COVID-19: Impstoff – Zurückhaltende Prognosen

10.05.2020 | Coronavirus, Medizin


Die Tatsache, dass die natürliche Infektion möglicherweise keine lang dauernde Immunität oder gar keine belastbare Immunität hinterlässt, ist eine der großen Herausforderungen bei der Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs. Experten beurteilen ein verkürztes Zulassungsverfahren als schwierig – dauert die Entwicklung eines Impfstoffs doch normalerweise rund zwölf Jahre.

Laura Scherber

Die Impfstoffentwicklung braucht Zeit, weil sie einfach bestimmte Kriterien erfüllen muss“, betont Univ. Prof. Ursula Wiedermann-Schmidt vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Medizinischen Universität Wien. Im Normalfall rechnet man mit einem Zeitraum von etwa zwölf Jahren von der Entwicklung im Labor bis hin zur Zulassung. Schließlich dauern allein die Phasen der Substanzentwicklung und der präklinischen Studien in der Regel sechs bis sieben Jahre. Konnte ein Impfstoffkandidat in den präklinischen Tierversuchen gute Ergebnisse liefern, wird in den klinischen Phasen die Sicherheit (Phase I-Studie), die Immunogenität inklusive Dosis-Untersuchung (Phase II-Studie) und die Wirksamkeit (Phase III-Studie) überprüft. Der Vorteil von COVID-19 ist der Professorin für Vakzinologie zufolge, dass verschiedene Strukturen und Konstrukte vorhanden sind, die im Zuge der verwandten Corona-Viren SARS-1 und MERS entwickelt wurden und auf denen man jetzt aufbauen kann. So standen bereits innerhalb weniger Monate verschiedene Kandidaten zur Verfügung, von denen sich einige mittlerweile in den ersten Phase I-Studien befinden. Zwei Technologien sind in der COVID-19-Impfstoffentwicklung am weitesten fortgeschritten: Adenoviren- und RNA-Impfstoffe. Bei der sogenannten Vektorentechnologie werden Adeno-Viren (meistens von Schimpansen) verwendet, die zwar zu einer Infektion führen, für den Menschen aber nicht pathogen sind.

„In diesen Schimpansen-Adeno-Virus baut man genetisches Material ein, das für bestimmte Antigene des neuen Corona-Virus kodiert“, erklärt Univ. Prof. Herwig Kollaritsch, Facharzt für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin in Wien. Da dieser neue Vektor dadurch für unser Immunsystem wie ein Corona-Virus aussieht, bildet der menschliche Organismus Antikörper. Ein zweiter vielversprechender Ansatz ist die Entwicklung eines RNA-Impfstoffes. Dabei wird genetisches Material des Virus direkt in körpereigene Zellen eingebracht, sodass der Organismus das Antigen daraufhin selbst produziert und in der Folge auch entsprechende Antikörper. „Ein RNA-Impfstoff hat den wesentlichen Vorteil, dass er grundsätzlich vollsynthetisch herstellbar und dadurch billig, nahezu unbegrenzt und schnell produzierbar ist“, weiß Kollaritsch. Verglichen damit ist die Herstellung von Vektoren-Impfstoffen viel komplizierter, da sie erst gezüchtet werden müssen. „Der einzige Nachteil von RNA-Impfstoffen ist, dass es auf der Basis von DNA- und RNA-Vakzinen bisher noch kein einziges lizenziertes Produkt gibt“, wirft Wiedermann-Schmidt ein. Zwar gibt es einige Ansätze bei Krebs-Vakzinen, zu denen auch klinische Studien laufen, jedoch kann man bei dieser Gruppe neuartiger Impfstoffe auf keine früheren Erfahrungswerte zurückgreifen. Neben den RNA- und Adenovirus-Impfstoffen werden derzeit gegen COVID-19 auch Protein- und Adjuvantien-Impfstoffe entwickelt, die gerade die Immunantwort in den Risikogruppen verstärken sollen.

