Porträt Oskar Aszmann: Innovation in der Prothetik

25.10.2019 | Politik


Während bisher Sensoren meist an der Hautoberfläche das Signal bei einer Prothese generiert haben, setzt Univ. Prof. Oskar Aszmann von der Abteilung für plastische und rekonstruktive Chirurgie am AKH Wien bei seiner Entwicklungsarbeit auf intramuskulär verpflanzte Sensoren, für die er auch die Nervenlandschaft neu gestaltet.

Ursula Scholz

Es war im Jahr 2006, Oskar Aszman, Facharzt für plastische und rekonstruktive Chirurg am AKH Wien, hatte einen Patienten zu versorgen, der durch eine Stromverbrennung beide Arme verloren hatte. „Ein 16-jähriger Bursch mit einer derartigen Perspektive … Da habe ich fieberhaft nach einer Lösung gesucht.“ Auf eben dieser Suche stieß Aszmann auf die Prothesen-Firma Ottobock Healthcare Products, ein deutsches Unternehmen mit einer 620-Mitarbeiter-Niederlassung in Österreich, wodurch der Grundstein für eine bis heute andauernde erfolgreiche Zusammenarbeit gelegt war. Manifestiert hat sich diese produktive Kooperation in einem Christian Doppler-Labor, einer Public-private-Partnership, die 2012 begründet wurde. Erst im Juni dieses Jahres wurde das Gemeinschaftsprojekt plangemäß abgeschlossen.

Nahezu zeitgleich startete Aszmann mit einem Nachfolge-Projekt zum Thema myoelektrische Prothetik auf europäischer Ebene, für das er einen 10-Millionen-Euro-Grant der europäischen Kommission lukrieren konnte; möglicherweise der bisher höchste jemals an die MedUni Wien vergebene.

So wie sich Aszmann nach Studienanfängen in Biologie und Philosophie aus Gründen der Praxisnähe dann doch für ein Medizinstudium entschlossen hat, definiert er auch als höchstes Ziel für seine Prothesen-Lösungen die Praktikabilität im Alltag: „Wir brauchen in der Prothetik moderne Technologie, aber sie sollte intuitiv zu bedienen sein und unkompliziert in der Anwendung“, so sein Credo. Das Leben jener Menschen, die schon ab dem Oberarm eine Prothese benötigen, ist kompliziert genug.

Während bisher Sensoren meist an der Hautoberfläche das Signal für die Prothese generiert haben, was nicht nur zu Ungenauigkeiten führt, sondern auch ein ständiges Nachjustieren durch einen hochspezialisierten Orthopädietechniker erfordert, setzt Aszmann in seiner Entwicklungsarbeit auf intramuskulär verpflanzte Sensoren, für die er auch die Nervenlandschaft neu gestaltet. Die implantierten Sensoren „übersetzen“ nämlich die neurologischen Informationen jener Nerven in einen Bewegungsauftrag, die schon zuvor für die Steuerung von Hand- und Armfunktionen zuständig waren, die dafür aber speziell verlagert werden müssen. Aszmann, nervenchirurgischer „Feinstmechaniker“, ist für die Nervenverlegung und Implantation zuständig. Bei der Biosignalerkennung und Biosignalverstärkung setzt er auf die Expertise seines britischen Kooperationspartners Dario Farina vom Imperial College in London.

Zu den weiteren Vorteilen der bionischen Prothesen-Lösung gehört die drahtlose Signalübertragung via Bluetooth. „Der Sensor kommuniziert mit der Prothese wie das Handy mit einem kabellosen Kopfhörer“, so der Vergleich von Aszmann. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die Energieversorgung der implantierten Sensoren. Sie erfolgt via Induktion der Spule im Prothesenschaft „wie ein Dynamometer beim Fahrrad“. Der Sensor wiederum wurde von einem US-amerikanischen Partner der Alfred Mann Foundation entwickelt. Bei drei Patienten ist die myoelektrische Prothese bereits erfolgreich im Einsatz.

Das Konzept lässt sich bei Verlust der Ellbogen- und Handsteuerung einsetzen, egal ob diese aus einer Amputation, einem Tumor oder einem neurologischen Defizit resultiert. Patientinnen und Patienten mit derartigen Problemstellungen finden in der wöchentlichen Sprechstunde von Aszmanns Forschungsgruppe ein Team vor, in dem durch intensive Zusammenarbeit optimale Lösungen gefunden werden können. „Wir arbeiten problemzentriert und gleichzeitig lösungsorientiert. Das Leid, das der Arzt empathisch mitfühlt, ist Motor für die Innovation“, betont Aszmann.

