Gastkommentar Josef Smolle: Ärzte in der Corona-Krise

15.08.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Österreich ist gut durch die Gesundheitskrise gekommen, jetzt geht um die evidenzbasierte Bewertung der Maßnahmen und ihre positiven epidemiologischen Effekte. Wir Ärzte tragen als Informations-Multiplikatoren und Vorbilder eine besondere Verantwortung, das gesundheitlich Erreichte zu schützen.
Josef Smolle*)

Eine neue, der Welt erst wenige Wochen bekannte Erkrankung, hat das österreichische Gesundheitssystem vor eine der größten Herausforderungen der letzten Jahrzehnte gestellt – und damit ganz besonders auch unsere Ärzte. Es war bewundernswert, wie innerhalb weniger Tage ganze Spitäler reorganisiert wurden und eine optimale Behandlung der Schwerkranken eingeleitet wurde. Dass bei uns die Spitäler nicht zu Ansteckungs-Hotspots wurden, ist auch speziell den niedergelassenen Kollegen zu danken, die die Kassenordinationen zu gut 90 Prozent während der gesamten Krise offengehalten haben. All diese raschen Adaptierungen sind größtenteils subsidiär erfolgt. Es ist zu wünschen, dass uns zumindest ein Teil dieser wiedergewonnenen Gestaltungsfreiheit auch in Zukunft erhalten bleibt.

Im Vergleich mit anderen Ländern ist Österreich gut durch die Gesundheitskrise gekommen. Entschlossenes Handeln in einem Umfeld der Ungewissheit, von der Regierung abwärts auf allen Ebenen, war der entscheidende Erfolgsfaktor. Der internationale Vergleich zeigt, dass das Eindämmen der Pandemie überall nur mit breitem Lockdown gelungen ist. Wo halbherzig oder zu spät reagiert wurde, waren hohe Zahlen an Todesopfern die Folge. Österreich hat sich als reife Demokratie erwiesen. Gestützt auf ein exzellentes Gesundheitswesen und eine einsichtige und rücksichtsvolle Bevölkerung, die die Notwendigkeit der Empfehlungen und Verordnungen verstanden und mitgetragen hat, haben wir eine der niedrigsten Todesraten in Europa zu verzeichnen.

Nun geht es um die evidenzbasierte Bewertung, welche Maßnahmen in welchem Ausmaß zu dem positiven epidemiologischen Effekt beigetragen haben. Exemplarisch dafür stehen die ambivalenten Diskussionen über den Effekt des Mund-Nasen-Schutzes und die Rolle der Kinder – Themen, zu denen es laufend neue, teilweise widersprüchliche Erkenntnisse gibt. Deshalb ist es so wichtig, die Lockerungsmaßnahmen schrittweise durchzuführen und – aus epidemiologischen Gründen – 14-tägig zu evaluieren. Denn da sich die meisten der offenen epidemiologischen Fragen dem direkten Experiment aus praktischen und ethischen Gründen entziehen, muss man sich auf sorgfältige Beobachtung und internationalen Erfahrungsaustausch stützen.

Die kritische Diskussion über den bisherigen und den zukünftigen Weg darf jedoch gerade seitens der Ärzteschaft keinesfalls dazu missbraucht werden, die gesetzten Schritte als übertrieben, und die Erkrankung als harmlos darzustellen. Gepaart mit dem Präventionsparadoxon – gerade weil die Katastrophe nicht eingetreten ist, werden die Präventivmaßnahmen als nicht notwendig empfunden – würde daraus eine potentiell gefährliche Leichtfertigkeit im Umgang mit der Pandemie resultieren. Denn dass uns die warme Jahreszeit allein nicht schützen wird, hat das Virus durch seine globale Ausbreitungsdynamik, unabhängig von Witterung, Klimazone und Erdhalbkugel, leider allzu deutlich gezeigt.

Es ist nun unsere Aufgabe, das gesundheitlich Erreichte zu schützen und dadurch den sozialen und wirtschaftlichen Wiederaufschwung zu sichern. Dazu bedarf es eines achtsamen Vorgehens, einer sachlichen Information über das nach wie vor bestehende Risiko, und des konsequenten Einhaltens der einen oder anderen Maßnahme, die uns längerfristig begleiten wird. Wir Ärzte tragen dabei eine besondere Verantwortung – als Informations-Multiplikatoren und als Vorbilder.

*) Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle, ist Abgeordneter zum Nationalrat (ÖVP)

 

 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2020