Ori­gi­nal­ar­beit: Rauch­ver­zicht ver­bes­sert Operationsergebnisse

25.11.2019 | Medizin


Durch peri­ope­ra­tive Rauch­ver­zicht-Pro­gramme kann das Out­come von ortho­pä­di­schen und unfall­chir­ur­gi­schen Ope­ra­tio­nen ganz wesent­lich ver­bes­sert wer­den. Diese in Skan­di­na­vien mit Erfolg ein­ge­führ­ten Pro­gramme zeig­ten, dass durch sol­che Rauch­pau­sen die CO-beding­ten Kom­pli­ka­tio­nen und spe­zi­ell Infek­tio­nen um rund 50 Pro­zent ver­rin­gert wer­den. So könn­ten etwa bei der Hüft- und Knie-Endo­pro­the­tik in Öster­reich bis zu 13,5 Mil­lio­nen Euro ein­ge­spart wer­den.
Niko­laus Böh­ler und Li Felländer-Tsai*

In den letz­ten Jahr­zehn­ten hat sich die ortho­pä­di­sche und unfall­chir­ur­gi­sche The­ra­pie durch Design- und tech­ni­sche Ent­wick­lun­gen wesent­lich ver­bes­sert. Die Implan­ta­tion einer Hüf­ten­do­pro­these wurde zur erfolg­reichs­ten Ope­ra­tion des Jahr­hun­derts über­haupt erklärt. Regel­mä­ßige Qua­li­täts­kon­trol­len wie zum Bei­spiel durch Endo­pro­the­sen­re­gis­ter, Trau­ma­re­gis­ter sowie durch Abtei­lungs­zer­ti­fi­zie­run­gen wie Endo­cert haben die Ergeb­nisse wei­ter opti­miert und die Sicher­heit bei die­sen Ope­ra­tio­nen noch­mals wesent­lich erhöht. Es zeigt sich dabei aller­dings auch, dass eine ent­schei­dende wei­tere Ver­bes­se­rung ganz wesent­lich im Bereich der Prä­ven­tion und des Pati­en­ten­ma­nage­ments statt­fin­den wird. Unbe­strit­ten ist, dass Tabak­kon­sum ein Haupt­grund für Erkran­kun­gen und Todes­fälle im Bereich der Lunge ist, aber auch zu schwe­ren Ver­än­de­run­gen der Herz­kranz­ge­fäße und Arte­rien führt. Viel weni­ger ist bekannt, dass Rau­chen auch bei Erkran­kun­gen des Bewe­gungs­ap­pa­ra­tes eine wesent­li­che Rolle spielt. Gehäuft sieht man dies immer dann, wenn es zu Ver­let­zun­gen kommt oder eine Ope­ra­tion not­wen­dig ist. Hier zei­gen sich gra­vie­rende Unter­schiede bei Rau­chern und Nicht­rau­chern. Grund dafür ist die Tat­sa­che, dass Rau­chen neben den Niko­tin­schä­den den Gehalt an Koh­len­mon­oxy­den (CO) und Cyan­was­ser­stof­fen im Blut erhöht und damit zur redu­zier­ten Sau­er­stoff­ver­sor­gung des Gewe­bes führt. Da aber die Oxy­ge­nie­rung bei der Wund- und Kno­chen­hei­lung eine wesent­li­che Rolle spielt, kommt es zu die­sen nega­ti­ven Ein­flüs­sen des Rau­chens. Wäh­rend aller­dings die Niko­tin­schä­den nur sehr lang­sam rück­gän­gig gemacht wer­den kön­nen, sind die durch Rau­chen beding­ten CO-Schä­den sehr rasch rever­si­bel. Hier set­zen auch die gän­gi­gen Pro­jekte zum tem­po­rä­ren Rauch­ver­zicht an. Öster­reich liegt beim Niko­tin­kon­sum mit circa 25 Pro­zent knapp ober­halb des EU-Durch­schnitts; bei den Rau­che­rin­nen aller­dings im euro­päi­schen Spit­zen­feld. Die Ein­füh­rung von peri­ope­ra­ti­ven Rauch­ver­zicht-Pro­gram­men würde des­halb gerade in Öster­reich wesent­li­che Vor­teile bringen. 

