Standpunkt Harald Mayer: Keine müden Ärzte

10.09.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK

© Gregor Zeitler

Was macht ein gutes Gesundheitssystem aus? Ausreichend ausgeruhte Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, medizinische Ausrüstung sowie medizinische Behandlung auf Top-Niveau und nach aktuellem Stand der Forschung.

Man sollte meinen, dass gewisse Grundvoraussetzungen gar nicht erst zur Debatte stünden. So kann man sich irren. Ärztinnen und Ärzte kämpfen in den Spitälern nicht nur mit real fehlendem Personal, jetzt werden die ohnehin bereits schwierigen Arbeitsbedingungen weiter verschlechtert. Zumindest, wenn es nach der politischen Agenda der Landeshauptleute geht. Plötzlich steht wieder das Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KA-AZG) im Rampenlicht. Das Gesetz, das erst nach Rüge der EU und mit jahrelanger Verzögerung überhaupt EU-konform umgesetzt wurde.

So sollen die Ruhezeiten bei Spitalsärzten von derzeit elf Stunden auf acht Stunden reduziert werden. Was das für Auswirkungen hat, liegt auf der Hand: Wer müde ist, arbeitet fehleranfälliger. Und wer übermüdet Patienten behandelt, bei dem sind die Folgen eines Fehlers gravierender als in anderen Berufen. Es geht auch um den Schutz der Ärzte. Wir Spitalsärzte arbeiten jetzt schon unter starkem Zeitdruck bei hoher Arbeitsdichte und haben obendrein noch die Bürokratie am Hals. Nun sollen auch noch Ruhezeiten verkürzt werden?

Ein weiterer Punkt ist das Opt-out. Vor mittlerweile über sechs Jahren wurde im Beisein der Bundesländer beschlossen, das freiwillige Opt-out stufenweise auslaufen zu lassen: Bis 30. Juni 2021 dürfen Spitalsärzte freiwillig mehr arbeiten, und zwar statt der derzeit maximalen 48 Stunden bis zu 55 Stunden pro Woche. Mit 1. Juli ist diese Übergangsregelung beendet. Nun wollen die Bundesländer das Opt-out um fünf Jahre verlängern. Und zwar gleich mit der Möglichkeit einer 60-Stunden-Woche.

Besonders absurd mutet es an, dass mit dem pensionsbedingten Ärztemangel in den nächsten Jahren argumentiert wird. Die Reaktion auf die personellen Engpässe soll also nun sein, Ruhezeiten zu verkürzen und die Arbeitszeit zu erhöhen. Damit riskiert man allerdings nur, Kolleginnen und Kollegen im Spital bis ans Limit zu treiben – bis sie völlig ausbrennen. Verhindern lässt sich das nur, wenn die Politik endlich erkennt, dass der Ärztenachwuchs sichergestellt werden muss. Und das beginnt bei einer qualitätsvollen Ausbildung und entsprechenden Arbeitsbedingungen.

Dr. Harald Mayer
3. Vize-Präsident der Österreichischen Ärztekammer

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 17 / 10.09.2020