Restless-Legs-Syndrom: Kernkriterien erheben

15.12.2019 | Medizin


Die Erhebung der Kernkriterien des Restless-Legs-Syndroms im klinischen Interview ist mit einer hohen Treffsicherheit verbunden. Mit einer Prävalenz von etwa zehn Prozent handelt es sich um eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Dopaminagonisten bessern zunächst die Beschwerden, führen jedoch über kurz oder lang zur massiven Verschlechterung der Symptomatik.
Laura Scherber

Ein unangenehmer, schwer zu unterdrückender Bewegungsdrang der Beine, seltener auch der Arme, steht im Vordergrund beim Restless-Legs-Syndrom. Der Bewegungsdrang wird häufig durch Missempfindungen wie ein tiefes Ziehen oder Reißen subjektiv verursacht und ist zumindest bei Personen, die keine Behandlung erhalten, durch einen zirkadianen Verlauf mit einer Verschlechterung während der Nacht charakterisiert. Die Missempfindungen treten bei körperlicher Inaktivität auf und bessern sich kurzzeitig durch Bewegung, bis sie erneut einsetzen. Mit einer Prävalenz von etwa zehn Prozent handelt es sich bei dem Restless-Legs-Syndrom um eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen, wobei Frauen doppelt so häufig wie Männer betroffen sind. „Nicht jeder, der gelegentlich Restless-Legs-Symptome oder ein sporadisches Restless-Legs-Syndrom hat, benötigt auch eine Behandlung“, erklärt Univ. Prof. Birgit Högl von der Universitätsklinik für Neurologie in Innsbruck. Während manche Betroffenen lebenslang keine Behandlung benötigen, sind die Symptome bei anderen so häufig und beeinträchtigend, dass eine Behandlung notwendig ist, um Linderung zu verschaffen.

Für die Diagnose des Restless-Legs-Syndroms ist das persönliche Gespräch mit dem Patienten essentiell, um das Vorhandensein aller Kriterien zu prüfen. Aus der Praxis weiß Högl, dass es viele falsch-positive Antworten von Personen mit Beinbeschwerden anderer Art gibt, wenn lediglich ein Fragebogen im Wartezimmer ausgeteilt wird. Wichtige auszuschließende Differentialdiagnosen sind arterielle und venöse Durchblutungsstörungen sowie Polyneuropathien, die aber auch als Komorbiditäten vorhanden sein können. „Die Erhebung der Kernkriterien im klinischen Interview ist mit einer hohen Treffsicherheit verbunden“, betont Priv. Doz. Stefan Seidel von der Universitätsklinik für Neurologie in Wien. Neben den schwer einzuordnenden Missempfindungen, dem starken Bewegungsdrang und der klaren zeitlichen Verteilung gibt es noch unterstützende Kriterien wie die in der Polysomnographie erkennbaren unwillkürlichen, periodischen Beinbewegungen, eine Familienanamnese oder das Ansprechen auf Levodopa als Einmalgabe. Weitere Schritte sind die Messung der Nervenleit-
geschwindigkeit und das Blutbild mit der Bestimmung des Eisenstatus. Das Serumferritin sollte dabei nicht unter 75 Mikrogramm pro Liter, die Transferrinsättigung nicht unter 25 Prozent liegen.

Die meisten Patienten, bei denen sich die Symptomatik häufig zeigt, leiden unter Konzentrations-
schwierigkeiten, einer verschlechterten Stimmungslage, Unruhe, Gereiztheit sowie einem grundsätzlichen Hyperarousal. „Während man früher geglaubt hat, die Steigerung des Arousals wäre auf eine rein dopaminerge Fehlsteuerung zurückzuführen, weiß man seit einigen Jahren, dass auch das glutaminerge und adenosinerge Neurotransmittersystem beteiligt sind“, berichtet Seidel. Über Zwischenschritte bedingt ein genetisch determinierter Eisenmangel dabei vermutlich eine Störung in diesen drei Neurotransmittersystemen, die dann wiederum über afferente und efferente Bahnen im Gehirn und Rückenmark eine Hyperexzitabilität bewirken und diese Missempfindungen und unwillkürlichen Beinbewegungen hervorrufen. Während die These der Eisenverteilungsstörung im Gehirn nicht neu ist, kommt man der genauen Pathophysiologie laut Högl immer näher auf die Spur: So konnte die Forschungsgruppe um Univ. Prof. Günter Weiss von der MedUni Innsbruck nachweisen, dass bei Patienten mit einem Restless-Legs-Syndrom ein mitochondrialer Eisenmangel vorliegt. „Grundsätzlich sind insgesamt 19 häufige genetische Varianten identifiziert, die zum Risiko, ein Restless-Legs-Syndrom zu entwickeln, beitragen. Interessanterweise haben die meisten eine Rolle in der
Embryonalentwicklung gemeinsam“, führt Högl weiter aus. Gleichzeitig ist bekannt, dass das Risiko auch bei Multimorbidität erhöht ist. Ein weiterer Risikofaktor für die Entwicklung eines Restless-Legs-Syndroms stellt eine Schwangerschaft dar – besonders das dritte Trimenon -, was vermutlich ebenfalls durch den Eisenmangel ausgelöst wird, allerdings nur bei genetisch determinierten.

