BKNÄ: Inter­view Edgar Wut­scher: „Kom­mu­ni­ka­tion lässt zu wün­schen übrig“

15.12.2020 | Aktuelles aus der ÖÄK


Edgar Wut­scher, Obmann der Bun­des­sek­tion All­ge­mein­me­di­zin, ortet grobe Män­gel in der Kom­mu­ni­ka­ti­ons­po­li­tik von Poli­tik und Kas­sen. Zufrie­den zeigt er sich mit der Dis­zi­plin sei­ner Pati­en­ten.
Sascha Bunda

Die zweite Welle an Coro­na­vi­rus-Infek­tio­nen hat die nie­der­ge­las­se­nen Ärzte wie­der vor große Her­aus­for­de­run­gen gestellt. Eine ent­schei­dende Rolle kommt dabei auch erneut dem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fluss zu. Wie beur­tei­len Sie die Kom­mu­ni­ka­tion mit Poli­tik und Kas­sen? Ich muss sagen, dass die Kom­mu­ni­ka­tion sowohl mit der Poli­tik als auch mit den Kas­sen der­zeit sehr zu wün­schen übrig lässt. Über­wie­gend erfah­ren wir All­ge­mein­me­di­zi­ner ledig­lich aus diver­sen Pres­se­kon­fe­ren­zen, was die Poli­tik der­zeit ankün­digt. Ich möchte hier die Wort­wahl ‚plant‘ aus sach­li­chen Grün­den ver­mei­den. Ebenso wer­den die Ver­tre­ter der Sozi­al­ver­si­che­rung vor­nehm­lich in Pres­se­aus­sen­dun­gen wahr­ge­nom­men. Die All­ge­mein­me­di­zi­ner sind erfreu­li­cher­weise immer das Rück­grat der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung unse­rer Bevöl­ke­rung. Die Bevöl­ke­rung traut uns nach wie vor und holt sich bei uns Rat­schläge. Daher wäre eine direkte Kom­mu­ni­ka­tion zwi­schen All­ge­mein­me­di­zi­nern und Poli­tik sowie Sozi­al­ver­si­che­rung im Sinne einer opti­ma­len Pati­en­ten­ver­sor­gung sehr wünschenswert.

Wie gestal­tet sich der All­tag bei stei­gen­den Fall­zah­len und diver­sen Lock­down-Aus­prä­gun­gen? Trauen sich die Pati­en­ten wie­der in die Ordi­na­tio­nen? Die Pati­en­ten erwei­sen sich in der über­wie­gen­den Zahl als sehr dis­zi­pli­niert. Unsere Emp­feh­lung, sich zuerst über das Tele­fon anzu­mel­den, wird in der gro­ßen Zahl befolgt. Dadurch kann das Infek­ti­ons­ri­siko deut­lich mini­miert wer­den. Die Pati­en­ten schät­zen das sehr und besu­chen die Ordinationen.

Zur Mini­mie­rung des Infek­ti­ons­ri­si­kos bedarf es eini­ger Sicher­heits­vor­keh­run­gen. Wie neh­men Pati­en­ten die nöti­gen Maß­nah­men an? Die Pati­en­ten sind auch hier sehr dis­zi­pli­niert: Sie rufen an und ver­ein­ba­ren einen Ter­min. Dadurch kön­nen ein Ansturm auf die Ordi­na­tion und ein vol­ler War­te­raum ver­mie­den wer­den. Das emp­fin­den die aller­meis­ten Pati­en­ten als sehr posi­tiv. Schließ­lich kommt es ja gerade ihnen wie­der zugute. Unter Beach­tung die­ser Maß­nah­men kom­men sie bei mini­mals­tem Infek­ti­ons­ri­siko und kur­zer War­te­zeit gerne zu Kontrollterminen.

Gibt es auch Pati­en­ten, die Ängste arti­ku­lie­ren? Und wenn ja, wovor haben sie Angst? Die Pati­en­ten orten sehr oft ein bestehen­des Chaos bei der Abklä­rung und Betreu­ung von COVID­-19­-Pati­en­ten. Sie ver­ste­hen nicht, nach wel­chem Sys­tem die Abson­de­rung bezie­hungs­weise Qua­ran­täne erfolgt. Zum Bei­spiel, warum auch hier unter­schied­li­che Beg­inn­tage der Qua­ran­täne und eine unter­schied­lich lange Dauer der Qua­ran­täne durch die Behör­den ange­ord­net wer­den. Ich ver­su­che, das zu erklä­ren: Vom Auf­tre­ten der ers­ten Sym­ptome über die Abklä­rung bis hin zur Zustel­lung des wirk­li­chen Abson­de­rungs­be­schei­des sind zeit­weise einige Tage ver­gan­gen – ich kann jetzt hier nur von Tirol spre­chen. Die zehn­tä­gige Qua­ran­täne beginnt jedoch ja ab den ers­ten Sym­pto­men. So ist es vor­ge­kom­men, dass beim Erhalt des Abson­de­rungs­be­schei­des von der Qua­ran­täne nur noch fünf Tage übrig gewe­sen sind. Das hat doch für große Ver­wir­rung gesorgt. Mitt­ler­weile geht die­ser Pro­zess aber schon deut­lich rascher über die Bühne.

Wie sehr hat die Tele­me­di­zin, ins­be­son­dere die tele­fo­ni­sche Krank­schrei­bung, Ihre täg­li­che Arbeit ver­än­dert? Die tele­me­di­zi­ni­schen Mög­lich­kei­ten und damit auch ver­bun­den die Mög­lich­keit der ‚tele­fo­ni­schen Krank­schrei­bung‘ trägt einen wesent­li­chen Teil zur mas­si­ven Reduk­tion des Infek­ti­ons­ri­si­kos bei. Inso­fern ver­schiebt sich die täg­li­che Arbeit auch in Rich­tung Betreu­ung durch das Tele­fon. Ich würde sagen, dass der Zeit­auf­wand gleich, manch­mal sogar mehr ist im Ver­gleich zur nor­ma­len Ordination.

