwerden unter Simvastatin. Auch Variationen des Cytochrom P450 Gens wie CYP3A4, CYP3A5 und der CYP2D6 Phänotyp scheinen für Patienten, die mit Simvastatin behandelt werden, eine Rolle zu spielen in Bezug auf das Ausmaß der Lipidsenkung und die Verträglichkeit. Abgesehen von einer Vielzahl von Mechanismen auf molekularer Ebene, die diskutiert werden, hat sich eine Reihe klinischer und konstitutioneller Risikofaktoren herauskristallisiert. Sourij beschreibt eine Prädisposition bei Patienten, die älter als 75 bis 80 Jahre sind, an akuten Infektionen, unbehandelter Hypothyreose oder vorbestehenden neuromuskulären Erkrankungen leiden. Weitere Risikofaktoren stellen das weibliche Geschlecht, ein niedriger BMI, asiatische Abstammung, eingeschränkte Nieren- und/oder Leberfunktion, Transplantationen, Traumata, HIV, Diabetes mellitus, ausgeprägter Vitamin-D-Mangel, hohe körperliche Aktivität wie Ausdauersport oder Krafttraining, Alkoholabusus und übermäßiger Genuss von Grapefruitsaft oder Cranberries, da diese die Ausschüttung von intestinalem CYP3A4 hemmen.

Des Weiteren steigt das Risiko für SAMS bei der gleichzeitigen Einnahme von Medikamenten, die CYP3A4 oder SLCO1B1 inhibitieren. Dazu gehören Cyclosporin, Makrolid-Antibiotika, Antimykotika, Kalziumkanalblocker, Amiodaron, HIV- und HCV-Proteaseinhibitoren, Fibrate, Warfarin, Niacin, Fusidinsäure oder Colchicin. Das Potential, Muskelbeschwerden zu verursachen, variiert unter den verschiedenen Statinen. Das geringste Risiko besteht bei Fluvastatin, Pravastatin und Pitavastatin, da diese Statine nicht über CYP3A4 metabolisiert werden. Umgekehrt ist das Risiko für SAMS bei der Einnahme von Lovastatin, Simvastatin und Atorvastatin erhöht. Zusätzlich steigt das Risiko für SAMS mit höheren Statin-Dosierungen exponentiell an. In klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die Inzidenz für Myositis unter Simvastatin 20 mg/d bei 0,02 Prozent liegt und bei 40 mg täglich auf 0,07 Prozent und bei der Einnahme von 80 mg pro Tag sogar auf 0,3 Prozent ansteigt. Sourij dazu: „Simvastatin sollte in einer Dosis von 80 mg nicht gegeben werden.“ Wascher sieht in Rosuvastatin das allgemein am besten verträgliche Statin.

Proximale symmetrische Schmerzen

Als Hinweis für SAMS sieht Sourij proximale symmetrische Schmerzen in zeitlicher Nähe nach der Therapieeinleitung der Statine. Die Muskeln können sich schwach anfühlen, wie bei einem Muskelkater oder werden als steif beschrieben; auch funktionelle Einschränkungen, Krämpfe und Sehnenschmerzen sind möglich. „Bei Muskelbeschwerden und CK-Erhöhungen bis zu vierfach ULN sollte auch nach anderen Ursachen für die Symptome gesucht werden“, sagt Sourij. Die Erhöhung der CK ist weder sensitiv noch spezifisch für SAMS. Beide Experten raten – in Abhängigkeit vom Leidensdruck des Patienten -, die Statintherapie abzusetzen und abzuwarten. Für SAMS spricht, dass der CK-Anstieg innerhalb von wenigen Wochen nach Beendigung der Statineinnahme wieder abfällt und sowohl die Symptome als auch der CK-Wert wieder steigen, sobald die Therapie fortgesetzt wird. Andererseits kann eine bereits bestehende asymptomatische oder subklinische Myopathie anderer Genese durch die Einnahme von Statinen demaskiert werden. In diesem Fall bessern sich weder die CK-Erhöhung noch die Symptomatik. Ein EMG kann bei diesen Patienten differentialdiagnostisch weiterführend sein. Wascher verwendet zur Abschätzung von SAMS den Kriterienkatalog nach Rosenson, der die Diagnose nach einem Punkteschema in unwahrscheinlich, möglich und wahrscheinlich einteilt.

