Haut & Psy­che: Depres­sion auf der Haut

25.03.2019 | Medizin


Aktu­elle Stu­dien deu­ten dar­auf hin, dass auch Depres­sio­nen mit der Erhö­hung von bestimm­ten Ent­zün­dungs­fak­to­ren ein­her­ge­hen kön­nen. Umge­kehrt haben auch ent­zünd­li­che Haut­er­kran­kun­gen einen gro­ßen Ein­fluss auf die soziale Funk­ti­ons­fä­hig­keit und die Lebens­qua­li­tät der Betrof­fe­nen.

Laura Scher­ber

Zwi­schen Haut und Psy­che gibt es viel­fäl­tige Ver­bin­dun­gen. „Zunächst ein­mal gibt es die onto­ge­ne­ti­sche Ver­bin­dung, da Haut und Ner­ven­sys­tem aus dem­sel­ben Keim­blatt, dem Ekto­derm, stam­men“, erklärt Priv. Doz. Michael Lin­der von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Medi­zi­ni­sche Psy­cho­lo­gie und Psy­cho­the­ra­pie Graz. Durch den Umstand, dass die Haut im Gegen­satz zu ande­ren Orga­nen für das Umfeld direkt sicht­bar ist, kön­nen Haut­ver­än­de­run­gen Emo­tio­nen mit­tei­len und her­vor­ru­fen, zum Bei­spiel kann das Errö­ten der Haut Scham­ge­fühle signa­li­sie­ren. Äußer­lich sicht­bare Sym­ptome von Pso­ria­sis kön­nen bei ande­ren Men­schen nega­tive Emo­tio­nen wie Ekel her­vor­ru­fen und zu Stig­ma­ti­sie­rung füh­ren. Eine wei­tere Ver­bin­dung ent­steht laut Lin­der dadurch, dass sich ent­zünd­li­che Zustände des Orga­nis­mus gele­gent­lich gleich­zei­tig an der Haut (zum Bei­spiel durch pso­ria­ti­sche Plaques) und am Gemüts­zu­stand (typi­scher­weise durch Depres­sion) bemerk­bar machen kön­nen. „Auch bei der Neu­ro­der­mi­tis, bei der der Begriff bereits auf die Ver­bin­dung zum Ner­ven­sys­tem hin­weist, berich­ten Pati­en­ten immer wie­der, dass bestimmte Stress­fak­to­ren und psy­chi­sche Belas­tun­gen die Sym­pto­ma­tik ver­schlech­tern“, weiß Priv. Doz. Wolf­ram Höt­zenecker von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Der­ma­to­lo­gie und Vene­ro­lo­gie Linz. Ein wei­te­res Bei­spiel für die Inter­ak­tion zwi­schen Haut und Psy­che ist die durch einen Schock aus­ge­löste, plötz­li­che Depig­men­tie­rung der Haare über Nacht. „Diese spe­zi­elle Form der Alo­pe­cia areata wurde bei Sol­da­ten im Ers­ten und Zwei­ten Welt­krieg beschrie­ben, die eine lebens­be­droh­li­che Situa­tion durch­le­ben muss­ten und am nächs­ten Tag kom­plett weiße Haare hat­ten“, erklärt der Experte.

Teu­fels­kreis entsteht

„Die Psy­che ist nicht die Ursa­che der ent­zünd­li­chen Haut­er­kran­kung“, betont Höt­zenecker. Son­dern „die Psy­che kann die Haut­er­kran­kung beein­flus­sen und die Haut­er­kran­kung beein­flusst umge­kehrt auch wie­der die Psy­che des Pati­en­ten“. Dadurch ent­steht laut dem Exper­ten ein Teu­fels­kreis. Lei­det jemand an Neu­ro­der­mi­tis und hat außer­dem sehr viel Stress, kratzt er – auch unbe­merkt in der Nacht – ein­fach mehr. Diese mecha­ni­sche Irri­ta­tion bedingt eine stär­kere Ent­zün­dung und die stär­kere Ent­zün­dung wie­derum führt zu mehr Juck­reiz. „Der Juck­reiz selbst ist natür­lich ein sehr sub­jek­ti­ves Sym­ptom, obwohl es bestimmte Punk­te­sys­teme zur Klas­si­fi­zie­rung der Sym­ptom­stärke gibt, ist die direkte Mes­sung an der Haut ja nicht mög­lich“, betont Hötzenecker.