Post­ope­ra­tive Kom­pli­ka­tio­nen

Wel­che post­ope­ra­ti­ven Kom­pli­ka­tio­nen durch Rau­chen her­vor­ge­ru­fen wer­den, soll an eini­gen Bei­spie­len dar­ge­stellt wer­den. Die Ergeb­nisse dazu sind in gro­ßen Sam­mel­stu­dien, Coch­rane Reports und Meta-Ana­ly­sen belegt.
• Für Knie‑, Hüft­ge­lenks- und Schul­ter-Endo­pro­the­tik zeigt sich in der Lite­ra­tur ein 2,2‑fach erhöh­tes Risiko bezüg­lich tie­fer Infek­tio­nen und ein 1,7‑fach erhöh­tes Risiko für einen Pro­the­sen­wech­sel bei Rau­chern gegen­über Nicht­rau­chern. 
• Vor­fuß-Ope­ra­tio­nen wie die belieb­ten Hal­lu­x­ope­ra­tio­nen zei­gen sogar eine 4,3‑fach höhere Infek­ti­ons­rate. Dar­über hin­aus wei­sen Rau­cher eine ver­län­gerte Kno­chen­hei­lung von bis zu sie­ben Wochen auf.
• Bei Seh­nen­ope­ra­tio­nen im Schul­ter­be­reich ist bei Rau­chern eine bis zu fünf­fach erhöhte Re-Rup­tur­rate nach­ge­wie­sen.
• Nach Kno­chen­brü­chen und Osteo­to­mien ist eine ver­zö­gerte Hei­lungs­zeit von vier bis acht Wochen beschrie­ben. Das Risiko für eine Pseud­arthrose ist um mehr als das Zwei­fa­che erhöht. Die Infek­ti­ons­rate steigt um das Zwei­fa­che und das Risiko für eine Osteo­mye­li­tis um das 3,7‑Fache. Dies zei­gen u.a. Daten des Lower Extre­mity Assess­ment Pro­ject (LEAP).
• Ähn­li­che Ergeb­nisse zei­gen sich auch nach Ver­stei­fungs­ope­ra­tio­nen. Bei Wir­bel­säu­len­ver­stei­fun­gen und spe­zi­ell auch nach Ver­stei­fun­gen im Fuß­be­reich ist die Kno­chen­hei­lungs­zeit um circa vier Wochen ver­zö­gert und die Pseudo-Arthro­se­rate dop­pelt so hoch.
• Lum­bago und dege­ne­ra­tive Band­schei­ben-Ver­än­de­run­gen fan­den sich in einem sys­te­ma­ti­schen Review bei Rau­chern gehäuft in 1,7- bis 2,4‑facher Höhe im Ver­gleich zu Nicht­rau­chern. All diese Ergeb­nisse zei­gen, dass Rau­chen die Wund- und Kno­chen­hei­lung nach Ope­ra­tio­nen aber auch nach Unfäl­len ganz
wesent­lich beeinflusst!

Ein­fluss von zeit­wei­li­gem Rauchstopp

Vor allem in skan­di­na­vi­schen Län­dern wur­den Rauch­ver­zicht-Pro­gramme rund um ortho­pä­di­sche Ope­ra­tio­nen mit Erfolg ein­ge­führt. Sie sind erwie­se­ner­ma­ßen hoch effek­tiv. Dabei zeigte sich, dass schon durch einen Rauch­stop von vier – bes­ser sechs – Wochen vor einer geplan­ten Ope­ra­tion und sechs Wochen nach der Ope­ra­tion all die CO-beding­ten Kom­pli­ka­tio­nen um circa 50 Pro­zent redu­ziert wer­den. Selbst nach Unfäl­len, wenn ein prä­ope­ra­ti­ver Rauch­stopp nicht mög­lich ist, ermög­licht der sofor­tige Rauch­ver­zicht zum Unfall­zeit­punkt und für wei­tere sechs Wochen einen Rück­gang der Kom­pli­ka­tio­nen um 40 Pro­zent. Ein schö­ner Neben­ef­fekt: Erfah­run­gen aus die­sen Rauch­ver­zicht-Pro­gram­men zei­gen bei 20 bis 30 Pro­zent eine sanfte Mög­lich­keit eines dau­er­haf­ten Rauchstopps.