Niedrige Initialdosis

„Eine Therapie sollte die Symptome so gut wie möglich beherrschen, aber nicht unbedingt von Anfang an hoch dosiert sein“, betont Seidel. Deswegen beginnt man unabhängig von der Wirkstoffklasse mit einer möglichst niedrigen Dosis. Zuvor sollte jedoch – im Fall eines Eisenmangels – eine entsprechende Substitution erfolgen. „Eine neue Entwicklung stellen die Empfehlungen zur oralen und intravenösen Eisensubstitution der International Restless Legs Syndrome Study Group als First-Line-Therapie dar“, so Högl. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder respondiert und dass die Response oft erst nach einigen Wochen eintritt. In den vergangenen 20 Jahren ist man davon ausgegangen, dass die dopaminerge Therapie die Therapie der Wahl für das Restless-Legs-Syndrom darstellt. Etwas später galten Dopaminagonisten über lange Zeit als einzige Therapie der ersten Wahl, jedoch können sie mit nicht unerheblichen Nebenwirkungen wie Impulskontrollstörungen einhergehen. „Das beinahe noch größere Problem ist aber die Augmentation, bei der es praktisch zu einer unerträglichen Verstärkung der Beschwerden kommt“, erklärt Högl. Während die Patienten zu Beginn der dopaminergen Therapie gut ansprechen, kommt es im Lauf der Behandlung häufig zu einer leichten, manchmal aber auch massiven Verschlechterung der Symptomatik. Eine Steigerung der dopaminergen Dosis mildert die Symptome zwar vorübergehend, jedoch wird es nach einer Zeit erneut schlechter und verlangt nach einer weiteren Dosissteigerung. Patienten, die sich durch mehrfache Dosissteigerung bereits oberhalb der Grenzwerte befinden, haben meist permanente Beschwerden und müssen die dopaminerge Medikation reduzieren, um wieder normale Werte zu erreichen. In schweren Fällen kann eine stationäre Aufnahme notwendig sein. Seidel ergänzt: „Bei der dopaminergen Therapie sollte ein möglichst lang wirksamer Dopaminagonist niedrig dosiert werden, wobei heute ein Rotigotin-Pflaster die erste Wahl darstellt.“

Eine Alternative zu der dopaminergen Therapie stellen die Alpha-2-delta-Liganden (Gabapentin, Pregabalin) dar. „Hier ist das Risiko für eine Augmentation äußerst gering“, stellt Seidel klar. In neueren Studien konnte gezeigt werden, dass in schweren Fällen mit Opiaten wie Oxycodon oder Oxycodon/Naloxon eine gute Wirkung erzielt werden kann. Obwohl die Studienergebnisse die Wirksamkeit der eingesetzten Medikamente belegen, müssten die meisten Patienten im Krankheitsverlauf zwischen den Wirkstoffklassen wechseln, „da es sich doch um eine leicht progrediente Störung handelt“, wie Seidel betont. Auch nicht-medikamentöse Therapieoptionen sind für Patienten häufig auch ein Thema. Die Kältetherapie im Rahmen einer Kältekammer oder lokalen Applikation wie zum Beispiel ein kaltes Fußbad vor dem Schlafengehen empfinden die Betroffenen als wirksam. Darüber hinaus ist es auch empfehlenswert, einzelne Nahrungsmittel, die die Beschwerden auslösen oder verstärken, vorübergehend wegzulassen – „wobei das allerdings individuell sehr verschieden ist“, unterstreicht Seidel.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2019