Ebenso ist aber auch bekannt, dass der Juck­reiz bei einer Depres­sion stär­ker emp­fun­den wird und dass Anti­de­pres­siva die Emp­fin­dung von Juck­reiz abschwä­chen, weiß Lin­der. In Stu­dien, die in den letz­ten 20 bis 25 Jahre durch­ge­führt wur­den, habe sich gezeigt, dass die Depres­sion einer­seits auf „inne­rem Weg“ mit ent­zünd­li­chen Haut­er­kran­kun­gen ver­bun­den ist, unter ande­rem über inflamm­a­to­ri­sche Zyto­kine wie Tumor­ne­kro­se­fak­tor alpha ver­mit­telt wird, die im Gehirn Depres­sio­nen her­vor­ru­fen kön­nen. Ande­rer­seits beein­flusst die Krank­heit auf­grund ihrer Sicht­bar­keit die Ent­wick­lung von Depres­sio­nen auf „äuße­rem Wege“ selbst.

Den Aus­sa­gen von Lin­der zufolge sind die meis­ten ent­zünd­li­chen Haut­er­kran­kun­gen ver­mut­lich mul­ti­fak­to­ri­ell bedingt, wobei zum Bei­spiel bei der Pso­ria­sis ver­schie­dene Gen-Loci bekannt sind, die mit der Krank­heit asso­zi­iert sind. Dazu kom­men äußere Ein­flüsse wie psy­chi­sche Belas­tun­gen, tro­ckene Luft im Win­ter oder irri­ta­tive Sub­stan­zen, so Höt­zenecker. Wird die durch die Gene fest­ge­legte Emp­find­lich­keits­schwelle der Haut über­schrit­ten, kommt es bei­spiels­weise bei der Neu­ro­der­mi­tis zum ent­zünd­li­chen Schub. „Auch wenn kei­ner­lei Zwei­fel bestehen, dass psy­cho­so­ziale Fak­to­ren eine wich­tige Rolle spie­len, dür­fen die ‚rein orga­ni­schen‘ ätio­lo­gi­schen Fak­to­ren nicht außer Acht gelas­sen wer­den“, betont Lin­der. Manch­mal werde jedoch auch zu viel auf psy­chi­sche Aspekte zurück­ge­führt, weiß Lin­der aus der Praxis.

Pro­blem der Stigmatisierung

Im Gegen­satz zu ande­ren Erkran­kun­gen, bei denen die Sym­ptome nicht so expo­niert sind, sieht jemand, der an einer Erkran­kung der Haut lei­det, das sofort. Außer­dem ist die Erkran­kung meist auch für das Umfeld sicht­bar, wodurch der Pati­ent einer gewis­sen Stig­ma­ti­sie­rung aus­ge­setzt ist. Ent­spricht die Rein­heit der Haut nicht dem gesell­schaft­li­chen Schön­heits­ideal, wird die Psy­che mas­siv beein­flusst. So kann bei­spiels­weise ein mas­si­ver Befall der Nägel durch eine Pso­ria­sis den Berufs­all­tag eines Pati­en­ten in einem Dienst­leis­tungs­be­ruf beson­ders stark belas­ten. Gleich­zei­tig schrän­ken sich die Pati­en­ten meist auch in ihren pri­va­ten Akti­vi­tä­ten ein, indem bei­spiels­weise Schwimm­bad­be­su­che ver­mie­den wer­den, um die Stig­ma­ti­sie­rung durch die ande­ren Bade­gäste zu ver­mei­den. „Schwer­wie­gende Fol­gen sind eine ver­min­derte Lebens­qua­li­tät und der soziale Rück­zug“, so Höt­zenecker. Für die The­ra­pie­ad­hä­renz sei es dem­nach essen­ti­ell, bei der Ana­mnese genug Infor­ma­tio­nen über die Per­sön­lich­keit, den Gemüts­zu­stand und das soziale Umfeld der Pati­en­ten ein­zu­ho­len, führt Lin­der wei­ter aus. Denn „wir behan­deln Men­schen und nicht nur Krank­hei­ten“. Schon allein die Frage nach dem Befin­den des Pati­en­ten könne viel bewirken.

