Onkologie: Sport gegen Kognitionsdefizite?

10.02.2019 | Medizin


Bei Frauen, die an einem Mammakarzinom leiden, werden während der Chemotherapie immer wieder neurokognitive Einschränkungen beobachtet. Am Kepler Universitätsklinikum in Linz sollen im Zuge einer Studie die Auswirkungen von sportlicher Betätigung auf neurokognitive Effekte während der Therapie untersucht werden.

Sport hat beim Mamma-, Colon- und Prostatakarzinom einen Anti-Tumor-Effekt – und zwar nicht nur präventiv sondern auch unter bereits laufender Behandlung. „Regelmäßige körperliche Aktivität während der Therapie reduziert nicht nur Nebenwirkungen, sondern verbessert auch Krankheitsdauer, Rekonvaleszenz und letztlich das Überleben der Patienten“, erklärt Univ. Prof. Alexander Gaiger von der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie der Universitätsklinik für Innere Medizin I am AKH Wien. Gaiger weiter: „Patienten, die Sport machen, sind trotz Chemotherapie allgemein fitter, haben weniger mit kardiovaskulären Problemen, Erschöpfungszuständen oder Depressionen zu kämpfen.“ Außerdem würden die körperlich aktiven Krebspatienten seltener unter Infektionen oder Übelkeit leiden und benötigten weniger Antibiotika. Der Verlust von Muskelmasse und die damit einhergehende Sturzneigung und Frakturneigung könnten ebenso durch regelmäßiges Training verhindert werden. „Durch die Veränderungen in Bezug auf Fettgewebe und Muskelmasse werden zusätzlich Stoffwechselveränderungen hervorgerufen. Im Optimalfall verbessert sich die Stoffwechsellage von katabol zu anabol“, fügt Gaiger hinzu.

Ausgehend von den positiven Effekten körperlicher Aktivität unter laufender Chemotherapie plant das Team um David Kiesl von der Abteilung Interne III/Hämatologie und Onkologie am Kepler Universitätsklinikum in Linz in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln nun eine groß angelegte kontrollierte randomisierte Studie zur gezielten Sportintervention bei Frauen mit einem Mammakarzinom. Der Fokus wird dabei speziell auf den Auswirkungen sportlicher Betätigung auf neurokognitive Nebenwirkungen während der Therapie, dem sogenannten „Chemo-brain“ liegen. „Wir beobachten immer wieder, dass die betroffenen Frauen während der Chemotherapie an neurokognitiven Einschränkungen leiden“, betont Kiesl.

Wie sehen nun die konkreten Rahmenbedingungen der für drei Jahre angelegten Studie aus? Alle Brustkrebs-Patientinnen der onkologischen Abteilung am Kepler Universitätsklinikum, die an der Studie teilnehmen, werden im Rahmen des therapeutischen Trainings-Interventionsprogramms ein Jahr lang während der Chemotherapie begleitet. „Wir beziehen ausschließlich lokalisierte, jedoch keine metastasierten Erkrankungen mit in die Studie ein und konzentrieren uns somit rein auf neoadjuvante oder adjuvante Chemotherapien“, so Kiesl. Man rechnet mit rund 40 Teilnehmerinnen pro Jahr; innerhalb von drei Jahren könnten somit rund 120 Patientinnen in die Studie integriert werden. „Eine Gruppe von ihnen werden wir gezielt trainieren, die andere Gruppe im Rahmen der klinischen Routine kontrollieren.“ In Kooperation mit der Abteilung für Klinische und Gesundheits- psychologie des Kepler Universitätsklinikums wurde dafür ein spezielles Testprogramm entwickelt. Damit können speziell die Funktionen des Hippocampus überprüft und somit jegliche kognitive Einschränkung, die erwartet wird, leicht detektiert werden. Ebenso werden auch alle anderen neurobiologischen Marker kontinuierlich analysiert und überprüft. Sowohl zu Beginn als auch nach abgeschlossener Therapie wird eine Leistungsdiagnostik vorgenommen, die Aufschluss über Trainingsfortschritte geben soll. Während der laufenden Therapie wiederum wird eine Leistungsanpassung vorgenommen – stets in Hinblick auf die Neurokognition als Hauptzielparameter.

Trainingsvariabilität und Flexibilität

Ob es eine Sportart gibt, die sich speziell für Patienten eignet, die an einer onkologischen Erkrankung leiden, ist bis dato nicht bekannt: In einigen Untersuchungen wird Ausdauersport als sinnvoll erachtet, in anderen wiederum Kraftsport- oder Intervalltraining. Die allgemeinen Empfehlungen heutzutage gehen jedoch in Richtung intensive Belastung. Kiesl dazu: „Aus sportmedizinischer Sicht befürworten wir ein vielseitiges Trainingsprogramm. Davon erhoffen wir uns die besten Ergebnisse“. Konkret geht es dabei um positive Auswirkungen auf die Neurokognition – speziell auf das Kurz- und Langzeitgedächtnis und auf Hippocampus-spezifische Funktionen – sowie auf Fatigue und die Lebensqualität ganz generell. Was das Trainingsprogramm selbst anlangt, soll es flexibel und weitgehend ortsunabhängig durchgeführt werden können. Einmal pro Woche sollen die betroffenen Frauen schließlich unter Anleitung vor Ort trainieren. „Es ist essentiell, die Therapie zu den Patientinnen zu bringen und nicht die Patientinnen zur Therapie“, unterstreicht auch Gaiger. Denn vor allem lange Anfahrtswege würden das Training erfahrungsgemäß weniger attraktiv erscheinen lassen.

Aktive Mitarbeit

Frauen, die an einem Mammakarzinom leiden, sind zu einem großen Teil auf ärztliche Anweisungen angewiesen; die Option, selbst etwas Handfestes zur Genesung beizutragen, sei oftmals in nur sehr geringem Ausmaß gegeben. „Man muss aber immer bedenken, dass es für die Betroffenen sehr viel bedeutet, selbst Einfluss auf die Gesundheit beziehungsweise auf den Krankheitsverlauf nehmen zu können“, sagt Kiesl. Dieser – buchstäblich – aktive Beitrag, speziell kognitive Nebenwirkungen der Chemotherapie in Schach zu halten, finde letztlich in einer gesteigerten Lebensqualität und verbesserten psychischen Grundstimmung seinen Niederschlag. (lt)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 3 / 10.02.2019