Chronisch entzündliche Darmerkrankungen: Karzinomrisiko – Entzündung eindämmen

10.05.2020 | Medizin


Das höchste Risiko, ein Kolorektalkarzinom zu entwickeln, haben vor allem diejenigen Patienten mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, bei denen die Erkrankung in jungem Alter beginnt mit einem Hauptbefall im Dickdarm. Die beste Prävention besteht darin, die Entzündung einzudämmen.

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen führen als relapsierende und destruierende Erkrankungen je nach Ausdehnung und Schweregrad über die Zeit zu einer irreversiblen Schädigung am Verdauungstrakt“, betont Univ. Prof. Herbert Tilg von der Universitätsklinik für Innere Medizin I in Innsbruck. „Daher haben Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, abhängig von Krankheitsdauer und Krankheitsschwere, ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines kolorektalen Karzinoms“, fügt Univ. Prof. Alexander Klaus von der Abteilung für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie der Barmherzigen Schwestern Wien hinzu. „Global gesehen beträgt das Risiko für CED-Patienten ungefähr 0,5 auf 1.000 Personenjahre. In einem Beobachtungszeitraum von einem Jahr haben also 0,5 von 1.000 Patienten mit Morbus Crohn ein Karzinom entwickelt.“ Tilg betont jedoch, dass die Datenlage zu Morbus Crohn generell eher dürftig sei und der Zusammenhang vor allem für Colitis ulcerosa gelte. Außerdem fügt er hinzu, dass diese Komplikation durch zunehmend bessere medikamentöse Therapien weniger wurde. Aufgrund der Breite des Formenkreises chronisch entzündlicher Darmerkrankungen weicht das individuelle Risiko allerdings ab. Besondere individuelle Risikofaktoren sind der Krankheitsbeginn, die Krankheitsdauer sowie die Ausdehnung des Befalls. „Ein Patient mit Morbus Crohn mit ausschließlichem Befall von Magen, Dünndarm und/oder Zwölffingerdarm hat kein erhöhtes Risiko, ein kolorektales Karzinom zu entwickeln. Bei ausgeprägtem Befall des Kolons besteht allerdings ein viel höheres Risiko“, sagt Klaus. Das höchste Risiko ein Karzinom zu entwickeln, habe ein Patient, bei dem die Erkrankung in jungem Alter beginnt und der einen Hauptbefall im Dickdarm aufweise. „Das gilt sowohl für Morbus Crohn als auch für Colitis ulcerosa“, betont Klaus.

Ursächlich für die Entstehung eines Karzinoms ist die Entzündung des Darms. „Der Morbus Crohn kann im gesamten Magen-Darm-Trakt vorkommen, am häufigsten aber im Ileozökalbereich. Je nach Lokalisation unterscheidet man einen Befall im Dünndarm, im Dickdarm oder sowohl als auch. Zusätzlich kommt es bei bis zu 20 bis 30 Prozent der Patienten mit Morbus Crohn im Laufe der Erkrankung zur Ausbildung von perianalen Fisteln“, berichtet Tilg. Der Morbus Crohn wiederum ist durch eine transmurale Entzündung, die alle Wandschichten betrifft, gekennzeichnet. Tilg weiter: „Dies ist auch die Basis für mögliche intestinale Komplikationen wie Stenosen und innere Fisteln oder Abszesse“. Generell sollen bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa Blutabnahme und Stuhluntersuchungen folgen, um etwa bakterielle Infektionen wie Campylobacter jejuni auszuschließen. Die Laborbestimmungen sollten vor allem Differentialblutbild, C-reaktives Protein, Eisenstatus, Stuhlkulturen und Bestimmung von fäkalem Calprotectin umfassen. Letzteres sei ein sehr sensitiver und für den Darm spezifischer Entzündungsparameter. „Die dann zur Diagnose einer CED führenden Untersuchungen sind vor allem die Ileokolonoskopie mit Biopsien, die MRI-Enterografie, der Abdomenultraschall und die Endoskopie. Das heißt eine Gastroskopie für Morbus Crohn und Koloskopie für beide Erkrankungen“, berichtet Tilg. Endoskopisch sind bei einem aktiven Morbus Crohn Ulcera zu erkennen, die eventuell von relativ unauffällig wirkender Schleimhaut umgeben sind. Im Unterschied dazu besteht bei der Colitis ulcerosa eine gleichmäßige Entzündung, die auch Ulcera beinhalten kann. „Die Entzündungsherde in der Schleimhaut sind ein chronischer Reiz, der über die Jahre zur Zellentartung führt“, beschreibt Klaus. Zur Überwachung der Erkrankung ist daher die Dickdarmspiegelung essentiell. Ein Karzinom könne nur durch die histologische Untersuchung festgestellt werden. Klaus weiter: „Da die Symptome eines kolorektalen Karzinoms wie Gewichtsverlust, Stuhlunregelmäßigkeiten und Blut im Stuhl denen eines Krankheitsschubs sehr ähnlich sind, kann man anhand der Symptome nicht zwischen den beiden unterscheiden.“

