CIRSmedical: Invasive Maßnahme ohne Checkliste

25.01.2019 | Service


Vor einer Stentgraftimplantation bei einem über 75-jährigen Patienten mit infrarenalem Aortenaneurysma wird die präoperative Bereitstellung von Blutkonzentraten vorgeschrieben. Obwohl die Blutbereitstellung übersehen wird, wird der Eingriff – nach Druck auf die Anästhesie – durchgeführt. Nach einem Leck der Prothese kommt es zu einem deutlichen Hämoglobinabfall beim Patienten.

Ein über 75-jähriger Patient mit infrarenalem Aortenaneurysma wird für einen späteren interventionellen radiologischen Stentgraftimplantationseingriff der Aortenbifurcation in der Anästhesieambulanz vorgestellt. Die Erhebung eines Blutgruppenbefundes mit indirektem Coombs-Test sowie die präoperative Bereitstellung von vier Erythrozytenkonzentraten für den Interventionstag werden vorgeschrieben. Bei der Aufnahme am Vortag der Intervention wird auf der aufnehmenden internistischen Station Blutgruppenbestimmung und Blutbereitstellung übersehen. Am Eingriffstag wird Druck auf die Anästhesie ausgeübt, den Eingriff schon zu beginnen, da parallel schon Blut bestellt wurde und die Häufigkeit von Bluttransfusionen bei radiologischen Interventionen an der Aorta selten wäre. Nach Beginn des Eingriffes stellt sich heraus, dass der Patient Antierythrozytäre Antikörper entwickelt hatte und die Blutbereitstellung etwas erschwert sein werde. Es wurde festgestellt, dass der Patient anlässlich einer Magenblutung vor ein paar Monaten Erythrozytenkonserven transfundiert bekam. Es konnten schließlich doch passendes Blut gefunden werden. Gegen Ende des Eingriffs stellte sich ein Leck der Prothese dar. Der stattfindende Hämoglobinabfall an diesem Tag belief sich von 11.3 g/dl bei Aufnahme auf 8.4g/dl am Abend des Interventionstages. Der Patient kam nicht zu Schaden.

Der meldende Arzt mit mehr als fünf Jahren Erfahrung sieht den Grund für dieses Ereignis u.a. darin, dass aufnehmende und ausführende Station unterschiedlich waren und es daher wahrscheinlich keine Vertrautheit mit Eingriffen an der Aorta und dem damit verbundenen Blutungsrisiko gab. Als Faktoren, die zum Ereignis beitrugen nannte der Arzt Kommunikation (im Team, mit PatientIn, mit anderen ÄrztInnen, SanitäterInnen, etc.), Teamfaktoren (Zusammenarbeit, Vertrauen, Kultur, Führung, etc. und Ablauforganisation.

Feedback des CIRS-Teams/Fachkommentar

  • Lösungsvorschlag bzw. Fallanalyse

Bei diesem Fall handelt es sich um einen Klassiker in der Zusammenarbeit zwischen einer Abteilung für Anästhesie und einem anfordernden Fach. Grundsätzlich besteht Einigkeit, dass für den entsprechenden Eingriff Konserven bereitgestellt werden sollen. Sind die Konserven in einem Fall nicht vorrätig, so wird Druck gemacht, den Eingriff trotzdem zu machen, denn „meistens“ passiere dabei ohnehin nichts.

Bei diesem Vorgehen handelt es sich um einen typischen Regelverstoß. Unter dem Hinweis darauf, dass in der Regel ohnehin nichts passiert, wird die Regel, die genau diesen Fall verhindern soll, gebrochen. Ein weiteres häufig gebrauchtes Argument ist, man solle nicht so kleinlich sein und Mut könne man nicht kaufen. Dieser Regelverstoß wird in den meisten Fällen auch noch belohnt, weil dann etwa das Programm in der Regelarbeitszeit fertig wird, es einfach schneller geht etc. Manchmal jedoch geht die Rechnung nicht auf und es geschieht genau das, was durch diese gebrochene Regel verhindert werden soll.

