Krebsbedingte Fatigue: Leitsymptom Erschöpfung

10.03.2019 | Medizin


Schätzungsweise 80 Prozent aller Patienten unter einer Chemotherapie oder Strahlentherapie erleiden eine Fatigue. Die Pathophysiologie dahinter ist noch nicht geklärt. Deswegen kann die Fatigue bislang nur über die subjektive Wahrnehmung der Patienten mithilfe von standardisierten Fragebögen erfasst werden.

Sophie Fessl

Für Patienten, die von Fatigue betroffen sind, ist es die am meisten belastende Nebenwirkung ihrer Krebserkrankung“, erklärt Priv. Doz. Jens Ulrich Rüffer von der Deutschen Fatigue Gesellschaft. „Mittlerweile kann man viele Nebenwirkungen wie etwa Übelkeit gut behandeln, die Fatigue aber nur schlecht. Das ist natürlich schon während der Behandlung belastend, aber ein noch viel größeres Problem, wenn Patienten lange Zeit nach der Behandlung noch daran leiden oder wieder daran erkranken.“

In den aktuelle Empfehlungen des US-amerikanischen National Comprehensive Cancer Network (NCCN) wird Krebs-bedingte Fatigue als ein belastendes, anhaltendes, subjektives Gefühl von körperlicher, emotionaler und/oder kognitiver Müdigkeit oder Erschöpfung, das im Zusammenhang mit Krebs oder Krebsbehandlung steht, beschrieben. Dabei ist das Gefühl der Erschöpfung nicht proportional zur vorausgegangenen Aktivität und beeinträchtigt den Alltag. Im Unterschied zur Erschöpfung bei gesunden Menschen bessern selbst Ruhe und ausreichender Schlaf die Symptome nicht oder nur teilweise.

Symptome der Fatigue können in allen Stadien einer Krebserkrankung auftreten – vor der Diagnose, während der Behandlung und nach Abschluss der Therapie. Schätzungsweise erleben etwa 80 Prozent der Patienten, die eine Chemotherapie und/oder eine Strahlentherapie erhalten, während der Therapie eine Fatigue. Bei rund einem Drittel der Patienten persistiert die Fatigue für Monate bis Jahre. Auch Kinder und Jugendliche mit Krebs können als Nebenwirkung oder Spätfolge der Erkrankung und Therapie eine Fatigue entwickeln. Studien an Personen mit M. Hodgkin, die geheilt werden konnten, haben gezeigt, dass es noch längere Zeit nach Therapieende zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität bis hin zur Frühinvalidität kommt.

Leitsymptom der Krebs-bedingten Fatigue ist die Erschöpfung, wie Priv. Doz. Marlene Troch von der Abteilung Onkologische Rehabilitation im Lebens.Med Zentrum Bad Erlach erklärt. Dabei unterscheidet man zwischen physischer, psychischer und kognitiver Ausprägung der Fatigue. Als physische Ausprägung zeigen sich Müdigkeit, Kraftlosigkeit und reduzierte Leistungsfähigkeit. Zur psychischen Ausprägung gehören etwa reduzierter Antrieb, Interessensverlust, Ängste, zur kognitiven Ausprägung verminderte Konzentrations- und Merkfähigkeit.

Die zugrundeliegenden pathophysiologischen Faktoren sind noch nicht geklärt. Diskutiert werden etwa Zytokin-Dysregulation, Störungen der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinde-Achse, Dysregulation des Serotonin-Stoffwechsels sowie Störungen der Melatoninsekretion und des Schlaf-Wach-Rhythmus.

Bisher kann Fatigue daher nur über die subjektive Wahrnehmung der Patienten mithilfe von standardisierten Fragebögen erfasst werden. Das National Comprehensive Cancer Network empfiehlt eine weitere Abklärung – vor allem von behandelbaren Einflussfaktoren wie Schmerz oder Anämie – ab einer mittelstarken Müdigkeit. Troch rät zur weiteren differentialdiagnostischen Abklärung: „Krebs-bedingte Fatigue muss abgegrenzt werden. Erschöpfung ist auch ein Symptom von Depression, aber auch von Anämie, Mangelernährung und hormonellen Diagnosen. Speziell Mangelernährung ist ein Thema, das bei Krebspatienten wichtig und behandelbar ist.“

Oft haben Patienten das Gefühl, dass ihre Fatigue nicht ernst genommen wird. Nach Ansicht von Rüffer ist es daher das Wichtigste, der Selbsteinschätzung der Patienten zu vertrauen: „Es handelt sich fast nie um eine reine Depression. Die Verwechslung zwischen Fatigue und Depression kommt oft deswegen zustande, weil Erschöpfung ein wesentliches diagnostisches Merkmal der Depression ist. Deswegen liegt Depression zwar nahe, ist aber selten der Grund.“ So hätten Studien gezeigt, dass Antidepressiva bei Krebs-bedingter Fatigue nicht wirken. Für die Behandlung von Fatigue gibt es keine zugelassenen Medikamente; trotz fehlender Zulassung für Methylphenidat ist dies jedoch eine „Option“, wie Rüffer betont. Auch gebe es Hinweise, dass manche nicht verschreibungspflichtige Präparate hilfreich sein können.

Rehabilitation und Bewegung

Grundsätzlich rät Troch Patienten nach einer Krebsbehandlung zu einer onkologischen Rehabilitation. „Wir können aufklären, dass es dieses Symptom der Fatigue gibt, zu therapeutischen Maßnahmen wie Bewegung an der frischen Luft und zu Unterstützung in Familie und Partnerschaft raten.“ Für die Experten bildet Bewegung einen zentralen Aspekt der Behandlung von Krebs-bedingter Fatigue mit einer großen Effektstärke. „Wir reden von Bewegung trotz Fatigue, nicht von Sport“, präzisiert Rüffer. Und weiter: „Regelmäßige Bewegung jeweils morgens und abends von einer halben Stunde mit einer Tätigkeit, die Spaß macht.“ Aufgrund der langsamen Erholungsprozesse bei Fatigue sollte die Belastung stets submaximal sein. Neben psychoonkologischer Betreuung rät Troch auch zu Ergotherapie und Selbstmanagement: „Von Psychoedukation bis zu autogenem Training kann man viel tun, um die Fatigue zu verstehen und mit ihr leben zu lernen.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 5 / 10.03.2019