Lernen aus COVID-19: Vorsorge statt Nachsorge

10.06.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Nicht nur in der Patientenversorgung, sondern auch im Hinblick auf mögliche, kommende Pandemien sollte in Vorsorge investiert werden: Lieferengpässe, mangelnde Reserven in der Schutzausrüstung und ein fehlender Pandemieplan haben gezeigt, dass Verbesserungsbedarf besteht.

Die COVID-19-Bilanz in Österreich mit Stand 25. Mai: 16.458 jemals positiv Getestete, 760 aktuell Erkrankte, 608 bestätigte Todesfälle gemäß Epidemiegesetz. Das Leben wird wieder hochgefahren, in den Spitälern müssen verschobene, elektive Operationen nachgeholt werden, die Ambulanzen werden schrittweise wieder in Betrieb genommen. „Seit Jahren wird Österreich für die Anzahl der Spitalsbetten kritisiert. Jetzt zeigt sich, wie wichtig es ist, dass wir die Kapazitäten haben“, sagt Harald Mayer, Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte der Österreichischen Ärztekammer. Ein starkes Gesundheitssystem sei der Schlüssel, um Krisenzeiten gut zu meistern. Durch eine wohnortnahe Versorgung und mobile Epidemieärzte seien die Spitäler in Österreich nicht mit COVID-19-Patienten überlastet worden. „Damit waren die Spitäler für die Ernstfälle freigespielt und konnten sich voll und ganz diesen Patienten widmen“, betont Mayer. Hervorzustreichen sei zudem die Flexibilität der Spitalsärzte – vielerorts wurden Dienstpläne kurzfristig auf Schichtdienstmodelle umgestellt, kleine Teams gebildet, um zu viele Kontakte zu vermeiden und so den Spitalsbetrieb auch bei Infektionsfällen aufrecht zu erhalten. „Binnen kurzer Zeit hat sich der Spitalsalltag verändert, um die bestmögliche Patientenversorgung zu gewährleisten“, sagt Mayer. Bestmöglich seien die Patienten auch in Zukunft versorgt, wenn ein neues Konzept für die Ambulanzen entstünde: „In den vergangenen Monaten wurden Ambulanzen wirklich nur für Notfälle aufgesucht. Das sollte auch beibehalten werden, denn wir haben in Österreich das Angebot eines niederschwelligen Zugangs durch niedergelassene Haus- und Fachärzte, daher wäre ein sofortiger Spitalsbesuch oft nicht notwendig“, sagt Mayer. Das sei wichtig, um Spitäler nicht unnötig zu belasten. Allerdings: „Es muss gewährleistet werden, dass Patienten nicht wegen eines Zeckenbisses in die Ambulanz kommen, umgekehrt aber auch kein gesundheitliches Risiko eingehen.“

Kein Sparen am falschen Fleck

Was die Krise zudem gezeigt habe, seien die Folgen davon, dass vieles nicht mehr in Europa produziert wird. Es habe in Spitälern an Schutzausrüstung gefehlt, die Konkurrenzsituation habe zu Lieferengpässen geführt, zudem sei die Qualität des gelieferten Materials immer wieder mangelhaft gewesen: „Die Pandemie führt uns viele Lücken vor Augen und lehrt uns, dass wir es uns leisten müssen, die Produktion von medizinischer Ausrüstung und auch von Medikamenten wieder nach Europa zu bringen, unter Einbehaltung von hohen Qualitätsstandards und dem freien Warenverkehr innerhalb der EU – auch in schwierigen Zeiten“, betont Mayer. Zudem sollte zukünftig auch sichergestellt sein, dass genügend Reserven in den Spitälern vorhanden seien, um für Ausnahmesituationen gerüstet zu sein. „Ein Vorrat an Schutzausrüstung ist in gesundheitlichen Ausnahmesituationen wie Pandemien die Grundlage für eine sichere Patientenversorgung und hilft, Infektionsketten zu unterbrechen“, betont Mayer. In den vergangenen Monaten habe sich einmal mehr gezeigt, dass Einsparungen in der Gesundheitsversorgung Sparen am falschen Fleck sei: „Österreich hat die COVID-19-Pandemie bislang gut gemeistert, weil die Ausgangssituation im Gesundheitssystem deutlich besser war als in anderen Ländern“, sagt der ÖÄK-Vizepräsident. Neben genügend Ressourcen in der medizinischen Ausstattung sei zudem wichtig, für genügend Gesundheitspersonal in den Spitälern zu sorgen. „Was bringt mir die beste Schutzausrüstung, wenn das Spitalspersonal fehlt?“

Vorsorge sei nicht nur für die Patienten wichtig, um frühzeitig Erkrankungen zu erkennen. Auch im Hinblick auf ein strukturiertes, organisiertes Handeln als Reaktion auf eine Gesundheitskrise sei Vorsorge besser als Nachsorge. Daher sei es notwendig, einen Pandemieplan vorzubereiten, um auf Ernstfälle reagieren zu können. „Gesundheitliche Krisen können jederzeit ausbrechen. Um rasch reagieren zu können, ist es essentiell, einen österreichweiten Pandemieplan mit Experten, unter Einbindung der Ärzteschaft, zu entwickeln“, sagt Mayer. Denn ein gut durchdachter Pandemieplan sei der Schlüssel zum Erfolg. „In einer globalisierten Welt werden Pandemien auch in Zukunft zum Leben gehören. Sich für den Ernstfall zu rüsten und einen Pandemieplan zu haben, ist unabdingbar“, betont Mayer. Es gelte, Lehren aus der Pandemie zu ziehen: „Wir müssen bestmöglich für die Zukunft gerüstet sein, Diskussionen um Einsparungen im Gesundheitssystem sind völlig fehl am Platz und werden zukünftig hoffentlich nicht mehr den Diskurs dominieren“, sagt Mayer abschließend. (sni)

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2020