Die Koloskopie sollte möglichst in einem entzündungsfreien Intervall durchgeführt werden, um die Unterscheidung zwischen einer Entzündung und einer dysplastischen Zelle zu erleichtern. Das Untersuchungsintervall hängt vom Risikoprofil des Patienten ab. Bei Personen, die ein hohes Risiko aufweisen, erfolgt die Koloskopie jährlich; bei intermediärem Risiko alle zwei bis drei Jahre, bei geringem Risiko alle vier Jahre. Ein hohes Risiko besteht bei ausgedehnter Colitis, erstgradigen Verwandten mit Kolorektalkarzinom unter 50 Jahren, Stenosen oder einer intraepithelialen Neoplasie innerhalb der vergangenen fünf Jahre. Ein mittleres Risiko besteht bei mäßiggradiger Colitis, erstgradigen Verwandten mit Kolorektalkarzinom über 50 Jahren oder Pseudopolypen im Darm. Wenn keine dieser Kriterien zutrifft, ist das Risiko gering.

Eindämmung als Prävention

Die beste Prävention des Kolorektalkarzinoms bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen ist die Eindämmung der Entzündung, betont Klaus. „Wenn keine Entzündung im Darm besteht, ist das Risiko niedrig, ein Karzinom zu entwickeln. Daher muss dafür gesorgt werden, dass der Patient entzündungsfrei ist und bleibt“, so Klaus weiter. Wichtig seien die regelmäßige Kontrolle beim Gastroenterologen, die Adaptierung der entsprechenden Therapie und eine gute medikament.se Einstellung, sowie eine Überwachungsstrategie, bei der Läsionen frühzeitig – solange sie noch endoskopisch entfernt werden können und bevor sie invasiv werden – festgestellt werden. Bei der Entwicklung von Neoplasien im Dickdarm richtet sich die Therapie nach der zugrundeliegenden chronisch entzündlichen Darmerkrankung. „Die Colitis ulcerosa ist prinzipiell auf den Dickdarm beschränkt. Bei Colitis ulcerosa-Patienten mit Neoplasien im Dickdarm gibt es daher die Möglichkeit der Heilung durch eine Proktokolektomie. Denn das Risiko, dass die Patienten an einer anderen Stelle im Dickdarm erneut eine Neoplasie entwickeln, ist verhältnismäßig groß“, weiß Klaus. Für Patienten mit Morbus Crohn besteht diese Möglichkeit allerdings nicht. „Da die Erkrankung im gesamten Verdauungstrakt auftreten kann, bedeutet eine Gesamtentfernung des Dickdarms keine Heilung. Die Patienten können an anderen Stellen Neoplasien entwickeln“, so Klaus abschließend. (SF/VR)

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 9 / 10.05.2020