Benigne Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie: Beschwer­den bestim­men Therapie

15.07.2020 | Medizin

Nicht die Größe der Pro­stata, son­dern die Beschwer­den sind aus­schlag­ge­bend, ob eine benigne Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie behan­delt wird. Bis zu 15 Pro­zent aller über 50­Jährigen müs­sen im Laufe ihres Lebens des­we­gen behan­delt wer­den.
Sophie Fessl

Eine gut­ar­tige Ver­grö­ße­rung der Tran­si­tio­nal­zone der Pro­stata ist ab der Lebens­mitte ein häu­fi­ges Pro­blem. „Ab dem 50. bis 60. Lebens­jahr müs­sen zehn bis 15 Pro­zent der Pati­en­ten im Lauf ihres Lebens auf­grund einer gut­ar­ti­gen Pro­sta­ta­ver­grö­ße­rung medi­ka­men­tös oder ope­ra­tiv behan­delt wer­den“, erklärt Priv. Doz. Anton Pon­hol­zer von der Abtei­lung für Uro­lo­gie und Andro­lo­gie am Kran­ken­haus der Barm­her­zi­gen Brü­der Wien. 

Inzi­denz steigt mit dem Alter

Die Ätio­lo­gie der benig­nen Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie ist nach wie vor unklar, auch Risi­ko­fak­to­ren sind bis­lang nicht bekannt. „Die Inzi­denz steigt mit dem Alter, aber außer dem Alter sind keine Fak­to­ren, die die Ent­ste­hung einer benig­nen Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie begüns­ti­gen, bekannt“, erklärt Univ. Prof. Karl Pum­mer von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Uro­lo­gie der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Graz. „Eine auf epi­de­mio­lo­gi­schen Beob­ach­tun­gen beru­hende Theo­rie, dass Leute, die viel Fleisch essen, grö­ßere Drü­sen hät­ten, ist nicht bewiesen.“

Die benigne Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie äußert sich im Sym­ptom­kom­plex der Lower Uri­nary Tract Sym­ptoms (LUTS). „Diese Sym­ptome wer­den der Pro­stata zuge­ord­net, kön­nen aller­dings unter­schied­li­che Ursa­chen haben und müs­sen nicht durch eine Pro­sta­ta­ver­grö­ße­rung bedingt sein“, betont Pum­mer. Zum Sym­ptom­kom­plex gehö­ren sowohl irri­ta­tive als auch obstruk­tive Sym­ptome wie Harn­strahl­ab­schwä­chung, Poll­a­ki­su­rie, Nyk­tu­rie, Rest­harn­emp­fin­den, Press­mik­tion sowie Drangsymptomatik. 

Für die Dia­gnose der benig­nen Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie ist eine digi­tale rek­tale Unter­su­chung zur Ein­schät­zung der Pro­sta­ta­größe und Abgren­zung zum Pro­sta­ta­kar­zi­nom not­wen­dig. Mit­tels Uro­flow­me­trie wird die Fluss­rate bestimmt; anhand des Kur­ven­ver­laufs ist außer­dem ersicht­lich, ob Press­mik­tion zur Ent­lee­rung der Blase not­wen­dig ist. Die Sono­gra­phie der Blase gibt Rück­schluss auf Rest­harn sowie auf die Bil­dung von Bla­sen­stei­nen oder einem Mit­tel­lap­pen. Mit­tels Ultra­schall wird außer­dem der obere Harn­trakt auf Erwei­te­rung oder Stau­ung überprüft.

Wei­ters wird der PSA­Wert bestimmt, um ein Pro­sta­ta­kar­zi­nom aus­zu­schlie­ßen. Pum­mer dazu: „Die benigne Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie bedeu­tet weder ein höhe­res Risiko für ein Pro­sta­ta­kar­zi­nom, noch schützt es vor einem Kar­zi­nom. Aber falls ein behand­lungs­be­dürf­ti­ges Pro­sta­ta­kar­zi­nom vor­liegt, wird eine voll­kom­men andere The­ra­pie benö­tigt. Daher muss es vor der The­ra­pie aus­ge­schlos­sen werden.“

Sym­ptom Score objek­ti­viert Beschwerden

Die Beschwer­den – nicht die Größe der Pro­stata – sind aus­schlag­ge­bend, ob eine benigne Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie behan­delt wird, erklärt Pon­hol­zer. „Män­ner mit einer gro­ßen Pro­stata haben mit­un­ter nur wenige Beschwer­den. Dage­gen gibt es Män­ner mit einer nur gering ver­grö­ßer­ten Pro­stata, die unter gro­ßen Beschwer­den lei­den. Wich­tig ist daher die Frage nach den Beschwer­den.“ Diese wer­den mit­tels des „Inter­na­tio­nal Pro­state Sym­ptom Score“ objek­ti­viert. Dabei wer­den in sie­ben Fra­gen die indi­vi­du­el­len Beschwer­den im Hin­blick auf Irri­ta­tion und Obstruk­tion abge­fragt. Zusätz­lich wird die Beein­träch­ti­gung der Lebens­qua­li­tät eingeschätzt.

