Hori­zonte Joseph II.: Die Medi­zin als Militär-Macht

15.12.2019 | Service

Joseph II. ging es mit sei­nem Reform­pro­gramm pri­mär nicht um Neue­run­gen in der medi­zi­ni­schen Aus­bil­dung. Der Bau des All­ge­mei­nen Kran­ken­hau­ses in Wien und die Grün­dung des Jose­phin­ums soll­ten vor allem dis­zi­pli­näre Insti­tu­tio­nen zur Stär­kung der mili­tä­ri­schen Staats­macht sein.
Julia Obruca

Die unter Joseph II. errich­te­ten Kran­ken­an­stal­ten hat­ten eine viel weit­rei­chen­dere Bedeu­tung als die bloße Ver­sor­gung der Pati­en­ten. Wäh­rend das älteste Pari­ser Kran­ken­haus Hôtel-Dieu auf­grund der mise­ra­blen Kran­ken­ver­sor­gung gerüch­te­weise gar als Insti­tu­tion zur Ent­le­di­gung armer Leute bezeich­net wurde, hatte Joseph II. mit dem Wie­ner AKH gegen­tei­lige Pläne. Und so machte sich der öster­rei­chi­sche Kai­ser 1777 selbst ein Bild von jenem Pari­ser Kran­ken­haus, in dem man bis zu vier Kranke in ein Bett legte und Lebende sich die Kran­ken­säle mit Toten teil­ten. „Der jose­phi­ni­sche Reform­ab­so­lu­tis­mus kann als ein Pro­jekt zum Auf­bau und zur Stär­kung eines ein­heit­lich zen­tral gelenk­ten Staa­tes ver­stan­den wer­den“, sagte Her­wig Czech, Assis­tent für Medi­zin­ge­schichte von der Medi­zi­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien, der aktu­ell an der Cha­rité-Uni­ver­si­täts­me­di­zin Ber­lin als Gast­wis­sen­schaft­ler tätig ist, im Rah­men des Jose­phinum-Sym­po­si­ums unter dem Motto „Ver­nunft. Macht. Vision. Joseph II. und die kurze Herr­schaft der Auf­klä­rung“ Anfang Novem­ber in Wien. Von den Umstän­den im Pari­ser Kran­ken­haus hat sich Joseph II. strikt distanziert.

So hatte etwa Johann Peter Frank in ‚Sys­teme der voll­stän­di­gen medi­ci­ni­schen Poli­cey‘ die Mög­lich­kei­ten eines sys­te­ma­ti­schen und flä­chen­de­cken­den Sys­tems des öffent­li­chen Gesund­heits­we­sens „als Macht­ba­sis für den Staat auf­ge­deckt“, so Czech. Der Oxford-His­to­ri­ker Robert John Wes­ton Evans wie­derum erkannte den wah­ren Grund hin­ter die­sem Pro­jekt und bezeich­nete Joseph II. des­halb als noblen aber letzt­lich unaus­steh­li­chen Anti-Helden.

Geschei­terte Kon­zepte und Bau

Für die Errich­tung eines neuen All­ge­mei­nen Kran­ken­hau­ses gab es zahl­rei­che viel­ver­spre­chende Kon­zepte wie etwa jenes von Johann Peter Xaver Fau­ken. Wie Czech betonte, hatte sich die­ser erst­mals mit dem staat­li­chen Nut­zen eines gro­ßen und zen­tra­len Kran­ken­hau­ses befasst. Als wei­tere Vor­teile führte er Kos­ten­er­spar­nisse bei der Ver­wal­tung sowie die erleich­terte Orga­ni­sa­tion der Ver­pfle­gung und Ver­sor­gung der Kran­ken an. Fau­ken bezeich­net die Zusam­men­fas­sung von unter­schied­li­chen Krank­heits­bil­dern unter einem Dach als nütz­li­chen Fak­tor für die medi­zi­ni­sche Aus­bil­dung, der aber gleich­zei­tig die Gefahr für über­trag­bare Krank­hei­ten erhöhe. Als Nega­tiv­bei­spiel wurde dabei das fran­zö­si­sche Hôtel-Dieu genannt. Ange­sichts der dort vor­herr­schen­den schlech­ten­Be­din­gun­gen und auch in Anbe­tracht der staats­po­li­ti­schen Pläne zum Macht­aus­bau war eine Dezi­mie­rung der Kran­ken jedoch keine Option. Des­halb sollte es im Wie­ner AKH strikte Rege­lun­gen für die Lebens­mit­tel­ver­sor­gung und die Frisch­luft­zu­fuhr geben. Des­we­gen sollte jedes Bett mit nur einem Pati­en­ten belegt und unter­schied­li­che Krank­heits­bil­der auf ver­schie­de­nen Sta­tio­nen behan­delt werden.

Staats­po­li­ti­sche Bedeu­tung eines AKH

Ein wei­te­rer Arzt der Epo­che, Maxi­mi­lian Stoll, befasste sich 1788 mit der Errich­tung eines neuen öffent­li­chen All­ge­mei­nen Kran­ken­hau­ses. Ebenso wie Fau­ken unter­strich Stoll die staats­po­li­ti­sche Bedeu­tung eines AKH, wenn­gleich er auch auf die Ris­ken eines sol­chen Groß­kran­ken­hau­ses auf­merk­sam machte – Stich­wort Sterb­lich­keits­ri­siko. Sein Lösungs­an­satz: die funk­tio­nelle Unter­tei­lung in Abtei­lun­gen mit jeweils spe­zi­el­len Ärz­ten und Wär­tern, die unter einer gemein­sa­men Ver­wal­tung ver­blei­ben sollten.

