Inter­view Jochen Schuler: Medi­ka­men­ten­eng­pässe: „Pro­blem hat sich verschärft”

10.03.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Jochen Schuler vom ÖÄK-Refe­rat für Medi­ka­men­ten­an­ge­le­gen­hei­ten spricht über Arz­nei­mit­tel­eng­pässe, Preis­ge­stal­tun­gen und die Feu­er­probe für die neue Regierung.

Sophie Nie­denzu


Die Arz­nei­mit­tel­ver­sor­gung ist Teil des Regie­rungs­pro­gramms. Was erwar­ten Sie sich für die Zukunft?

Wir soll­ten die Pro­duk­tion von patent­freien Arz­nei­mit­teln wie­der nach Europa holen. Auch darf die Arz­nei­mit­tel­re­serve nicht allein den Händ­lern über­las­sen wer­den. Pro­duk­tion und Lage­rung inner­halb der EU loh­nen sich aber nur bei ange­mes­se­nen Arz­nei­mit­tel­prei­sen und der­zeit sind viele patent­freie Arz­nei­mit­tel zu bil­lig. Wir müs­sen bereit sein, für euro­päi­sche Gene­rika höhere Preise zu bezah­len. Das ist aber nur m.glich, wenn zugleich die exor­bi­tan­ten Preis­stei­ge­run­gen bei patent­ge­schütz­ten Arz­nei­mit­teln gestoppt wer­den. Die Preis­ent­wick­lung auf dem Phar­ma­markt ist einer der wich­tigs­ten Gründe für Lie­fer­eng­pässe. Inso­fern ist es bemer­kens­wert, dass im Regie­rungs­pro­gramm neben der „Bekämp­fung von Par­al­lel­ex­por­ten“ auch der „gemein­same Ein­kauf“ genannt wird. Die EU sollte ihre Wirt­schafts­kraft nut­zen, um ein­heit­li­che Fabrik­ab­ga­be­preise zu ver­han­deln und Arz­nei­mit­tel gemein­sam ein­kau­fen um eine rea­lis­ti­sche Preis­ge­stal­tung hin­zu­be­kom­men.

Wie machen sich Medi­ka­men­ten­eng­pässe bei Ärz­ten bemerkbar? 

Noch vor ein bis zwei Jah­ren waren Lie­fer­eng­pässe sel­tene Ein­zel­fälle. Mitt­ler­weile hat sich das Pro­blem jedoch ver­schärft. Bei­nahe wöchent­lich sind all­täg­li­che Arz­nei­mit­tel plötz­lich nicht mehr lie­fer­bar. Aktu­ell sind es weit über 300 Pr.parate bzw. Packungs­grö­ßen. Die Infor­ma­tio­nen hier­über gelan­gen aber nicht zeit­nah und zwin­gend in die Pra­xis­soft­ware. Die erfor­der­li­chen Umstel­lun­gen begüns­ti­gen Adhä­renz­pro­bleme, Medi­ka­ti­ons­feh­ler und Miss­trauen gegen­über den Arz­nei­mit­teln. Viele Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen sind auch ver­är­gert, dass die Gründe für die Nicht­lie­fer­bar­keit meist im Dun­keln blei­ben oder ver­schlei­ert werden.

Wel­che Arz­nei­mit­tel sind am schnells­ten von Eng­päs­sen betroffen?

Beson­ders anfäl­lig für pro­duk­ti­ons­be­dingte Aus­fälle sind Arz­nei­mit­tel mit mono­po­li­sier­ter Pro­duk­tion. Mono­pol­si­tua­tio­nen begüns­ti­gen auch­Markt- und Preis­ma­ni­pu­la­tio­nen. Den­ken Sie bei­spiels­weise an Pyri­me­tha­min. Da hat ein Wall­street-Spe­ku­lant eine Phar­ma­firma gekauft, die die­ses Mit­tel gegen Toxo­plas­mose exklu­siv für die USA her­stellte, und erhöhte den Preis von 13,50 auf 750$. Es kam sofort zu Ver­sor­gungs­eng­päs­sen. Auch Impf­stoffe sind häu­fig betrof­fen, weil der Bedarf nicht immer sicher vor­her­ge­se­hen wer­den kann. Auch kann bei Pro­duk­ti­ons­aus­fäl­len bei einem Her­stel­ler der Mit­be­wer­ber die kom­plexe Pro­duk­tion nicht ein­fach und schnell hoch­fah­ren. Es dau­ert Wochen, bis die Pro­duk­tion eines Alter­na­tiv­prä­pa­ra­tes erhöht wer­den kann. Die man­gelnde Kom­mu­ni­ka­tion der Her­stel­ler unter­ein­an­der und die lan­gen Reak­ti­ons­zei­ten waren auch Haupt­gründe für Eng­pässe bei L‑Dopa und Adre­na­lin­pens. Die nun ange­ord­nete unver­züg­li­che Mel­de­pflicht von Ver­triebs­ein­schrän­kun­gen inkl. Anga­ben zu Ver­kaufs­zah­len, Markt­ab­de­ckung, Lager­be­stän­den und ver­füg­ba­ren Alter­na­tiv­prä­pa­ra­ten wird hof­fent­lich zur Ent­span­nung der Lage beitragen.

Durch das Coro­na­vi­rus ver­zö­gert sich die Arz­nei­mit­tel­pro­duk­tion in China – wel­che Fol­gen sind zu erwarten?

Ver­mut­lich wer­den sich Lie­fer­pro­bleme erst in den kom­men­den Mona­ten bemerk­bar machen. Die Wirk­stoffe sind ja meh­rere Wochen per Schiff unter­wegs und der hie­sige Groß­han­del hat Lager­be­stände für einige Wochen. Was, wann und in wel­chem Umfang betrof­fen sein wird, müss­ten die impor­tie­ren­den Zulas­sungs- inha­ber und Groß­händ­ler aber schon bald abschät­zen kön­nen. Sie müs­sen das nach der neuen Ver­ord­nung rasch dem BASG mel­den und wir kön­nen den Pro­zess auf dem öffent­lich zugäng­li­chen Por­tal „Ver­triebs- ein­schrän­kun­gen Regis­ter“ nach­ver­fol­gen. Das wird wohl die Feu­er­probe für die neue Rege­lung sein. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 5 /​10.03.2020