Dos­sier: Masern

10.02.2019 | Medizin


Nach­dem die Masern nicht wie geplant bis 2015 aus­ge­rot­tet wer­den konn­ten, soll dies bis 2020 zumin­dest in fünf der sechs WHO-Regio­nen erfolgt sein. In ihrem kürz­lich prä­sen­tier­ten stra­te­gi­schen Fünf-Jah­res-Plan führt die WHO die Impf­skep­sis als eine der zehn größ­ten Bedro­hun­gen für die Gesund­heit an.
Agnes M. Mühlgassner

Vor Ein­füh­rung der Masern-Imp­fung erkrank­ten alle Per­so­nen vor dem 15. Lebens­jahr an Masern. Alle zwei bis fünf Jahre gab es regel­mä­ßige Masern-Aus­brü­che. Damals star­ben in den USA jähr­lich 400 bis 500 Men­schen an Masern, 48.000 muss­ten hos­pi­ta­li­siert wer­den und rund 1.000 Per­so­nen erkrank­ten an einer Masern-Ence­pha­li­tis. Mit der Ein­füh­rung der zunächst nur ein­ma­li­gen Masern-Imp­fung im Jahr 1963 änderte sich das. Ein Masern-Aus­bruch unter geimpf­ten Schul­kin­dern im Jahr 1989 führte schließ­lich dazu, dass das Advi­sory Com­mit­tee on Immu­niza­tion Prac­ti­ces, die Ame­ri­can Aca­demy of Pedia­trics und die Ame­ri­can Aca­demy of Family Phy­si­ci­ans die Ein­füh­rung einer zwei­ten Masern-Imp­fung emp­fah­len, was zu einem wei­te­ren Rück­gang der Masern-Fälle führte. Auf diese Weise konn­ten zwi­schen 1980 und 2012 welt­weit die durch Masern beding­ten Todes­fälle von 2,6 Mil­lio­nen auf 122.000 ver­rin­gert wer­den.

Kos­ten­lo­ses Kinderimpfprogramm

In Öster­reich hat die dama­lige Gesund­heits­mi­nis­te­rin Lore Hostasch im Jahr 1997 das kos­ten­lose Kin­der­impf­pro­gramm ins Leben geru­fen. Ziel war es, allen in Öster­reich leben­den Kin­dern bis zum 15. Lebens­jahr Zugang zu Imp­fun­gen zu ermög­li­chen, die für die öffent­li­che Gesund­heit wich­tig sind; den Erzie­hungs­be­rech­tig­ten soll­ten dadurch keine Kos­ten ent­ste­hen. Damit sollte eine der­art hohe Impf­be­tei­li­gung in der Bevöl­ke­rung erzielt wer­den, dass auch die­je­ni­gen, die aus wel­chen Grün­den auch immer nicht geimpft wer­den kön­nen, auf­grund des Her­den­schut­zes vor einer Anste­ckung geschützt sind. Das Kin­der­impf­pro­gramm umfasst der­zeit 13 Imp­fun­gen. Die Lebend­imp­fung gegen Masern wird dabei in Kom­bi­na­tion mit Mumps und Röteln (MMR) ab dem neun­ten Lebens­mo­nat ver­ab­reicht; drei Monate spä­ter die zweite Impfung.

Masern sind so anste­ckend, dass 90 Pro­zent der Per­so­nen, die Kon­takt mit einem Erkrank­ten haben und selbst nicht immun sind, an Masern erkran­ken. Auch noch zwei Stun­den, nach­dem eine erkrankte Per­son gehus­tet oder geniest hat, kann das Virus in der Luft über­le­ben und wei­tere Anste­ckun­gen ver­ur­sa­chen. Ein beson­de­res Risiko für einen schwe­ren Ver­lauf haben Kin­der unter einem Jahr sowie Erwach­sene. Nach einer Inku­ba­ti­ons­zeit von acht bis zehn Tagen kommt es zu den Pro­dro­mal­sym­pto­men Fie­ber, Rhi­ni­tis, Kon­junk­ti­vi­tis und Laryn­gi­tis. Es fol­gen das Enan­them der Mund­schleim­haut und die Koplik’schen Fle­cken. Danach kommt es zum typi­schen makul­o­pa­pu­lö­sen Masern-Exan­them, begin­nend an der Kopf-Haar-Grenze, das sich dann über Gesicht, Hals, Rumpf, Beine bis hin zu den Füßen aus­brei­tet. Vier Tage vor sowie vier Tage nach Beginn des Exan­thems kön­nen Erkrankte andere anste­cken; unmit­tel­bar vor Beginn des Exan­thems ist die Anste­ckungs­ge­fahr am größ­ten. Das Fie­ber geht nach eini­gen Tagen zurück; der Haut­aus­schlag ver­blasst nach zwölf bis 14 Tagen.