Statin-Intoleranz sehr selten

Ganz generell ist ein Großteil der Muskelbeschwerden von Patienten unter Statintherapie nicht Statin-assoziiert. Mehr als 90 Prozent der Patienten, die an SAMS leiden, sind nach Anpassung der Statintherapie durch Änderung des Statin-Präparats, der Dosierung oder Einnahmefrequenz wieder in der Lage, langfristig Statine einzunehmen. Somit bleiben lediglich drei bis fünf Prozent der Patienten, die tatsächlich an einer Statin-Intoleranz leiden. Wascher selbst berichtet, dass er in der Schwerpunktambulanz am häufigsten unspezifische Nebenwirkungen sieht: „Die Patienten fühlen sich einfach nicht wohl, sollten auf jeden Fall ernst genommen und gemeinsam nach einer Lösung für das Problem gesucht werden.“ Nach dem Absetzen sollte die Re-Exposition vorsichtig mit einer geringeren Dosis erfolgen. Aus psychologischen Gründen kann der Switch auf ein anderes Statin hilfreich sein. „Manchmal bleiben die Beschwerden bestehen und der Patient ist bereit, das Statin zu akzeptieren“, erklärt Wascher. Wichtig sei es jedenfalls, sich zusammen mit dem Patienten an die höchste verträgliche Statindosis heranzuarbeiten beziehungsweise festzustellen, was der Patient willens ist, zu vertragen.

Grundsätzlich sollten Statine täglich eingenommen werden, da diese Form der Medikation am besten untersucht wurde. Um die Akzeptanz eines Statins zu verbessern, kann alternativ auch eine Einnahme nur jeden zweiten Tag oder seltener vereinbart werden. Aufgrund der längeren Halbwertszeit eignen sich dafür Atorvastatin und Rosuvastatin. Trotzdem ist bei längeren Einnahme-Intervallen unter Umständen ein ungünstiger Einfluss auf die Einnahmetreue gegeben. Wascher beschreibt diesen Prozess als aufwendige auf psychischer Ebene stattfindende Interaktion mit dem Patienten, die absolut notwendig ist: „Jede Statindosis ist vor allem für Risikopatienten wichtig, da sie die Grundlage für spätere Kombinationstherapien mit zum Beispiel PCSK-9-Hemmern darstellen.“

Innerhalb der ersten drei Monate einer Statintherapie kann es bei 0,5 bis zwei Prozent der Behandelten zu einem Anstieg der Leberenzyme kommen. „Klinisch relevant ist ein Anstieg der ALT um mehr als das Dreifache ULN“, bestätigt Sourij. Diese Nebenwirkungen finden sich vor allem bei potenteren Statinen und Statingaben in höheren Dosen. Obwohl eine Progression bis zum Leberversagen überaus selten ist, empfiehlt es sich, bei klinisch relevanten Erhöhungen der Leberenzyme das Statin zu wechseln oder die Dosis zu reduzieren.

Statine dürften mit einer geringen Häufigkeit zu Proteinurien führen; dies betrifft vor allem Behandlungen mit Rosuvastatin und Simvastatin in höheren Dosierungen. Für Rosuvastatin in einer Dosis von 80 mg pro Tag wurde eine Proteinurie bei zwölf Prozent der Patienten erhoben. In klinischen Studien war die Häufigkeit eine Proteinurie zu entwickeln im Allgemeinen niedrig und in den meisten Fällen nicht höher als für Placebo.

Diabetes-Risiko erhöht

Die Therapie mit Statinen geht mit einem erhöten Risiko, an Diabetes mellitus zu erkranken, einher. Dieser Effekt stellt sich ebenfalls dosisabhängig und vor allem bei hochpotenten Statinen dar. Weitere prädisponierende Faktoren sind ein höheres Alter, Übergewicht, Insulinresistenz und eine genetisch bedingte Reduktion der Hydroxymethylglutaryl-CoA-Reduktase Aktivität. Insgesamt aber stellt das geringere Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis bei Hochrisikopatienten unter Statintherapie einen höheren Nutzen dar und wiegt somit die geringfügig erhöhte Wahrscheinlichkeit auf, an Diabetes mellitus zu erkranken.

Wird der LDL-Zielwert mit der höchsten tolerierten Dosis an Statinen nicht erreicht, bedarf es vor allem bei Hochrisikopatienten einer Kombinationstherapie mit weiteren Lipidsenkern. „Beim LDL-Cholesterin bleibt das Statin das Rückgrat der Therapie und jede weitere Medikation ist als Ergänzung zu sehen, um den Patienten so nahe wie möglich an seinen Zielwert zu bringen“, so Wascher. Sourij führt als Substanzen für die Kombinationstherapie Ezetimib, Gallensäure-bindende Ionenaustauscher wie Colesevelam und die PCSK9-Inhibitoren an. „Die Ernährung spielt zwar ebenfalls eine Rolle. Aber mit einer gesunden Ernährungsweise lässt sich in Abhängigkeit vom ursprünglichen Lebensstil eine LDL-Reduktion von maximal 15 bis 20 Prozent erreichen“, betont Wascher. Ergänzend zur Cholesterin-Senkung wird der Einsatz von Nutrazeutika wie rotem Hefereis, Phytosterolen und Omega-3-Fettsäuren diskutiert. Ein weiterer Wirkstoff, der das LDL-Cholesterin signifikant reduzieren kann, ist Bempedoinsäure. In Phase III-Studien stellte sich der Wirkstoff als gut verträglich dar, wobei als Monotherapie eine LDL-Reduktion um circa 30 Prozent und in Kombinationstherapie mit Ezetimib an die 50 Prozent zu erwarten ist. ◉

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2020