Der konkrete Fall ist besonders tragisch, denn wenn der Patient keinen positiven Antikörpersuchtest gehabt hätte, wären die Erythrozytenkonzentrate bei Auftreten des Zwischenfalls wahrscheinlich bereits fertig gekreuzt gewesen.

Die Lösung ist einfach: Regeln, SOP, Checklisten sind einzuhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es eines klaren Commitment der obersten Leitung, in diesem Fall der Abteilungsleitung der Abteilung für Anästhesie. Checklisten, SOP, Regeln sind unter allen Umständen, das heißt zu jeder Zeit, und von jedem – unabhängig von der Hierarchiestufe –, einzuhalten.

Rechtliche Gegebenheiten
Sollte im Rahmen eines solchen Regelverstoßes der Patient zu Schaden kommen und der Fall strafrechtlich beurteilt werden, so kann bereits Fahrlässigkeit nach § 6StGb vorliegen, denn der Täter hat sich bewusst über eine Regel hinweggesetzt, die genau diesen Fall verhindern sollte.

Gefahren-/Wiederholungspotenzial
Sehr hohes Wiederholungspotenzial, solche Fälle kommen gerade zwischen einer Abteilung für Anästhesie und deren chirurgischen/interventionellen Partnern laufend vor.

ExpertIn des SMZ Floridsdorf
(medizinisch-fachlicher Aspekt, Anästhesiologie und Intensivmedizin)

  • Lösungsvorschlag bzw. Fallanalyse

Grundsätzlich handelt es sich bei diesem interventionell-radiologischen Eingriff um eine minimal-invasive Methode, bei der in der international üblichen Praxis keine Blutprodukte prophylaktisch bereitgestellt werden!

Hausinterne Erstellung und Einhaltung von SOPs für das prä- und periinterventionelle Patientenmanagement basierend auf Risikoeinschätzungen der verschiedenen Fachgesellschaften beziehungsweise Etablierung einer IR-Patienten-Sicherheitscheckliste. Im Rahmen der Überprüfung einer solchen Checkliste kann das Fehlen von wichtigen begleitenden Maßnahmen erkannt werden. Eine interdisziplinäre Vereinbarung über den Charakter dieser SOPs (Empfehlung, Voraussetzung etc.) ist zweckmäßig.

Rechtliche Gegebenheiten
Die präoperative Abklärung der Patienten fällt in das Tätigkeitsfeld der Anästhesie – i.R. der präoperativen Untersuchung. Dieses Fach führt nach entsprechender Untersuchung und gegebenenfalls weiterer Abklärung die „Freigabe“ des Patienten für einen geplanten Eingriff durch beziehungsweise verzichtet auf eine solche bei Notfallszenarien. Standards für die prophylaktische Bereitstellung von Blutprodukten sind individuell vom Patienten abhängig nicht international geregelt.

Neue Erkenntnisse
Eine interventionell-radiologische Richtlinie für die Bereitstellung von Blut/FFP existiert nicht. Wohl gibt es aber seitens der CIRSe eine Auflistung interventionell-radiologischer Eingriffe mit geringem, moderatem oder hohem Blutungsrisiko als Entscheidungshilfe.

Gefahren-/Wiederholungspotenzial
Typische Schnittstellenproblematik, bei der ein Risiko bewusst in Kauf genommen wurde, um einen geplanten und einen an Ressourcen aufwendigen Eingriff (abdominelle EVAR) trotzdem durchführen zu können.

ExpertIn der Bundesfachgruppe für Radiologie
(medizinisch-fachlicher Aspekt, Radiologie)

  • Lösungsvorschlag bzw. Fallanalyse

Dieser Fall ist sehr typisch und dient als Beispiel dafür, dass alle Regeln, Vorbereitungen, Vorsichtsmaßnahmen, Risikominimierungsmaßnahmen nichts nützen, wenn sie nicht auch eingehalten werden. Und die Einhaltung von Anordnungen muss von Vorgesetzten vorgelebt, getragen, geschult, überprüft und nötigenfalls auch exekutiert werden.

ExpertIn des BIQG
(Stellungnahme BIQG)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 1-2 / 25.01.2019