Bei rund 20 Pro­zent der Masern-Fälle kommt es zu Kom­pli­ka­tio­nen wie Oti­tis media, Bron­chi­tis, Diar­rhoe und Pneu­mo­nie. In ein bis zwei Fäl­len von 1.000 Erkrank­ten kommt es zur Masern-Ence­pha­li­tis. Davon ver­lau­fen 25 Pro­zent letal; ein Drit­tel der Über­le­ben­den weist schwer­wie­gende Fol­ge­schä­den auf. Masern ver­ur­sa­chen dar­über hin­aus eine rund sechs Wochen andau­ernde Schwä­chung des Immun­sys­tems. Als Spät­folge (ein Fall auf 5.000 bis 10.000 Infek­tio­nen) kann es durch­schnitt­lich sie­ben Jahre nach einer Masern-Erkran­kung zur Sub­akut skle­ro­sie­ren­den Pan Ence­pha­li­tis (SSPE) kom­men. Das größte Risiko haben Kin­der, die im ers­ten Lebens­jahr an Masern erkran­ken. Die SSPE führt zu einer fort­schrei­ten­den Ver­schlech­te­rung der intel­lek­tu­el­len und psy­chi­schen Fähig­kei­ten. Es kommt zu neu­ro­lo­gi­schen Stö­run­gen wie Spas­tik, Ata­xien und Myo­klo­nien und endet letal.

Durch­imp­fungs­rate in Österreich

Das Ziel einer 95-pro­zen­ti­gen Durch­imp­fungs­rate mit zwei Impf­do­sen konnte nicht erreicht wer­den – zu die­sem Ergeb­nis kommt eine vom Gesund­heits­mi­nis­te­rium beauf­tragte Eva­lu­ie­rung, die 2017 ver­öf­fent­licht wurde. Dabei wur­den mit einem von der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Wien ent­wi­ckel­ten Rechen­mo­dell die Durch­imp­fungs­ra­ten ermit­telt, wobei die Berech­nun­gen für den Zeit­raum von 1.1.1998 bis 31.12.2017 erfolg­ten. Die Ergebnisse:

  • In der Alters­gruppe der Zwei- bis Fünf­jäh­ri­gen beträgt die Durch­imp­fungs­rate für die zweite Imp­fung rund 81 Prozent.
  • In der Alters­gruppe der Sechs- bis Neun­jäh­ri­gen liegt die Durch­imp­fungs­rate für die zweite Imp­fung bei
    89 Pro­zent.
  • Bei den 15- bis 30-Jäh­ri­gen wei­sen nur 70 Pro­zent einen kom­plet­ten Impf­schutz mit zwei Dosen auf.

Das bedeu­tet: In der Alters­gruppe der Zwei- bis Fünf­jäh­ri­gen soll­ten 48.000 Kin­der eine zweite Imp­fung erhal­ten; bei den Sechs- bis Neun­jäh­ri­gen sind es 27.000 Kin­der. Rund eine halbe Mil­lion Men­schen zwi­schen 15 und 30 Jah­ren benö­tigt ebenso eine zweite Dosis einer Masern-Imp­fung. Dar­über hin­aus gibt es auch bei einige Jahr­gän­gen erheb­li­che Impflü­cken: So sind etwa bei den Per­so­nen, die zwi­schen 2010 und 2014 gebo­ren sind, von den Sie­ben­jäh­ri­gen fast zehn Pro­zent der Kin­der kom­plett unge­impft; bei den Drei­jäh­ri­gen sind es acht Pro­zent. Durch eine Umstel­lung im Impf­plan vom Volks­schul­al­ter auf das Klein­kind­al­ter sind acht Pro­zent der Per­so­nen, die Mitte bis Ende der 1990er Jahre gebo­ren wor­den sind, unge­impft. Ganz all­ge­mein zeigt sich auch, dass die Kin­der ten­den­ti­ell spä­ter geimpft wer­den als im Impf­plan vor­ge­se­hen: So wer­den nur 75 Pro­zent der ers­ten Impf­do­sen und 38,5 Pro­zent der zwei­ten Impf­do­sen an Kin­der unter zwei Jah­ren verabreicht.

