Interview Edgar Wutscher: „An vorderster Front“

25.04.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Wie die Corona-Krise den Alltag in der Praxis verändert, über die Herausforderungen und seine besondere Motivation berichtet Edgar Wutscher, Allgemeinmediziner in Tirol und Obmann der Bundessektion Allgemeinmedizin der Österreichischen Ärztekammer.

Sascha Bunda

Wie hat sich der Praxisalltag in den Tagen der Krise aus Ihrer Wahrnehmung verändert?
Die Struktur der Praxis hat sich in dieser Zeit völlig verändert. Von einem Tag auf den anderen wurde aus einem gut besuchten Warteraum ein leeres Zimmer. Völlig neu war auch, dass über Telefon mit den Patienten medizinische Probleme besprochen wurden und ebenfalls neu war, dass man Apotheken erklären konnte, wie sie mit Rezepten per Fax beziehungsweise über die e-Medikation umgehen sollen. Die Patienten mit dringlichen Problemen, welche telemedizinisch nicht zu lösen waren, haben in größeren Zeitabständen Termine für den Ordinationsbesuch bekommen. Aufschiebbare Untersuchungen, besonders Vorsorgeuntersuchungen, werden ohne derzeitige Terminfixation in die Zukunft verschoben. Die Visitentätigkeit hat sich massiv reduziert, aber besonders die älteren Patienten zeigen größtes Verständnis, dass man sie aktuell vorwiegend telefonisch betreut. Sie berichten immer wieder, dass sie sich so gut aufgehoben fühlen. Das bedeutet für mich persönlich natürlich ein sch.nes und gutes Gefühl.

Welche Herausforderungen hatten Sie bei diesen Umstellungen zu meistern?
Die größte Herausforderung war, von einer Stunde auf die andere den Praxisalltag den neuen hygienischen Anforderungen in Zeiten der Pandemie anzupassen. Woher bekommen wir suffiziente Schutzausrüstungen – Masken, Schutzanzüge und ähnliches? Aber auch die Patienten aufzufordern, sich an diese unbedingt notwendigen Hygienemaßnahmen zu halten, war mitunter herausfordernd. Häufig wurden auch die grundsätzlichsten Vorschriften wie Händewaschen und -desinfektion von den Patienten hinterfragt. Inzwischen haben sie sich daran gewöhnt.

Was motiviert Sie in diesen schwierigen Zeiten besonders?

Die besondere Motivation besteht darin, dass wir jetzt für jeden erkennbar an vorderster Front in dieser Krisensituation für unsere Patienten da sind. Manchmal kam ein Telefonanruf mit der Frage: „Sollten wir nicht besser unsere Ordinationen schließen?“ Meine Antwort war immer: „Denk an das Kreuzschiff, welches vor wenigen Jahren vor der italienischen Küste gekentert ist. Wer ist als erster von Bord geflüchtet? Der Kapitän! Sollen wir uns etwa auch so verhalten?“

Wie haben Ihre Patienten auf die Neuerungen reagiert?
In den ersten Tagen hat es manchmal gekriselt, da Patienten immer die Maximalverordnung von Medikamenten, und das für mindestens drei Monate, gefordert haben. Sehr bald haben viele zum Glück begriffen, dass damit ein besorgniserregender Engpass hervorgerufen werden kann und dadurch andere Patienten dringend benötigte Arzneien nicht mehr bekommen. Heute akzeptieren fast alle die notwendige Umstellung in der ärztlichen Versorgung. Das Sch.ne dabei ist, dass sich jetzt wirklich zunehmend Patienten bedanken und betonen, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir weiterhin für sie da sind.

Wie beurteilen Sie die neuen telemedizinischen Anwendungen wie die elektronische Krankschreibung?
Die derzeitige Situation ist in gewissem Ma.e ein Pilotprojekt für die Telemedizin. Der einfachste Punkt ist natürlich die Telefonordination. Etwas schwieriger wird es schon bei Videogesprächen. Gerade für ältere Patienten ist das System noch ungewohnt, aber das würde sich sicher einspielen. Interessant ist auch, dass einer der Server, möglicherweise durch Überlastung, schon bald den Geist aufgegeben hat. Ich bin mir auch sicher, dass das Aussetzen der Chefarztbewilligung über das Arzneimittel-Bewilligungs-Service ABS ein gutes Zeichen dafür ist, diesen Bürokratismus generell abzuschaffen. Sehr differenziert ist die elektronische Krankschreibung ohne Patientenkontakt zu beurteilen. Hier wird es auch weiter unumgänglich notwendig sein, den direkten direkten Patientenkontakt zur Beurteilung aufrecht zu erhalten.

 

 

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 8 / 25.04.2020