Als Lehre aus dem ers­ten Lock­down wurde ver­mehrt vor den soge­nann­ten ‚Kol­la­te­ral­schä­den‘ gewarnt. Wel­che Erfah­run­gen haben Sie hier gemacht? Sehr oft ist es stö­rend, dass Krank­heits­bil­der, dar­un­ter auch ernste, nicht mehr im fach­ärzt­li­chen Bereich, hier vor allem an Spi­tals­am­bu­lan­zen, abge­klärt bezie­hungs­weise behan­delt wer­den kön­nen. Hier zeigt sich viel­leicht eine Schwach­stelle unse­res Gesund­heits­sys­tems. Die über­wie­gende Zahl der Krank­hei­ten bezieht sich weit­ge­hend auf die gän­gi­gen Krank­heits­bil­der – das heißt 90 Pro­zent der Beschwer­den, mit denen die Pati­en­ten zu uns kom­men, betref­fen ganz klas­si­sche Krank­hei­ten. Man darf nicht in den Feh­ler ver­fal­len, vie­les mit dem Hin­weis auf Corona abzu­schie­ben und so zu tun, als gäbe es nur noch Corona auf der Welt. Es gibt näm­lich noch viele andere Krank­hei­ten, die man eben­falls nicht ver­nach­läs­si­gen darf. Umso wich­ti­ger ist es natür­lich, dass die Pati­en­ten ihre Routine­ und Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen auch kon­se­quent wahr­neh­men und in die Ordi­na­tio­nen kom­men. Es droht sonst eine unnö­tige Ver­schlim­me­rung der Sym­ptome und Krank­heits­ver­läufe, die dann erst wie­der mit beträcht­li­chem Mehr­auf­wand bekämpft wer­den müssen.

Posi­tiv wird oft bewer­tet, dass sich die Men­schen durch die aktu­elle Situa­tion beson­ders mit dem Thema Imp­fen befas­sen. Kön­nen Sie bei­spiels­weise eine höhere Impf­be­reit­schaft, etwa bei der Influ­enza, fest­stel­len? Ich stelle in die­sen Mona­ten wenig über­ra­schend eine außer­or­dent­lich rege Nach­frage nach Imp­fun­gen, ins­be­son­dere nach der Influenza­Impfung, fest. Lei­der wird diese Nach­frage durch das herr­schende Chaos um die Bereit­stel­lung des Impf­stof­fes sehr strapaziert.

Wie sieht es in Ihrem Umfeld mit der Ver­tei­lung der Grip­pe­impf­stoffe aus, wel­che Erfah­run­gen haben Sie gemacht? Was sind Ihre Lösungs­an­sätze? Bedau­er­li­cher­weise muss man sagen, dass die Zutei­lung der Grip­pe­impf­stoffe noch immer sehr schlep­pend ver­läuft. Zumin­dest in Tirol ist zum aktu­el­len Zeit­punkt die Ver­sor­gung über die Gesund­heits­ab­tei­lung des Lan­des nun ange­lau­fen und vor allem die Risi­ko­pa­ti­en­ten kön­nen geimpft wer­den. Die Lehre dar­aus ist ein­deu­tig: Sie muss zwei­fels­ohne sein, dass man sich zukünf­tig schon früh­zei­tig, das heißt im Früh­jahr, um die Bestel­lung von Impf­stof­fen kümmert.

Wie hal­ten Sie den Kon­takt bezie­hungs­weise wie behan­deln Sie Pati­en­ten, die in Qua­ran­täne sind? Die Frage ist im Grunde sehr schnell zu beant­wor­ten: Im Bescheid der Behörde ist näm­lich aus­drück­lich fest­ge­hal­ten, dass man sich bei Ver­schlech­te­rung des Zustan­des an sei­nen Arzt wen­den kann. Dabei ist natür­lich zu beach­ten, dass dies wie­der unter Ein­hal­tung der not­wen­di­gen Hygie­ne­vor­schrif­ten erfol­gen muss, sowie nach tele­fo­ni­scher Ter­min­ver­ein­ba­rung mit dem Arzt.

2020 hat bei­nahe alle Berei­che des Lebens vor völ­lig neue Her­aus­for­de­run­gen gestellt. Wie haben Sie per­sön­lich das ver­gan­gene, so tur­bu­lente Jahr erlebt – wie lau­tet Ihr Resü­mee?
Die­ses abge­lau­fene Jahr bedeu­tete in sehr vie­len Berei­chen das Betre­ten von völ­li­gem Neu­land. Das ganze Land befand sich im Lock­down, der Ort unter stren­ger Qua­ran­täne. Dazu kam noch eine Sperre der Straße wegen eines Muren­ab­gangs und damit eine neu­er­li­che Umstel­lung der Patientenversorgung.

Erlau­ben Sie uns zum Jah­res­ab­schluss noch einen kur­zen Aus­blick: Mit wel­chen Erwar­tun­gen gehen Sie in das kom­mende Jahr 2021? Was sind Ihre Wün­sche? Meine Wün­sche sind dies­be­züg­lich eigent­lich recht ein­fach gehal­ten: Hof­fent­lich blei­ben wir alle wei­ter gesund, zie­hen die not­wen­di­gen Leh­ren aus der bis­he­ri­gen COVID­-Krise und sehen, dass es auch wesent­lich ruhi­ger abge­hen kann. Viel­leicht ist das ja nicht die schlech­teste Lehre aus dem nun zu Ende gehen­den Jahr. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 23–24 /​15.12.2020