Allgemeinmedizin in Vorarlberg: Vom Turnus in die Ordination

10.06.2019 | Politik


Angehende Allgemeinmediziner können ab Herbst dieses Jahres schon während des Turnus Seminare absolvieren, die auf die künftige Tätigkeit in einer Ordination vorbereiten. Insgesamt sind 18 Seminare – sechs pro Ausbildungsjahr – vorgesehen. Der Start erfolgt im Oktober.

Ulrike Haider-Schwarz

Hinter der Vorarlberger Initiative dieser Kooperation zwischen der Ärztekammer für Vorarlberg, der Vorarlberger Gebietskrankenkasse und dem Land Vorarlberg steht die Idee, Inhalte, die während der universitären Ausbildung und der Basisausbildung oft zu kurz kommen, durch das Seminarangebot zu ergänzen. Burkhard Walla, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer Vorarlberg, formuliert die inhaltliche Lücke bei der Ausbildung in der Allgemeinmedizin folgendermaßen: „Die Allgemeinmedizin ist sehr spezifisch. Die Ausbildung kann in den Krankenhäusern oft nicht optimal erfolgen, da viele Themen der Allgemeinmedizin im Krankenhaus nicht vermittelt werden können.“

Den Oberösterreicher Michael Baier hat es nach dem Studium an der MedUni Wien nach Vorarlberg gezogen. Er beurteilt die Situation ähnlich wie Walla: „Schon als Student kommt man kaum mit der Allgemeinmedizin in Berührung. Es gibt nur wenige allgemeinmedizinische Vorlesungen und wenige, die von Allgemeinmedizinern gehalten werden.“ Er meint außerdem, dass viele seiner Kollegen mit dem Basisjahr starten ohne zu wissen, in welche Richtung ihre Ausbildung führen soll. „Während der Basisausbildung im Spital kommen die Turnusärzte vor allem mit den Spezialfächern in Kontakt. Sie wissen nicht, was Allgemeinmedizin eigentlich umfasst. Sie entscheiden sich dann eher für ein Spezialfach, das ihnen zusagt, einfach auch aus dem Grund, weil sie während der Ausbildung kaum und dann durch die Lehrpraxis auch erst sehr spät mit der Allgemeinmedizin konfrontiert werden.“ Die Seminarreihe wie auch Mentoring-Programme sollen somit auch zusätzliche Berührungspunkte mit der Allgemeinmedizin schaffen, um grundsätzlich interessierte Turnusärzte abzuholen und sie nicht an andere Fächer zu verlieren.

Schon Ende 2017 wurde Baier bei der Vorarlberger Gesellschaft für Allgemeinmedizin vorstellig und präsentierte seine Idee der Seminare. Anfang 2018 wurde in Zusammenarbeit mit der Ärztekammer für Vorarlberg eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen und das Konzept entwickelt. Die Ärztekammer stellt die Organisationsleistung zur Verfügung, die Gebietskrankenkasse übernimmt die Seminarkosten und die Kosten für die Seminarleiter. Für die Teilnehmer ist der Besuch der Seminare kostenlos. Die Vorbereitung und das Abhalten der Seminare ist mit einem gewissen Aufwand verbunden, der den Vortragenden auch finanziell abgegolten werden soll. Ein entsprechendes Budget dafür ist bereits vorgesehen. Geplant ist, dass ein bis zwei Allgemeinmediziner beziehungsweise ein Allgemeinmediziner und ein niedergelassener Facharzt die Seminare leiten. An der konkreten Ausgestaltung der Kurse wird derzeit noch gearbeitet.

