Eisenmangel bei Kindern: Wachstumsschub verbraucht Eisenreserven

10.09.2020 | Medizin

Die Besonderheit des Eisenmangels bei Kindern liegt darin, dass die Hämoglobin-Werte je nach dem Alter differieren. Im Gegensatz zu vielen anderen – oftmals ärmeren – Ländern, wo Mangelernährung die Ursache für den Eisenmangel ist, liegt ihm in unseren Breiten oft Fehlernährung zugrunde – vor allem bei veganer Ernährung.
Sophie Fessl

Global gesehen sei Eisenmangel im Kindesalter ein großes Problem, erklärt Univ. Prof. Roman Crazzolara von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Innsbruck. „In reichen Ländern sind zwischen zehn und 15 Prozent der Kinder von einem Eisenmangel betroffen. Allerdings gibt es Länder, in denen ein wesentlich höherer Anteil der Kinder von diesem Mangel betroffen ist. Eisenmangel ist daher ein häufiges und wichtiges Problem.“ Wie viele Kinder in Österreich an einem Eisenmangel leiden, ist nicht genau bekannt. Die hohe Rate an Eisenmangel bei Kindern – auch in industrialisierten Ländern – liegt am hohen Eisenbedarf in dieser Altersgruppe, erläutert Crazzolara. „Es liegt in erster Linie daran, dass Kinder wachsen. Klassischerweise gibt es zwei starke Wachstumsphasen, in denen der Körper mehr Eisen benötigt: zwischen dem sechsten Monat und dem dritten Lebensjahr sowie im Teenageralter.“

Besonders häufig tritt Eisenmangel bei Kleinkindern und beim weiblichen Teenager auf; allerdings entsteht nur bei einem Teil dieser Eisenmangel-Patienten eine Anämie. „Allgemein betrachtet ist der Eisenmangel die häufigste Ursache der Anämie, aber Anämie tritt bei wachstumsbedingtem Eisenmangel nicht immer auf“, weiß Crazzolara. Auch Univ. Prof. Christoph Gasche, Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie, betont den erhöhten Bedarf im Kindesalter. „Der pubertäre Wachstumsschub saugt die Eisenreserven leer. In dieser Zeit ist fast immer ein Eisenmangel vorhanden. Allerdings ist dieser nicht unbedingt zu behandeln, denn vielfach regelt sich das Problem durch den Eisenstoffwechsel.“

Altersvariabler Eisenbedarf

In der Pädiatrie ist dabei die Besonderheit, dass die Hämoglobin-Werte je nach Alter unterschiedlich sind. Während der Normalwert bei einem einwöchigen Neugeborenen 19,3 g/dl beträgt, liegt der Normalwert bei einem zehnjährigen Kind bei 13,4 g/dl. „Es ist also bei Kindern besonders wichtig, die altersgemäß abweichenden Hämoglobin-Werte im Auge zu behalten. Im Erwachsenenalter besteht so eine altersabhängige Änderung nicht mehr“, betont Crazzolara.

Der menschliche Körper benötigt pro Tag maximal ein bis zwei Milligramm Eisen, während der gespeicherte Eisengehalt des Körpers zwischen 30 und 50 mg Eisen pro Kilo beträgt. Eisenverlust erfolgt hauptsächlich durch das Abschilfern von Epithelien, Haut und Schleimhäuten sowie durch Blutverlust. „Der Eisenstoffwechsel ist also grundsätzlich robust. Pro Tag verliert der Körper nur einen äußerst geringen Teil des benötigten Eisens“, erklärt Crazzolara.

Eisen wird fast ausschließlich als zweiwertiges Eisen im Duodenum resorbiert, die resorbierte Menge hängt auch vom individuellen Versorgungsstatus ab. Bei gefüllten Eisenspeichern wird zwischen fünf und zehn Prozent der aufgenommenen Eisenmenge tatsächlich resorbiert; bei Eisenmangel ist eine Steigerung der Resorption auf 20 bis 30 Prozent möglich. „Wenn man sich also normal nach WHO-Kriterien ernährt, kann sich der Körper problemlos das benötigte Eisen holen“, so Crazzolara.

