Interview Eiko Meister: „Mit blauem Auge“

25.04.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Der Intensivmediziner Eiko Meister spricht im Interview über Schutzmaßnahmen, das Megaprojekt „Zentrale Notaufnahme“ und einen fehlenden Pandemieplan.

Sophie Niedenzu

Wie hat sich für Sie als Oberarzt in der Notaufnahme EBA (Erstversorgung, Beobachtung, Aufnahme) des Uniklinikums Graz seit der Corona-Krise der Arbeitsalltag verändert?
Ab Ende Februar sind die ersten Verdachtsfälle zu uns gekommen. Patienten, die keine oder geringe Symptome zeigten, bekamen ihren Rachenabstrich gleich in der Rettungseinfahrt und wurden in die Heimquarantäne geschickt. Die PCR-Befundzeit betrug damals noch sechs Stunden. Im März wurden die Verdachtsfälle häufiger und zunehmend schwierig. Es wurde komplizierter, infektiöse und nicht infektiöse Patienten räumlich zu trennen. Auch stieg der Verbrauch von Schutzmasken und -mänteln massiv an. In der zweiten Märzwoche wurden Überlegungen konkretisiert, die EBA in zwei Teile zu trennen: in einen COVID-Teil und eine internistische Notaufnahme, die räumlich in den Bestellambulanzen der Universitätsklinik für Chirurgie Unterschlupf findet. Damit wurde die seit sechs Jahren geplante ZNA de facto geboren. Die Übersiedlung begann am 16. März, drei Tage später war die ZNA voll einsatzbereit. Das war ein Megaprojekt. Aber es ist spannend zu sehen, was in „Notsituationen“ alles geht, was sonst Monate dauert. Seitdem bin ich mit der organisatorischen Leitung des internistischen Teils der ZNA betraut.

Mit welcher ärztlicher Besetzung wird derzeit gearbeitet?

Es gibt de facto einen 12-Stunden-Schichtdienst für die ZNA, der von der Universitätsklinik für Innere Medizin (UKIM) bespielt und vom Stammpersonal der EBA, das in die ZNA gesiedelt ist, auch mit Spätdiensten unterstützt wird. Insgesamt bemerken wir, dass seit den Ausgangsbeschränkungen die Zahl der Patienten um 50 Prozent zurückgegangen ist und sich derzeit für die ZNA auf einem Niveau von vor etwa zehn Jahren bewegt. An der COVID-EBA sind vor allem die jüngeren Kolleginnen und Kollegen aus der EBA beschäftigt, sie werden auch hier im Schichtdienst von der UKIM unterstützt. Die Schichtdiensträder sollen maximal vier Wochen dauern. Unsere oberste Pr.misse war, die Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht zu überschreiten und auch Regenerationsphasen mit einzuplanen. Da war Italien ein mahnendes Beispiel.

Inwieweit fehlt die Infrastruktur?
Die Versorgung ist sichergestellt. Prassen mit den Materialen darf man allerdings nicht. In Bezug auf die Beatmungsgeräte, sind wir, wenn man den Zahlen glauben darf, im Vergleich mit Italien sehr gut aufgestellt. Wenn die Zahlen stimmen, dann könnten um die 3000 Beatmungsplätze in Österreich realisiert werden.

Wie sollte eine Qualitätssicherung für das öffentliche Gesundheitswesen aussehen?
Das Gesundheitswesen ist am Prüfstand: Werden die Kapazitäten reichen?

Aus heutiger Sicht (Stand. 7. April) denke ich, dass die Betten, auch die Intensivbetten, reichen. Szenen, wie in Italien gilt es zu vermeiden. Das italienische Gesundheitswesen ist deutlich schlechter aufgestellt als unseres. Dort wurden frühzeitig sehr alte kranke Menschen auf Intensivstationen verlegt, von denen fast alle gestorben sind. Das verstopft Kapazitäten für jüngere Patienten, die dann nicht behandelt werden können. Die Intensivkapazitäten zu halten und nicht zu überfordern funktioniert bei uns momentan. Allerdings muss man auch flexibel sein und improvisieren. Dabei hat aber der Schutz der Mitarbeiter die höchste Priorität. Es war richtig, die Ressourcen für COVID freizuschaufeln. Akute Patienten werden ja auch weiter versorgt, bis hin zu komplexen Tumor-OPs. Schleusen vor den Spitalseingängen sind eine infektiologische Notwendigkeit. Alles, was momentan passiert, geschieht aus „gesundem Menschenverstand“ und dem Blick auf andere Länder, aber wenig strukturiert. Die Regierung sollte nach der Krise sofort einen umfassenden Pandemieplan verfassen, in dem alles eingearbeitet wird, was wir momentan lernen. Mit Eskalationsstufen und den nötigen Ma.nahmen von Gesundheit über Sicherheit, Versorgung und notwendigen Verordnungen bis hin zu Ausgangssperren, Grenzschließungen und Quarantäneverordnungen. Da sind alle Teilbereiche zu berücksichtigen. Wir haben momentan das Glück, dass sich COVID nicht so darstellt, wie SARS1, MERS oder Ebola und wir hoffentlich mit einem „blauen Auge“ davonkommen. Es braucht nur ein Grippevirus wieder in Richtung Spanische Grippe zu mutieren. dann haben wir wegen der miserablen Impfrate das gleiche Problem wie 1918.

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2020