Expertenstatement Neurodermitis: Hilfe im Alltag

25.09.2019 | Medizin


Um Ärzte bei der Diagnostik und Therapie von Neurodermitis im Alltag zu unterstützen, hat erstmals in Österreich ein Team von Experten aus den Bereichen Pädiatrie und Dermatologie ein Expertenstatement zur Neurodermitis verfasst.


Wir wollen Ärzten für die Praxis einen Überblick über den State of the Art der Diagnostik und Therapie der Neurodermitis geben und sie dabei unterstützen, ihr Wissen zur Neurodermitis auf den neuesten Stand zu bringen“ – so stellt Univ. Prof. Klemens Rappersberger, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV), das kürzlich erschienene Expertenstatement zum Thema „Neurodermitis“ vor. Erstmals in Österreich hat ein Team von Pädiatern und Dermatologen ein Expertenstatement dazu verfasst. Es soll „Ordnung in die Flut von Informationen zu dem Thema bringen“, wie Univ. Prof. Beatrix Volc-Platzer, Leiterin der Arbeitsgruppe Pädiatrische Dermatologie der ÖGDV, betont; dennoch soll es bestehende Leitlinien keineswegs ersetzen. „Unser Statement gilt jetzt für das Jahr 2020 und bildet den Status quo ab. Aber es wird sicher notwendig sein, dieses Expertenstatement in Abständen von zwei bis drei Jahren zu aktualisieren“, so Volc-Platzer weiter.

Das Expertenstatement gibt einen Überblick über die Erkrankung – von der Definition über die Entstehung, die diagnostischen Möglichkeiten bis hin zu den verfügbaren Therapien. Ein wesentlicher Aspekt ist auch das klinische Erscheinungsbild: Da die Neurodermitis dynamisch verläuft, bietet sie ein breites Spektrum klinischer Erscheinungsformen, die sich in Abhängigkeit vom Alter an unterschiedlichen Prädilektionsstellen und unterschiedlich stark ausgeprägt zeigen. Dadurch kann sich die Diagnose besonders im frühen Kindesalter schwierig gestalten. Wenngleich Neurodermitis zu den häufigsten chronischen Erkrankungen des Kindesalters gehört – bis zu 20 Prozent aller Säuglinge und Kleinkinder sind davon betroffen –, kann sie auch im Erwachsenenalter erstmals auftreten.

Die Triggerfaktoren, die einen Neurodermitis-Schub auslösen, können von Fall zu Fall sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Christine Bangert, Oberärztin an der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien, betont, dass „bei allen atopischen Erkrankungen Allergien eine wesentliche Rolle spielen“. Bei Erwachsenen spielen inhalative Allergene wie Birkenpollen oder Hausstaubmilben eine größere Rolle. Bei Kindern dagegen müssen vor allem Nahrungsmittelallergien abgeklärt werden; sie betreffen rund ein Viertel aller Kinder mit Neurodermitis und können ein Haupt-Trigger für die Erkrankung sein.

Eltern, die oft Schuldgefühle haben, wenn ihr Kind Neurodermitis entwickelt, gilt es zu unterstützen und über die Erkrankung, deren Entwicklung und Prävention aufzuklären, wie Univ. Prof. Zsolt Szépfalusi von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien betont: „Das ist oft ein langer Weg und Aufgabe des Arztes ist es, den Patienten und seine Angehörigen durch diese schwierige Phase hindurch zu begleiten und zu betreuen.“

In der Therapie gibt es ein breites Spektrum von Behandlungsoptionen – „Altbewährtes ebenso wie Innovationen“, wie Volc-Platzer erklärt. So sind topische Kortikoide nach wie vor der Goldstandard in der Therapie; das Expertenstatement enthält aber auch Tipps, wie Calcineurin-Inhibitoren und Antihistaminika optimal eingesetzt werden können. Außerdem steht für Patienten mit schwerer Neurodermitis ein neues Biologikum zur Verfügung, das „über weite Strecken ein sehr gutes Ansprechen zeigt“, berichtet Rappersberger. Zudem zeigen klinische Studien mit einer neuen Substanz aus der Gruppe der „JAK-Inhibitoren“ gute Ergebnisse.

Basistherapie als Grundlage

Grundlage jeder Therapie der Neurodermitis ist die Basistherapie mit hydratisierenden und rückfettenden Pflegeprodukten. Hier betont Volc-Platzer auch die Bedeutung des Selbstmanagements der Erkrankung: „Mindestens einmal pro Tag sollte der ganze Körper mit einer rückfettenden Pflegecreme eingecremt werden.“ Damit kann der Teufelskreis aus Kratzen, blutigen Hautveränderungen und Ekzemen unterbrochen werden.

Je nach Krankheitsaktivität werden die weiteren Behandlungsoptionen nach einem Stufenplan angewandt, der sich auch im Expertenstatement findet. Bei einer leichten Form der Erkrankung kann bei einem Schub das Eincremen mit einem Calcineurin-Inhibitor oder topischen Kortikosteroiden ausreichen. Bei den meisten Patienten kann die Neurodermitis durch eine individuelle Lokaltherapie gut behandelt werden. Liegen immer wieder schwere Schübe und schwere Verläufe vor, ist eine Systemtherapie erforderlich. Im Expertenstatement werden zwei Kriterienkataloge vorgestellt, anhand derer der Arzt über den Beginn einer Systemtherapie entscheiden kann. Mehrere Systemtherapien – u.a. mit Methotrexat oder Cyclosporin – haben sich als wirksam erwiesen. Hinsichtlich der Nebenwirkungen von Immunsuppressiva befinden sich mehrere Biologika in Entwicklung, die vergleichbare Wirkung bei einem günstigeren Nebenwirkungsprofil zeigen. Für Erwachsene ist nunmehr mit Dupilumab das erste Biologikum zur Therapie der Neurodermitis zugelassen.

Darüber hinaus konnte in mehreren Studien der positive Effekt von strukturierten Schulungsprogrammen für Patienten und Angehörige nachgewiesen werden. Die Neurodermitis-Schulungen werden von interdisziplinären Teams aus Dermatologen, Kinderärzten, Psychologen sowie Ernährungsberatern jeweils für bestimmte Altersgruppen durchgeführt. An erster Stelle steht dabei die umfassende Aufklärung über Neurodermitis, über den Umgang mit der Erkrankung und die Möglichkeiten der Therapie. „Je besser Betroffene und Angehörige die Erkrankung verstanden haben, umso besser ist auch die Therapietreue“, weiß Volc-Platzer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2019