„In manchen ärmeren Ländern entsteht Eisenmangel durch Mangelernährung, in unseren Breiten aber durch Fehlernährung“, berichtet Crazzolara aus der Praxis. „Subjektiv betrachtet hat man den Eindruck, dass sich die Fälle vor allem in sich vegan ernährenden Familien häufen. Hier kommen immer wieder Kinder mit wirklich schlechten Befunden. In Anbetracht der Zahlen ist das ein großes Thema für jede Praxis.“

Nach der Ernährung ist die zweithäufigste Ursache für Eisenmangel die verminderte Resorption von Eisen in Rahmen von Zöliakie, rheumatischen Erkrankungen sowie chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Chronischer Blutverlust – etwa durch starke Menstruationsblutung im Teenageralter oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen – ist ein weiterer Grund für Eisenmangel. „Kinder mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen verlieren häufig gastrointestinal Blut und benötigen daher immer wieder Eisen“, erklärt Gasche. „Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen zeigt der Eisenmangel sogar den Schweregrad der Erkrankung an und ist eine Indikation dafür, dass eine Darmspiegelung zur Abklärung einer gastrointestinalen Blutung durchgeführt werden muss.“ Letztlich können genetische Ursachen für den Eisenmangel verantwortlich sein. So wurden durch verfeinerte molekulargenetische Untersuchungen seltene Erkrankungen des Eisenstoffwechsels entdeckt wie das IRIDA-Syndrom (Iron-refractory iron deficiency anemia), eine Eisen-refraktäre Eisenmangelanämie.

Die Symptome eines Eisenmangels sind bei Kindern weniger stark ausgeprägt als bei Erwachsenen, berichtet Gasche. „Wesensveränderungen stehen im Vordergrund wie verstärkte Schläfrigkeit. Diese werden aber bei kleinen Kindern weniger wahrgenommen.“ Crazzolara führt als Hauptsymptome die Blässe an, die den klinischen Eindruck bestimmt. Chronische Müdigkeit, Lern- und Konzentrationsschwächen kommen bei schwerem Eisenmangel hinzu. „Mundwinkelrhagaden, verstärkter Haarausfall, brüchige Nägel und Zungenatrophie sind Symptome, die bei einer genaueren Betrachtung des Patienten auffallen“, berichtet Crazzolara. Beide Experten führen an, dass Eisenmangel kognitive Folgen haben könnte. „Die Daten dazu sind kontrovers. Es wäre aber ein schwerwiegender Befund, wenn ein Kind durch Fehlernährung kognitive Nachteile erleidet“, betont Crazzolara.

Hämoglobin-Bestimmung ist ein Muss

Ein diagnostisches Muss bei Verdacht auf einen Eisenman-gel ist die Bestimmung des Hämoglobin-Werts, für den altersgemäß unterschiedliche Normwerte gelten, sowie eine Bestimmung des Mittleren korpuskulären Volumens (MCV). „Wenn ein Kind bis zu 3 g/dl vom idealen medianen Wert abweicht, sollte der Fall in der Praxis gelöst werden“, empfiehlt Crazzolara. „Ist die Abweichung größer, würde ich den Patienten einer Spezialklinik zuweisen, denn dann hat der Eisenmangel womöglich eine schwerwiegendere Ursache.“ Eine Bestimmung des Speichereisens in Form des Ferritin-Werts kommt als nächster Schritt hinzu, ist aber laut Crazzolara bei Kindern nicht zwingend notwendig, um häufiges Blutabnehmen sowie die Abnahme eines größeren Blutvolumens bei Verdacht auf Anämie zu vermeiden. „Liegt der Ferritin-Wert bei unter 30 µg/l, ist der Eisenmangel sehr wahrscheinlich. Liegt er darüber, muss man in der Interpretation allerdings vorsichtig sein, da der Wert häufig im Rahmen von Entzündungen erhöht ist.“  Eine Bestimmung des Transferrin-Werts ist weiters möglich.

