Gicht: Typische Symptomatik erleichtert Diagnose

25.09.2019 | Medizin


Je öfter die Gicht auftritt, umso größer ist die Gefahr, dass mehr Gelenke betroffen sind oder dauerhaft geschädigt werden. Die häufigste entzündliche rheumatische Erkrankung ist durch eine besonders schwere Schmerzsymptomatik charakterisiert. Innereien, Krustentiere und Alkohol – besonders Bier – sollten unbedingt gemieden werden.

Laura Scherber

Die typische Symptomatik der Gicht umfasst neben starken Schmerzen die Schwellung, Rötung und Erwärmung des Gelenks; am häufigsten ist das Großzehengrundgelenk betroffen, gefolgt von den Knien und den Handgelenken. Je weiter die Gelenke vom Körpermittelpunkt entfernt sind, desto niedriger ist die Temperatur und umso eher fallen Harnsäurekristalle aus, die sich dann an unterschiedlichen Strukturen ansammeln können“, erklärt Assoc. Prof. Klaus Bobacz von der Universitätsklinik für Innere Medizin III in Wien. Die Gelenke können durch die Gicht zerstört werden, wenn keine adäquate Behandlung eingeleitet wird. Je öfter die Patienten einen Gichtanfall erleiden, umso größer ist die Gefahr, dass in der Folge mehrere Gelenke betroffen sind oder Gelenke dauerhaft geschädigt werden. „Die akute Gicht ist zum einen von der chronischen Gicht und zum anderen von der alleinigen Hyperurikämie zu unterscheiden“, betont Univ. Doz. Johann Gruber von der Universitätsklinik für Innere Medizin II in Innsbruck.

Die chronische Gicht ist durch das Vorliegen von Gicht-Tophi (Gichtknoten) charakterisiert, die nicht unbedingt schmerzhaft sein müssen, sofern sie nicht an mechanisch belasteten Stellen auftreten. Bei der dritten Form, der Hyperurikämie, ist zwar die Harnsäure erhöht, es liegt jedoch keine Symptomatik vor. Die akute Gicht tritt meist in der Nacht auf, relativ häufig zwischen zwei und drei Uhr, ebenso nach körperlichem oder psychischem Stress sowie induziert durch bestimmte Nahrungsmittel oder Getränke, so Gruber. Zur Prävalenz in Österreich liegen sehr wenige Daten vor. „Die Prävalenz-Zahlen sind immer altersabhängig und betragen in Großbritannien bei Männern bis zu zehn Prozent und bei Frauen durch den üblicherweise späteren Beginn nach der Menopause etwa sechs Prozent“, so der Experte.

Es gibt bestimmte Risikofaktoren, welche die Entwicklung einer Gicht begünstigen. „Primäre Hyperurikämien, die angeboren sind und genetische Defekte widerspiegeln, führen durch die Beeinflussung des Abbaus und der Ausscheidung zu einer pathologisch erhöhten Harnsäure“, führt Bobacz aus. „Primäre Hyperurikämien aufgrund genetischer Defekte treten bei uns eher selten auf. Auf bestimmten Inselgruppen im Pazifik kommen sie hingegen häufiger vor“, ergänzt Gruber. Weitaus häufiger sind aber sekundäre Hyperurikämien, die ernährungsbedingt auftreten, mit bestimmten Erkrankungen wie Diabetes mellitus und Niereninsuffizienz assoziiert oder medikamentös induziert sind (Diuretikatherapie, hoch dosiertes Aspirin). „Die Hyperurikämie kann ihrerseits einen Risikofaktor für die Entwicklung des metabolischen Syndroms darstellen“, so Gruber.

Auch wenn die Gelenke durch die typische Symptomatik auf das Vorliegen einer Gicht relativ klar hindeuten, ist der Goldstandard in der Diagnostik laut Bobacz der Nachweis von Harnsäurekristallen. Durch Punktion des betroffenen Gelenks, Entnahme von Gelenksflüssigkeit und Untersuchung mittels des Polarisationsmikroskops werden die phagozytierten Harnsäurekristalle nachgewiesen. Ein weiteres Diagnose-Instrument ist ein Score zur Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Gicht und ergänzend die Laborbestimmung der Harnsäure und Akutphase-Parameter. Bei einem Gichtanfall muss die Harnsäure nicht zwingend erhöht sein. „Gemäß den Kriterien der European League Against Rheumatism und des American College of Rheumatology umfasst die Diagnostik die klinische Untersuchung mit zusätzlicher Bildgebung“, erklärt Gruber. Im Rahmen der Bildgebung wird eine Sonographie (Doppelkonturphänomen) und/oder eine Dual-Energy-Computertomographie (DECT) durchgeführt.