„Ein Pati­ent, der regel­mä­ßige Infekte oder bereits Bla­sen­steine hat, ist behand­lungs­be­dürf­tig“, stellt Pon­hol­zer fest. Auch wenn bereits Harn­sper­ren auf­tra­ten, sollte die Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie behan­delt wer­den. Falls auf­grund einer mil­den Sym­pto­ma­tik vor­erst keine The­ra­pie erfolgt, soll­ten Kon­trol­len im Abstand von längs­tens sechs Mona­ten durch­ge­führt wer­den, weiß Pum­mer. „Falls die Rest­harn­menge zunimmt, sollte auch die Uro­flow­me­trie wie­der­holt wer­den. Fällt die Fluss­rate unter einen kri­ti­schen Bereich, sollte eine Behand­lung vor­ge­schla­gen wer­den.“ Die­ser kri­ti­sche Bereich ist von Pati­ent zu Pati­ent ver­schie­den und hängt auch vom in der Harn­strahl­mes­sung fest­ge­stell­ten Kur­ven­ver­lauf ab. 

Irrever­si­ble Schä­den der Blase

Die Ent­schei­dung zur medi­ka­men­tö­sen bezie­hungs­weise ope­ra­ti­ven Behand­lung fällt auch, um Kom­pli­ka­tio­nen, die durch einen chro­ni­schen Rest­harn ver­ur­sacht wer­den, zu ver­mei­den. „Chro­ni­scher Rest­harn kann zu Ent­zün­dun­gen, Blu­tun­gen, Bla­sen­stein­bil­dung und im Extrem­fall bei Rück­stau im obe­ren Harn­trakt zu einer Nie­ren­schä­di­gung füh­ren. Auch Harn­sper­ren kön­nen in Folge einer benig­nen Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie auf­tre­ten“, erklärt Pum­mer. Lang­fris­tig kann es zu irrever­si­blen Schä­den der Blase kom­men. Bei einer Pro­sta­ta­ver­grö­ße­rung mit Obstruk­tion kommt es durch den erhöh­ten Wider­stand zu Umbau­pro­zes­sen der Bla­sen­mus­ku­la­tur. „Die Mus­kel­züge wer­den stär­ker, Diver­ti­kel bil­den sich. Diese ana­to­mi­schen und funk­tio­nel­len Ver­än­de­run­gen sind nicht rever­si­bel“, warnt Pon­hol­zer. Die Blase kann ihre mus­ku­läre Funk­tion ver­lie­ren, sodass der Pati­ent nicht mehr in der Lage ist, zu urinieren. 

„Hat der Pati­ent milde Sym­ptome mit einer ver­tret­ba­ren Rest­harn­menge und ohne aus­ge­präg­tem Mit­tel­lap­pen, so kann eine medi­ka­men­töse The­ra­pie ver­sucht wer­den“, erklärt Pum­mer. Die erste Säule der medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie bil­den Alpha­blo­cker. Durch kom­pe­ti­ti­ven Ant­ago­nis­mus an Alpha­1­Adrenorezeptoren füh­ren sie zu einer Ent­span­nung der glat­ten Mus­ku­la­tur der Pro­stata und des Bla­sen­hal­ses und erleich­tern so das Harnlassen. 

Die zweite Säule der medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie bil­den 5­Alpha­Reduktasehemmer. Diese blo­ckie­ren die Umwand­lung von Tes­to­ste­ron zu 5α­Dihydrotestosteron aus Tes­to­ste­ron und füh­ren so zu einer Reduk­tion der Pro­sta­ta­größe. „Stu­dien zei­gen außer­dem, dass 5­Alpha­Reduktasehemmer lang­fris­tig das Risiko redu­zie­ren, dass der Pati­ent eine Harn­vor­hal­tung hat oder eine Ope­ra­tion benö­tigt“, erklärt Pon­hol­zer. Aller­dings dau­ert es meh­rere Monate, bis es zu einer Ver­bes­se­rung der Sym­pto­ma­tik kommt, warnt Pum­mer. „Bei vie­len Pati­en­ten kommt es zu einer Ver­klei­ne­rung der Pro­stata. Aller­dings bekom­men die Pati­en­ten sechs Monate lang sub­jek­tiv nichts von der Ver­bes­se­rung mit, da sie lang­sam erfolgt.“ 5­Alpha­Reduktasehemmer wer­den – laut Pon­hol­zer – nur bei gro­ßen Pro­sta­ta­vo­lu­men ein­ge­setzt; bei einem Volu­men von unter 50 bis 60 ml ist der Erfolg der The­ra­pie begrenzt. 