Auch wenn die Phasen der Substanzentwicklung und der präklinischen Versuche im aktuellen Fall durch die vorhandenen Impfstoff-Plattformen verkürzt werden konnten, sind realistische Prognosen über die Dauer bis zur Zulassung eines potentiellen COVID-19-Impfstoffs nicht möglich. Die Überprüfung der Sicherheit, Immunogenität und Wirksamkeit ist wie bei jedem anderen Impfstoff unabdingbar. „Zulassungsverfahren können dann beschleunigt werden, wenn man auf einem bereits lizenzierten Produkt aufbaut wie zum Beispiel bei Influenza-Impfstoffen“, erklärt Wiedermann-Schmidt. Dies ist aber bei COVID-19 nicht der Fall, weshalb die Expertin ein verkürztes Zulassungsverfahren für eher unwahrscheinlich hält. Beim pandemischen Influenza-Impfstoff habe es außerdem aufgrund des verkürzten Zulassungsverfahrens Schwierigkeiten mit der Compliance der Probanden – vor allem bei Kindern – gegeben. Kollaritsch hält es hingegen für möglich, dass die Studien im Rahmen einer vorläufigen Zulassung des Impfstoffes möglicherweise parallel gehandhabt werden. Am Ende stelle sich allerdings die Frage, welche Zielpopulation man erreichen möchte, so Wiedermann-Schmidt. So kann man sich zum einen auf die Risikogruppen konzentrieren oder zum anderen auf die Personen, die besonders für die Weitertragung der Erkrankung verantwortlich sind, was bei COVID-19 noch nicht eindeutig geklärt ist.Hinzu kommen bestimmte Unsicherheiten, die mit der Entwicklung des COVID-19-Impfstoffs einhergehen und zu überwinden sind. So muss der Impfstoff besonders für Risikogruppen gut wirksam sein, bei denen es sich meistens um ältere Menschen handelt, die eine nicht mehr dem Normalfall entsprechende Immunantwort haben. Eine zweite Herausforderung ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Teil der Personen, die die Erkrankung bereits durchgemacht hat, keine oder nur geringe Mengen von neutralisierenden Antikörpern ausgebildet haben. „Das bedeutet, dass die natürliche Infektion bei einem Teil der Personen offenbar keine lang andauernde oder möglicherweise gar keine belastbare Immunität hinterlässt“, konkludiert Kollaritsch. Wiedermann-Schmidt sieht das anders: „Wir wissen bis jetzt viel zu wenig von der Qualität und Dauer der Immunität, vor allem auch bei Personen mit milden Verläufen. Es wurden erst jetzt Studien begonnen, in denen besonders nicht hospitalisierte, oligo- oder asymptomatische Personen untersucht werden.“ Zweitens spielten möglicherweise nicht nur neutralisierende Antikörper, sondern auch die zelluläre Immunität eine wichtige Rolle. Diese Überlegungen sind auch entscheidend für die jeweiligen Vakzinekandidaten, die möglicherweise für unterschiedliche Zielpopulationen unterschiedlich ausschauen müssen. Im Vergleich zur natürlichen Infektion wird es notwendig sein, mit dem Impfstoff möglichst viele neutralisierende Antikörper und eine bessere Immunantwort zu erzielen. Aus der bisher beobachteten verminderten Immunantwort resultiert ein weiteres Problem, das von anderen Erkrankungen, wie dem Dengue-Fieber bekannt ist: die Antikörper-abhängige Verstärkung (englisch „Antibody-dependent enhancement“). Wird mit einer Impfung kein vollständiger Schutz erreicht, kann es zu einer Verstärkung der klinischen Symptomatik und einem schwereren Krankheitsverlauf kommen, wenn man mit der natürlichen Infektion in Kontakt kommt. Wiedermann-Schmidt sieht dafür bislang nur eine von vielen diskutierten Hypothesen: „Es gibt für ADE genauso die Gegenargumente aus der Klinik, die zeigten, dass die Anwendung von Seren von gesundeten Patienten – also convalescent sera –, die neutralisierende Antikörper enthalten, zu keinerlei Verschlechterung oder Nebenwirkungen geführt haben.“ Von der Erregerseite ist für eine längerfristige Wirksamkeit außerdem die Mutationsfreudigkeit des Virus zu bedenken, erklärt Kollaritsch. Wiedermann-Schmidt dazu: „Die Mutationsfreudigkeit von Influenzaviren ist bekannt, bislang aber nicht von Coronaviren generell und CoV2 im Speziellen. Mutationen treten in der Regel erst auf, wenn der Immunitätsdruck in der Bevölkerung steigt. Ob das im Fall einer CoV2-Impfung mit breite Anwendung eintritt, lässt sich zur Zeit schwer einschätzen.“