Wichtig sei, nach den zugrundeliegenden Ursachen zu suchen, da diese einen Einfluss auf die Therapie haben. „Ist der Eisenmangel alimentär bedingt, kann er leicht behoben werden. Liegt keine Fehlernährung vor, könnten Eisenresorptions-Störungen wie Zöliakie, eine Autoimmungastritis oder chronisch entzündliche Darmerkrankungen der Grund sein.“ Tatsächlich ist bei Kindern ein Eisenmangel oft das erste Anzeichen einer Zöliakie, berichtet Gasche aus der Praxis. „Bei Zöliakie sind Kinder oft nicht symptomatisch, zeigen aber eine Eisenmangel-Anämie. Daher ist bei Patienten mit Eisenmangel die Abklärung einer möglichen Zöliakie ein erster Ansatzpunkt.“ Sind weder Alimentation noch eine Eisenresorptions-Störung für den Eisenmangel verantwortlich, kann eine genetische Untersuchung darüber Aufschluss geben, ob ein genetisch bedingter Defekt der Eisenregulation wie das IRIDA-Syndrom vorliegt, da dies auch Auswirkungen auf die Behandlung hat.

Pragmatische Vorgangsweise hilft

Bei alimentär-bedingtem Eisenmangel hat die Ernährungsberatung einen wichtigen Stellenwert, betont Crazzolara mit besonderem Augenmerk auf die Bioverfügbarkeit von Eisen. Allerdings empfiehlt er bereits bei Verdacht auf Fehlernährung und einer minimalen Abweichung der relevanten Werte eine orale Eisensubstitution mit zweiwertigem Eisen; bei Kindern in einer Dosis von 2-6 mg/kg pro Tag. Nach zwei Wochen Therapie erfolgt eine Kontrolle des Hämoglobin-Werts. „Ist der Wert gestiegen, kann der Patient weiter vom niedergelassenen Arzt betreut werden und zehn weitere Wochen mit oraler Eisensubstitution therapiert werden. So kann ein Großteil der Patienten pragmatisch und günstig behandelt werden.“

Steigt der Hämoglobin-Wert nach zwei Wochen oraler Eisensubstitution nicht oder weicht der Hämoglobin-Wert um mehr als 3 g/dl vom Idealwert ab, empfiehlt Crazzolara, an eine Klinik zu überweisen, da „Probleme mit der Eisenresorption nicht mittels oralem Supplement gelöst werden können.“ Außerdem werde im Hinblick auf Hämoglobinopathien abgeklärt – darunter Sichelzellanämie und Thalassämie.

Bei Kindern mit Eisenresorptionsstörungen oder gastrointestinalen Blutungen ist eine parenterale Gabe von Eisen notwendig. Gasche dazu: „Die Effizienz der oralen Therapie liegt bei fünf Prozent, die der parenteralen Therapie bei 99 bis 100 Prozent. Die negative Eisenbilanz bei Kindern mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen kann durch die alleinige orale Therapie oft nicht ausgeglichen werden, vor allem wenn es zu einem aktiven Verlust durch Blutungen kommt.“ Außerdem bedingen die Nebenwirkungen der oralen Eisentherapie wie Konstipation und Magenschmerzen, dass diese nicht bei Patienten mit gastrointestinalen Grunderkrankungen eingesetzt werden sollte.

Bei der parenteralen Eisensubstitution kann es abhängig vom Präparat und der Verabreichungsart zu Nebenwirkungen kommen, erläutert Gasche. „Werden labile oder semistabile Komplexe mehrere Stunden vor der Transfusion vorbereitet, so wird Eisen freigesetzt. Hier kann es zu einem Capillary-Leak-Syndrom kommen, einer toxischen Reaktion aufgrund des freien Eisens.“ Dextranhaltige Formulierungen hingegen bergen aufgrund der Molekülgröße des Dextrans das Risiko einer allergischen Reaktion. „In heutigen Präparaten wird allerdings deutlich besser verträglicher Zucker verwendet. Der Anteil der allergischen Reaktionen liegt unter ein Prozent.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2020