Für die Behand­lung ste­hen „gut wirk­same“ (Höt­zenecker) Anti­kör­per­the­ra­pien zur Ver­fü­gung, mit denen vor allem bei Pso­ria­sis, Neu­ro­der­mi­tis und der chro­ni­schen Urti­ka­ria gute Behand­lungs­er­folge ver­zeich­net wer­den. Durch den Ein­satz der Bio­lo­gika wer­den die Sym­ptome deut­lich gebes­sert, was sich wie­derum auf die Psy­che posi­tiv aus­wirkt. Kann die­ser Teu­fels­kreis durch­bro­chen wer­den, ermög­licht dies den Betrof­fe­nen, Akti­vi­tä­ten, die bei Vor­han­den­sein der Haut­er­schei­nun­gen belas­tend und stig­ma­ti­sie­rend waren, wie­der unbe­schwert aus­zu­üben wie bei­spiels­weise den Besuch eines Schwimm­bads oder auch den eigene Beruf.

Pati­en­ten­schu­lung und Biofeedback

Wäh­rend bei der Neu­ro­der­mi­tis die Pati­en­ten­schu­lung (und Eltern­schu­lung) in vie­len Län­dern Stan­dard bei der The­ra­pie ist, wer­den die psy­chi­schen Aspekte bei der Pso­ria­sis nur gele­gent­lich – meis­tens im Rah­men von Selbst­hil­fe­grup­pen – adres­siert. Lin­der dazu: „So konn­ten wir bei einer Gruppe von Pati­en­ten mit Pso­ria­sis nach­wei­sen, dass Bio­feed­back­übun­gen die Wir­kung der Photo-the­ra­pie ver­bes­sern“. Und wei­ter: „Pati­en­ten, die diese Übun­gen durch­führ­ten, benö­tig­ten weni­ger Pho­to­the­ra­pie-Sit­zun­gen als die Kon­troll­gruppe, um eine ent­spre­chende Bes­se­rung ihres Haut­zu­stan­des zu errei­chen“. Damit ent­spre­chende Emp­feh­lun­gen auch die aktu­el­len Leit­li­nien der Fach­ge­sell­schaf­ten auf­ge­nom­men wer­den, sind jedoch noch wei­tere Evi­denz-basierte Stu­dien erforderlich.

In der Psy­cho­der­ma­to­lo­gie wie in ande­ren medi­zi­ni­schen Fach­be­rei­chen sei das auf­merk­same Beob­ach­ten, das Zuhö­ren sowie eine inter­es­sierte und empa­thi­sche Grund­hal­tung im Arzt-Pati­en­ten-Gespräch wich­ti­ger als Inter­pre­ta­tio­nen und Erklä­run­gen, zeigt sich Lin­der über­zeugt. Wenn nicht nur über die Ursa­chen der Erkran­kung auf­ge­klärt, son­dern auch die Per­spek­tive des Pati­en­ten erfasst wird etwa mit der Frage „Was glau­ben Sie, woher die Krank­heit kommt?“ las­sen sich psycho-soziale Ein­fluss­fak­to­ren bes­ser offen­le­gen und die Dia­gnose und The­ra­pie erleichtern.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 6 /​25.03.2019