Beglei­ten­der Ein­satz von Nikotinersatzprodukten

Erleich­tert wird die­ser Rauch­ver­zicht auch dadurch, dass Rau­cher mit einer star­ken Sucht­kom­po­nente, die sich mit einem Rauch­stopp beson­ders schwer tun, auch Niko­tin­er­satz­pro­dukte wie Niko­tin­pflas­ter, Niko­tin­kau­gummi oder Niko­tin­sprays aber auch E‑Zigaretten ver­wen­den kön­nen. Dies hängt damit zusam­men, dass die schä­di­gende Wir­kung des Ziga­ret­ten­kon­sums rund um Ope­ra­tio­nen ja nicht durch Niko­tin bewirkt wird. Viel­mehr sind die im Tabak ent­hal­te­nen Koh­len­mon­oxide und Cyan­was­ser­stoffe für die erhöh­ten Kom­pli­ka­ti­ons­ra­ten ver­ant­wort­lich.

Kos­ten­er­spar­nis

Bei rund 36.000 Implan­ta­ten in der Hüft- und Knie-Endo­pro­the­tik und einem Anteil von rund 25 Pro­zent Rau­chern wären dies 9.000 Implan­ta­tio­nen, bei denen diese Über­le­gun­gen zum Tra­gen kämen. Bei einer rund ein­pro­zen­ti­gen tie­fen Infek­ti­ons­rate bezie-hungs­weise dop­pelt so hohen Raten bei Rau­chern wären dies 180 infi­zierte Endo­pro­the­sen, deren Sanie­rung pro Fall Kos­ten in der Höhe von 150.000 Euro ver­ur­sacht. Bei einer 50-pro­zen­ti­gen Reduk­tion der Infekte durch einen tem­po­rä­ren Rauch­ver­zicht könn­ten dem­nach rund 13,5 Mil­lio­nen Euro ein­ge­spart werden.

Zusam­men­fas­sung

Rau­chen und Tabak­kon­sum wei­sen neben den bekann­ten Lungen‑, Herz- und Gefäß­schä­den auch einen stark nega­ti­ven Effekt bei Ope­ra­tio­nen im Gelenks‑, Kno­chen- und Seh­nen­be­reich auf. Dies trifft sowohl für elek­tive ortho­pä­di­sche Ope­ra­tio­nen aber auch für die Unfall­ver­sor­gung zu, wobei die Kom­pli­ka­ti­ons­rate von Rau­chern je nach Art der Ope­ra­tion um das 1,5‑Fache bis Fünf­fa­che erhöht wird. Ein sechs­wö­chi­ger Rauch­stopp vor einem geplan­ten Ein­griff und sechs Wochen danach bewir­ken eine Redu­zie­rung der Kom­pli­ka­tio­nen um 50 Pro­zent bei Plan­ein­grif­fen; ein Rauch­stopp für sechs Wochen unmit­tel­bar nach dem Unfall ver­rin­gert die Kom­pli­ka­ti­ons­rate um 40 Prozent. 

Lite­ra­tur bei den Verfassern

*) Univ. Prof. Dr. Niko­laus Böh­ler,
em. Pri­ma­rius der Ortho­pä­di­schen Kli­nik am Kep­ler Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Linz und Vor­stand der Efort-Foun­da­tion; E‑Mail: n.boehler@aon.at; Univ. Prof. Dr. Li Fel­län­der-Tsai, Pro­fes­sor für Otho­pe­dics an der Karo­linska Uni­ver­sity Stock­holm und Vor­stand der Efort-Foun­da­tion; E‑Mail: li.tsai@ki-se

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 22 /​25.11.2019