Medikamentöse Therapie und Lebensstil

Die wichtigsten therapeutischen Maßnahmen sind eine medikamentöse Therapie sowie die Lebensstilmodifikation, um die erhöhte Harnsäure zu reduzieren. Der Zielwert liegt bei 6 mg/dl, bei Vorliegen von Gicht-Tophi hingegen bei 5 mg/dl. Den Aussagen von Gruber zufolge lässt sich der Harnsäurewert mit Lebensstil-assoziierten Maßnahmen um bis zu 20 Prozent reduzieren. Lebensmittel wie Innereien, Krustentiere und Alkohol (besonders Bier) sollten unbedingt vermieden werden, während der Konsum von Milch und Milchprodukten, Vitamin C, Zitronen und Kirschen sowie Kaffee die Gicht positiv beeinflusst. Gleichzeitig sollte der Konsum von Schweinefleisch, Meeresfrüchten, Schalentieren, Fruchtsäften und Haushaltszucker mengenmäßig eingeschränkt werden. Für die Senkung der Harnsäure hat sich die ausgewogene, mediterrane Diät als zielführendste Ernährungsform herausgestellt. „Wichtig ist zu wissen, dass pflanzliche Purine zum Beispiel aus Brokkoli und Karfiol die Harnsäure entgegen früherer Annahmen nicht erhöhen“, betont Gruber. Weitere Empfehlungen betreffen eine langsame Gewichtsabnahme mit zwei- bis dreimal moderater körperlicher Aktivität pro Woche von jeweils 20 bis 30 Minuten, da bei einer zu schnellen Gewichtsabnahme die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Gichtanfalls erhöht ist, so der Experte.

Die medikamentöse Therapie umfasst den Einsatz von Harnsäure-senkenden Präparaten wie den URAT1-Inhibitor Lesinurad und die Xanthinoxidase-Hemmer Allopurinol und Febuxostat, wobei letzteres „bei Patienten mit Nierenerkrankungen aufgrund des fixen Dosierungsschemas recht unkompliziert angewendet werden kann“, so Bobacz. Unbedingt zu bedenken ist, dass Allopurinol und Febuxostat auf keinen Fall zusammen mit dem immunsuppressiven Medikament Imurek (Azathioprin) eingenommen werden dürfen, da sie die Ausscheidung von Azathioprin verzögern und daraus schwerwiegende Nebenwirkungen resultieren können.

Für die Behandlung der starken Schmerzen kommen NSAR, Kortison oder Colchicin zum Einsatz, deren Gabe für ein halbes Jahr weitergeführt werden sollte zusätzlich zur Harnsäure-senkenden Medikation. Präparate wie zum Beispiel Thiaziddiuretika und Betablocker, die die Harnsäureausscheidung vermindern können, sind wenn möglich durch andere zu ersetzen. Zum Einsatz kommen daher Substanzen mit urikosurischer Wirkung wie der Kalziumkanalblocker Amlodipin, der ACE-Hemmer Losartan sowie die Lipidsenker Atorvastatin und Fenofibrat.

„Bei der Entwicklung neuer Medikamente für die Therapie der Gicht tut sich einiges. Neue Medikamente wie Tranilast und Arhalofenat sind bereits in Phase-I- und Phase-II-Studien erprobt und wirken nicht nur Harnsäure-senkend, sondern auch anti-inflammatorisch“, berichtet Gruber. Weitere Präparate, deren Einsatz sich bisher noch auf die Forschung beschränkt und die in Zukunft interessant werden könnten, setzen laut dem Experten am Interleukin-1 und dem damit in Verbindung stehenden NALP3-Inflammasom an. „Die Gicht ist ein Paradebeispiel für die Grundlagenforschung, da diese einen großen Einfluss auf die Therapie der Gicht hat“, fasst Gruber zusammen. In der Vergangenheit habe es immer wieder Diskussionen gegeben, ob im Fall eines akuten Gichtanfalls gleich ein Medikament zur Senkung der Harnsäure gegeben werden darf, da diese Intervention selbst einen Gichtanfall auslösen könne. Bobacz dazu: „Was früher als Kunstfehler galt, ist heute überholtes Wissen, weshalb es durchaus möglich ist, auch vor dem Abklingen einer Gicht-Attacke eine Harnsäure-senkende Therapie einzuleiten. Eine bestehende Therapie sollte in jedem Fall belassen werden.“

Liegt nur eine Hyperurikämie ohne eine weitere entsprechende Symptomatik vor, sind „in der Regel“ (Gruber) keine therapeutischen Maßnahmen indiziert. Im Einzelfall kann in Absprache mit dem Patienten eine Harnsäure-senkende Therapie eingeleitet werden, wenn man sich davon einen gesundheitlichen Mehrwert erhofft.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2019