„Inzwischen bin ich Vollblut-Arzt“, bekennt der Chirurg. Und das, obwohl sein ursprüngliches Ziel eine rein wissenschaftliche Forschungsarbeit war. Als Studienassistent an der Wiener Anatomie fühlte er sich sehr wohl; bei Univ. Prof. Hanno Millesi auf der Neurobiologie entflammte schließlich seine Leidenschaft für die Nerven. „Ich wusste schon nach einem Tag: Das ist es.“ Nach der Emeritierung von Millesi begab sich Aszmann auf die Suche nach neuer Expertise in der Nervenchirurgie – die er bei Professor Lee Dellon am Johns Hopkins Hospital in Baltimore fand. Aszmann war – im Zeitalter vor der Kommunikation via E-Mail – einfach nach Baltimore geflogen, um sich vorzustellen. Die Chemie zwischen den beiden Forschern stimmte und der Bedarf an einem zusätzlichen Mann war gerade gegeben. „Aus den geplanten sechs Monaten wurden fast vier Jahre“, erzählt Aszmann. Vielleicht wäre er sogar geblieben, hätte ihn nicht im Jahr 1998 ein Anruf aus Wien erreicht mit der Frage, ob er nicht an die MedUni zurückkommen wolle. Inzwischen hatte Univ. Prof. Manfred Frey den Wiener Lehrstuhl für plastische und rekonstruktive Chirurgie übernommen, ein Chirurg, der sich intensiv mit Nervenchirurgie bei Gesichtslähmung auseinandersetzt. Aszmann folgte dem Ruf und konnte bereits im Jahr 2000 sein eigenes Labor gründen, das bis heute besteht und floriert.

Nur keine Halbherzigkeit

Mittlerweile hat Aszmann eine Sonderprofessur an dieser Abteilung. Die Arbeitsbedingungen am AKH schätzt er immer noch: „Ich muss das Haus nicht verlassen, um den verschiedenen Tätigkeiten nachzugehen: Ich kann zwischen zwei OPs in den Tierstall gehen oder auf Ebene 8 einen Versuch supervidieren.“ Seine Forschungsgruppe umfasst an die 15 Köpfe, eine „kritische Größe“, wie er selbst sagt. „Innovation erfordert, dass alle Fäden bei einem Menschen zusammenlaufen, von dem die Gesamtvision ausgeht. Größer dürfte die Gruppe daher gar nicht sein.“ Dass Aszmann einem weiteren Wachstum kritisch gegenübersteht, liegt auch daran, dass er auch genügend Ressourcen für sein Privatleben reserviert. Seine drei Kinder – zwei Töchter und ein Sohn – sollen den Vater auch hautnah erleben. „Enthusiasmus“ will er ihnen mitgeben, egal, für welchen Weg sie sich entscheiden. „Sie dürfen auch auf Abwege geraten“, gesteht er ihnen zu. „Aber wenn, dann so richtig. Halbherzigkeit ist etwas, das ich verachte.“

Gefragt nach den wichtigsten Eigenschaften, die ihn charakterisieren, delegiert Aszmann die Frage an den neben ihm sitzenden Forschungsassistenten. Dessen Fazit: Kreativität, Witz und Beharrlichkeit. Außerdem zeichne ihn gute Menschenkenntnis aus.

Philosoph geblieben

Ein Philosoph ist Aszmann geblieben, auch wenn aufgrund mangelnder Perspektive nie ein Beruf daraus geworden ist. Die Fragestellungen, die ihn heute beschäftigen, sind im Vergleich zu seinem Studienbeginn „in alle Richtungen gewachsen“, wie er selbst es formuliert. Nach wie vor widmet er sich gerne entsprechender Lektüre. So habe sich durch die Werke des Futuristen Ray Kurzweil für ihn „eine immense Welt aufgetan“. Eine Welt, in der sich Menschen ihrer Leiblichkeit entledigen, ihre Hirnleistung in einen Computer downloaden und als Avatar weiter existieren. „Das ist eine Ernst zu nehmende philosophische Strömung. Auch wenn ich da so meine Bedenken habe“, erklärt der christlich geprägte Aszmann, der mit dem Gedanken spielt, auch selbst einmal ein Buch mit medizinisch-philosophischem Fokus zu schreiben. Wo er Entspannung findet in einem derart erfüllten Alltag? „Beim Operieren. Da redet keiner zurück.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2019