Anti­mus­ka­ri­nika kön­nen bei impe­ra­ti­vem Harn­drang ein­ge­setzt wer­den – aller­dings nur, wenn eine Obstruk­tion aus­ge­schlos­sen wurde, da es sonst unwei­ger­lich zu einer Harn­sperre kommt. Phy­to­the­ra­peu­tika spie­len mitt­ler­weile kaum eine Rolle in der Behand­lung der benig­nen Pro­sta­ta­hy­per­pla­sie, berich­tet Pum­mer. „Frü­her waren Phy­to­the­ra­peu­tika wie Brenn­es­el­ex­trakte oder Kür­bis­sa­men in Erman­ge­lung ande­rer Mög­lich­kei­ten beliebt. Es gibt aber wenig objek­tive Evi­denz für ihren Einsatz.“ 

Bei man­chen Pati­en­ten bleibt aller­dings keine Zeit, auf die Wir­kung einer medi­ka­men­tö­sen The­ra­pie, die die Pro­sta­ta­größe beein­flusst, zu war­ten, betont Pum­mer. „Hat der Pati­ent bereits eine Harn­sperre gehabt und würde zur Über­brü­ckung einen Kathe­ter benö­ti­gen, sollte eher ope­ra­tiv vor­ge­gan­gen wer­den.“ Auch wenn die Sono­gra­phie einen gro­ßen Mit­tel­lap­pen und Rest­harn zeigt und der Pati­ent dadurch beein­träch­tigt ist, bestehe eine ope­ra­tive Indi­ka­tion: In die­ser Situa­tion spricht der Pati­ent auf die medi­ka­men­töse Ver­klei­ne­rung nicht an. 

Die trans­urethr­ale Pro­sta­ta­re­sek­tion (TURP), ein seit Jahr­zehn­ten bestehen­des Ver­fah­ren, ist wei­ter­hin der Gold­stan­dard der ope­ra­ti­ven The­ra­pie bei einem Pro­sta­ta­vo­lu­men von 80 bis 100 ml. Wurde frü­her bei Drü­sen über 80 bis 100 ml die Enu­klea­tion als offene Ope­ra­tion über den Bauch­raum durch­ge­führt, wird diese Tech­nik mitt­ler­weile nur noch sel­ten ange wen­det. Bei Pro­sta­ta­vo­lu­men über 80 bis 100 ml wird statt­des­sen die Hol­mi­um­la­se­renu­klea­tion der Pro­stata (HoLEP) ein­ge­setzt. Dabei wird die ver­grö­ßerte Innen­zone trans­urethral aus­ge­schält; das Ade­nom über die Harn­röhre zer­klei­nert und abge­saugt. „Der Vor­teil von HoLEP im Ver­gleich zu ande­ren Laser­ver­fah­ren wie der Vapo­ri­sa­tion oder dem Greenlight­Laser ist die Erhal­tung des Gewe­bes, das auf inzi­den­telle Kar­zi­nome unter­sucht wer­den kann“, erläu­tert Pum­mer. Alter­na­tive ope­ra­tive Ver­fah­ren, die auf Wärme oder Kälte beru­hen, sind laut Pon­hol­zer keine rou­ti­ne­mä­ßig ein­ge­setz­ten Standard­ Ver­fah­ren.

Ein­schrän­kung: retro­grade Ejakulation

„Viele Pati­en­ten haben Sor­gen, dass nach einer Ope­ra­tion eine Aus­wir­kung auf Potenz oder Harn­kon­ti­nenz besteht“, berich­tet Pon­hol­zer aus der Pra­xis. „Hier muss man klar sagen, dass dem nicht so ist. Bei einer kor­rek­ten Indi­ka­ti­ons­stel­lung und einer kor­rek­ten Ope­ra­ti­ons­tech­nik sollte kein nega­ti­ves Ergeb­nis ent­ste­hen.“ Die ein­zige Ein­schrän­kung – so Pum­mer – ist die retro­grade Eja­ku­la­tion, zu der sowohl die trans­urethr­ale Pro­sta­ta­re­sek­tion als auch die Hol­mi­um­la­se­renu­klea­tion der Pro­stata füh­ren. Durch die große Wund­flä­che kommt es unmit­tel­bar post­ope­ra­tiv zu einer Drangsym­pto­ma­tik, die durch viel Trin­ken zur Spü­lung der Wund­flä­che abge­kürzt wer­den kann. Nach der Ope­ra­tion könne es eine Zeit lang auch zu Harn­ver­lust kom­men, berich­tet Pum­mer. „Wenn die Pro­stata sehr groß war, hal­ten die Pati­en­ten nicht mehr mit dem Sphink­ter, son­dern pas­siv – die Pro­stata dient quasi als Stop­pel. Die Pati­en­ten müs­sen umler­nen, wie­der aktiv zu halten.“

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 13–14 /​15.07.2020