Über mangelnde Nachfrage von Seiten der Jungärzte macht man sich keine Sorgen. Walla dazu: „Wir wissen, wer in Vorarlberg in Ausbildung ist und diese Jungärzte werden wir aktiv ansprechen. Wir glauben, dass es einen großen Bedarf gibt und ich glaube nicht, dass wir die Jungärzte nicht erreichen.“ Baier sieht die Seminare auch ein wenig als „Werbeaktion“: „Ich denke, dass man niemanden davon überzeugen kann, wenn er nicht grundsätzlich an der Allgemeinmedizin interessiert ist. Aber man kann Berührungspunkte schaffen, die wiederum begeistern können.“ Ein Antrag, dass die Teilnehmer für diese Tage vom Dienst freigestellt werden, liegt bereits beim Land Vorarlberg. Walla dazu: „Wir sind in Verhandlung mit den Vorarlberger LKHs. Das würde die Attraktivität der Seminare zusätzlich steigern.“ Die Bundesländer-übergreifende Harmonisierung ist ihm dabei wichtig. „Wir sind mit den Salzburger und auch den Wiener Kollegen in Kontakt und versuchen, das Curriculum inhaltlich so gut wie möglich einheitlich zu gestalten und auch die Vortragenden untereinander auszutauschen.“

Vernetzung

Baier greift noch einen weiteren wichtigen Punkt hinsichtlich der Vernetzung auf: „Wenn man als Turnusarzt anfängt und ständig die Abteilungen wechselt, ist es schwierig, in ein Team hineinzuwachsen. Man steht mehr oder weniger allein auf weiter Flur und hat selten einen Primar oder Ansprechpartner der Allgemeinmedizin. Die Vernetzung untereinander fällt daher oft schwer. Bei den Seminaren treffen sich sechs Mal jährlich alle Turnusärzte, die Allgemeinmediziner werden wollen. Sie können sich dort vernetzen und es entsteht ein Zusammengehörigkeitsgefühl, eine Art Community, von der sie gegenseitig profitieren.“


Drei Fragen an… Michael Baier

Aus den vielen Patienten jene herauszufiltern, die schwerwiegende Probleme haben – das ist eine der zentralen Aufgaben des Allgemeinmediziners. Die Fähigkeiten dazu sollten in der Ausbildung vermittelt werden, sagt der Oberösterreicher Michael Baier, der seit vier Jahren seine Ausbildung in Vorarlberg absolviert.

Wie hat es Sie nach Vorarlberg ‚verschlagen‘? Die Turnusärzte-Ausbildung in Vorarlberg hat einen sehr guten Ruf. Hier schaut man auf die Turnusärzte. Es ist in gewisser Art und Weise mehr Ausbildung möglich. Das war der Grund, warum ich nach Vorarlberg gegangen bin.

Warum ist die spezifische Ausbildung in der Allgemeinmedizin so wichtig? Als Jungarzt hört man sehr oft – und zwar sowohl im Spital bei der Famulatur als auch auf der Uni -, bei Hausärzten gehe es häufig nur um ‚Husten, Schnupfen, Heiserkeit‘ in Richtung Hausmittel und weniger um wissenschaftlich basierte Medizin. Dabei ist das gar nicht so. Warum das so ist, verstehe ich nicht. Wenn der Lehrstuhl für Allgemeinmedizin jetzt noch in ganz Österreich etabliert wird, wird die Bedeutung der Allgemeinmedizin noch viel mehr ins Bewusstsein kommen. Als Allgemeinmediziner in der Praxis hat man es mit vielen verschiedenen Menschen zu tun. Viele haben kleinere gesundheitliche Probleme, die man‚ rasch behandeln kann. Und aus diesen vielen Patienten muss man jene herausfiltern können, die doch schwerwiegende Probleme haben. Wenn man nicht entsprechend ausgebildet ist, ist das extrem schwierig.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, allgemeinmedizinische Seminare für Turnusärzte anzubieten? Vorarlberg ist klein genug, die Wege sind kurz. Ich bin begeistert, wie schnell es möglich ist, das Projekt umzusetzen und Budgets freizumachen. Als junger Arzt mit innovativen Ideen wird man hier sehr unterstützt. Das ist nicht selbstverständlich.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2019