Wirksamkeit erheben

Um die Wirksamkeit eines Impfstoffs zu erheben, kann man sich einer rein immunologischen Studie oder einer Effektivitätsstudie bedienen. Die erste Methode, mit einem Neutralisationstest und damit Surrogatmarker auf die tatsächliche Wirksamkeit einer Impfung in vivo zu schließen, ist nicht ganz unumstritten, bei einem beschleunigten Zulassungsverfahren aber einfacher. Goldstandard ist allerdings die Effektivitätsstudie, bei der wiederum andere Punkte zu berücksichtigen sind. „Erstens einmal stellt sich die Frage, ob es ethisch vertretbar ist“, betont Kollaritsch. Und weiter: „Wenn ich starke Anhaltspunkte dafür habe, dass ein Impfstoff wirksam ist, dann kann ich mir aus ethischen Gründen nur schwer eine Kontrollgruppe leisten, die ich nicht impfe, weil die dann eindeutig benachteiligt ist“. Außerdem spielt die epidemiologische Situation eine große Rolle für die Aussagekraft der Wirksamkeitsstudie, da bei einer geringen Inzidenz von Erkrankungen viel größere Gruppen benötigt werden, um Aussagen über die Impfeffektivität zu treffen.

Wann es einen COVID-19-Impfstoff geben wird, ist noch ungewiss. Bis dahin ergeben sich aber noch andere Optionen wie die passive Immunisierung mit Hyperimmunglobulinen. Verwendet werden dazu Seren von Personen, die die Erkrankung bereits durchgemacht und neutralisierende Antikörper gebildet haben. Diese werden Risikogruppen zur Verfügung gestellt, damit sie in einer kritischen Zeit geschützt sind, in der besonders viel Erkrankungs-Weitertragung erfolgt. „Ein weiterer Aspekt sind die sogenannten Konvaleszenz-Seren von Menschen, die gesundet sind, die an Erkrankte übertragen werden, um den Heilungsprozess zu fördern“, erklärt Wiedermann-Schmidt. Denkbar ist auch die Produktion von monoklonalen Antikörpern, indem man die neutralisierenden Antikörper gentechnologisch herstellt. Solange die Ausbreitung von COVID-19 noch überall möglich ist und keine Therapien oder Prophylaxen existieren, wird das Reisen immer dazu beitragen, dass sich das Virus verbreiten kann. „Wir stecken mitten in der Analyse, wie der Status in den verschiedenen Ländern ist, wo es noch Ausbrüche gibt und inwiefern die Herdenimmunität vorhanden ist oder nicht“, berichtet Wiedermann-Schmidt. Daher werde man gewisse Vorsichtsmaßnahmen noch länger beibehalten. „Früher oder später wird der Reiseverkehr natürlich wieder aufgenommen, aber ich kann mir vorstellen, dass Sicherheitsvorschriften im internationalen Reiseverkehr auf eine entsprechende Testung ausgedehnt werden“, fügt Kollaritsch hinzu. Bisher seien die vorhandenen Antikörper-Tests aber noch zu schlecht, um das auf individueller Basis verlässlich zu erlauben. Wiedermann-Schmidt ergänzt: „Hierauf konzentrieren sich aber die jetzt laufenden Studien, um sobald wie möglich verlässliche und vor allem ausreichend verfügbare Antikörper-Messsysteme zur Verfügung zu haben“.

 

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2020