Gratis-Kinderimpfprogramm: Indirekte Impfpflicht

25.03.2019 | Politik


Die Ärztekammer Wien fordert, die Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes/der Familienbeihilfe an die Impfpflicht für Minderjährige bis zum 14. Lebensjahr zu koppeln. Bei der Implementierung spricht sich Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferates in der ÖÄK, für eine stufenweise Vorgangsweise aus.
Laura Scherber

In dem Ende Feber vom Vorstand der Ärztekammer Wien mehrheitlich beschlossenen Antrag heißt es konkret: „Bei nicht erfolgten Impfungen inklusive Auffrischungen soll der Zugang zu den öffentlichen Kindergärten verwehrt werden.“ Demnach soll die Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes beziehungsweise der Familienhilfe für Minderjährige bis zum 14. Lebensjahr daran geknüpft sein, ob alle laut Gratis-Kinderimpfprogramm vorgesehenen Impf-ungen auch tatsächlich durchgeführt wurden. „Glaubt man den Umfragen, die im Zuge des jüngsten Masernausbruchs in der Steiermark ja durchgeführt wurden, sprechen sich 80 Prozent der Bevölkerung für eine Impfpflicht aus“, betont Rudolf Schmitzberger, Leiter des Impfreferates der Österreichischen Ärztekammer. „Man muss aber aufpassen, dass da nicht zwei Pflichten miteinander kollidieren: das eine ist die Impfpflicht, das andere die Schulpflicht“.

Stufenweise Vorgangsweise

Da vor der Schulpflicht nur das letzte Kindergartenjahr verpflichtend ist, erscheint es sinnvoll, bei den ersten, nicht verpflichtenden Kindergartenjahren anzusetzen. Schmitzberger schlägt dazu eine stufenweise Vorgangsweise vor. „Im ersten Schritt geht es um Aufklärung und Motivation, was ja schon jetzt einen Großteil der Arztgespräche in der Ordination ausmacht“, erklärt Schmitzberger. Wird die notwendige Durchimpfungsrate durch Aufklärung nicht erreicht, sollte der Zugang zu öffentlichen Kindergärten und auch in Schulen an finanzielle Anreize geknüpft werden, wie dies beispielsweise in den USA und in Italien der Fall ist. „Diese Form von ‚negativen Incentives‘ hat sich beim Mutter-Kind-Pass bereits sehr gut bewährt“, so Schmitzberger. Können die ersten zehn Untersuchungen während der Schwangerschaft und in den ersten Lebensjahren nicht nachgewiesen werden, wird nur die Hälfte des Kinderbetreuungsgeldes ausbezahlt.

Auch Volksanwalt Günther Kräuter forderte im Zuge der Diskussion über die Einführung einer Impfpflicht rund um den Masern-Ausbruch in einer Grazer Schule im Jänner dieses Jahres die Einführung einer Impfpflicht. Im Gegensatz dazu hat sich die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz kritisch geäußert: Sie sieht darin einen Eingriff in Persönlichkeitsrechte. Dem widerspricht Schmitzberger: „Die ethische Pflicht, niemandem zu schaden, overruled das Grundrecht auf körperliche Integrität, was unbestritten in einem noch höheren Ausmaß für medizinisches aber auch für pädagogisches Personal gilt“. Reicht die moralische Verantwortung nicht aus, muss zu anderen Maßnahmen – etwa zu einer geeigneten Form der Impfpflicht – gegriffen werden. „In Wien und in den meisten anderen Bundesländern wird das eigentlich schon so gehandhabt, dass bei Neueinstellungen ein entsprechender Impfstatus nachgewiesen werden muss“, so Schmitzberger. Dennoch ortet er hier auch Nachholbedarf.

Ein weiterer wichtiger Handlungsansatz in Zusammenhang mit der Erzielung von besseren Durchimpfungsraten stellt laut Schmitzberger die Erweiterung der Impfbefugnis dar. Bisher dürfen Kinderärzte mit den begleitenden Erwachsenen zwar ein Aufklärungsgespräch zu ihrem Impfstatus führen, die notwendigen Impfungen aber nicht unmittelbar durchführen. „Dazu haben wir einen Antrag auf Änderung des Ärzte-Gesetzes gestellt, dass die Impfbefugnis für alle Ärzte gilt, die zur freien Berufsausübung befähigt sind, insbesondere dass Kinderärzte die begleitenden Erwachsenen impfen dürfen“, so Schmitzberger.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2019