Mit der Kon­zep­tion des AKH wurde schließ­lich der kai­ser­li­che Leib­arzt von Joseph II., Joseph von Qua­rin, beauf­tragt, der 1784 mit der Grün­dung auch des­sen Direk­tor wurde. Der Bau stellte ihn vor die größte Her­aus­for­de­rung, da Joseph II. so wenig finan­zi­elle Mit­tel wie mög­lich dafür auf­brin­gen wollte, wie Czech aus­führt: „Bei aller per­sön­li­chen Groß­zü­gig­keit, mit der Joseph das Pro­jekt vor­an­trieb, war die Spar­sam­keit vor allem bei der bau­li­chen Umset­zung bestim­men­des Prin­zip.“ Anstatt neue Gebäude zu errich­ten, wur­den des­halb auch bereits bestehende wie das Groß-Armen­haus adap­tiert. Joseph II. war in die Umset­zung des Pro­jekts zu gro­ßen Tei­len invol­viert. Die „Nach­richt über die Ein­rich­tung des Haupt­spi­tals in Wien“ im Juni 1784 wurde als Bro­schüre auf­ge­legt und in der Bevöl­ke­rung verteilt.

Das nach den dama­li­gen Plä­nen neu erbaute AKH umfasste schließ­lich ein Haupt­spi­tal, das vier räum­lich und funk­tio­nal von­ein­an­der zu unter­schei­dende Insti­tu­tio­nen beher­bergte. Zu die­sen zähl­ten neben dem eigent­li­chen AKH das Fin­del­haus, das Gebär­haus und das Toll­haus – bes­ser bekannt als Nar­ren­turm. Beson­ders das Fin­del­haus und das Gebär­haus „soll­ten nun im Sinne der bio­po­li­ti­schen Revo­lu­tion als ein Zuge­winn betrach­tet wer­den, ganz im Sinne eines Zuge­winns einer bio­lo­gi­schen Macht­ba­sis für den Staat“, erklärte Czech.

Auch auf die Bedeu­tung des Nar­ren­turms ging der Refe­rent in sei­nen Aus­füh­run­gen ein. „Die getrennte Unter­brin­gung der psy­chisch Kran­ken in einem eigens dafür kon­zi­pier­ten und aus­ge­führ­ten Bau bedeu­tete grund­sätz­lich einen Mei­len­stein in der Aus­dif­fe­ren­zie­rung in einer spe­zia­li­sier­ten psych­ia­tri­schen Ver­sor­gung.“ Er hatte eine Brü­cken­funk­tion zwi­schen Kran­ken­haus und Gefäng­nis inne und wurde im Wesent­li­chen zur „effi­zi­en­ten Ver­wah­rung und Über­wa­chung von Men­schen“ kon­zi­piert, sagte Czech. Durch den run­den Turm, über des­sen Bau­weise bis heute spe­ku­liert wird, zeig­ten sich die Bestre­bun­gen von Joseph II.: Wäh­rend das AKH als dis­zi­pli­näre Insti­tu­tion mit einer offen­kun­di­gen Ver­bin­dung zum Mili­tär galt, sollte der Nar­ren­turm jene weg­sper­ren, die für den Staat unbrauch­bar waren.

Jose­phinum: Ärzte für das Militär

Das Jose­phinum wie­derum ist „jene Ein­rich­tung und Insti­tu­tion, in der sich Josephs Ten­den­zen und Josephs Her­an­ge­hens­weise an sein medi­zi­ni­sches Reform­pro­gramm am deut­lichs­ten (…) able­sen las­sen.“ Der Zusam­men­hang zwi­schen einer mili­tär­me­di­zi­ni­schen Aka­de­mie und der Ten­denz zur Stär­kung der Kampf­kraft des Staa­tes seien hier klar erkenn­bar. Im Sinn der Auf­klä­rung soll­ten durch das Jose­phinum im Zuge einer stan­dar­di­sier­ten Aus­bil­dung Ärzte pri­mär für das Mili­tär, aber auch für den zivi­len Bereich aus­ge­bil­det wer­den. Die zahl­rei­chen ana­to­mi­schen Wachs­mo­delle sowie die Samm­lung der chir­ur­gi­schen Instru­mente von Gio­vanni Ales­san­dro Brambilla zeig­ten außer­dem die Ten­denz zur Nor­mie­rung und Ver­ein­heit­li­chung der medi­zi­ni­schen Praxis.

Das Jose­phinum wurde als herr­schaft­li­che Reprä­sen­ta­ti­ons­form gegrün­det und diente dem Herr­scher über­dies dazu, sein Image als auf­ge­klär­ter Refor­mer und Mon­arch zu stär­ken, so das Resü­mee von Her­wig Czech. Für den Nach­wuchs des abso­lu­tis­ti­schen Regimes sorgte man im Wai­sen- und Fin­del­haus – eine Gene­ra­tion, die Joseph II. jedoch nicht mehr ken­nen­ler­nen sollte.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 23–24 /​15.12.2019