Eine Ana­lyse der Masern-Situa­tion in Öster­reich für 2017 hat des Wei­te­ren erge­ben, dass es sich bei den Erkran­kun­gen nicht um eine ende­mi­sche Zir­ku­la­tion eines bestimm­ten ein­hei­mi­schen Virus­stamms han­delt, son­dern die Ursa­che für die Infek­tio­nen in der wie­der­hol­ten Ein­schlep­pung von diver­sen Masern­vi­ren liegt, die auf eine emp­fäng­li­che, weil nicht aus­rei­chend durch­impfte Bevöl­ke­rung, trifft.

Von 2016 auf 2017 hat sich die Zahl der Masern-Fälle in Öster­reich ver­drei­facht. 79 Pro­zent der Betrof­fe­nen waren nicht geimpft, bei zwölf Pro­zent war der Impf­sta­tus nicht bekannt. Elf Kin­der unter einem Jahr waren betrof­fen. Wei­tere zwölf Infek­tio­nen gab es bei Kin­dern zwi­schen ein und vier Jah­ren. Somit ereig­nete sich ins­ge­samt fast ein Vier­tel (24,2 Pro­zent) der Fälle bei Kin­dern unter fünf Jah­ren. 59 Pro­zent der Masern­fälle wur­den bei über 20-Jäh­ri­gen regis­triert; in 19 Pro­zent aller Fälle war Per­so­nal aus dem Gesund­heits­be­reich betrof­fen. Laut WHO wur­den im Jahr 2017 welt­weit um 30 Pro­zent mehr Masern­fälle gemel­det als im Jahr zuvor. So wur­den zwi­schen 1. Novem­ber 2017 und 30. Novem­ber 2018 in den 30 Län­dern der EU/​des EWR ins­ge­samt 12.790 Fälle von Masern sowie 35 Todes­fälle regis­triert. Ledig­lich aus Island wurde kein ein­zi­ger Fall gemel­det. Die meis­ten Fälle wur­den in Frank­reich (2.921), Grie­chen­land (2.634), Ita­lien (2.548), Rumä­nien (1.346) und dem Ver­ei­nig­ten König­reich (984) regis­triert. In Öster­reich wur­den im Jahr 2018 ins­ge­samt 77 Masern­fälle gemel­det; alle Bun­des­län­der waren betrof­fen. Ins­ge­samt zwölf Pro­zent der Fälle waren mit Gesund­heits­per­so­nal asso­zi­iert. Euro­pa­weit waren von den Fäl­len, bei denen das Alter bekannt war, in 30 Pro­zent der Fälle Kin­der unter fünf Jah­ren betrof­fen; in 51 Pro­zent waren die Betrof­fe­nen älter als 15 Jahre. Bei rund zehn Pro­zent war der Impf­sta­tus nicht bekannt – vor allem bei den über 30-Jäh­ri­gen, wo der Anteil am größ­ten war. Von den mehr als 89 Pro­zent aller Fälle, bei denen sowohl Alter als auch Impf­sta­tus bekannt waren, waren 80 Pro­zent nicht geimpft; elf Pro­zent waren mit nur einer Dosis Masern-Impf­stoff geimpft. Der Anteil an Nicht-Geimpf­ten war bei den unter Ein­jäh­ri­gen mit 95 Pro­zent am größ­ten; bei den Ein- bis Vier­jäh­ri­gen waren 78 Pro­zent nicht geimpft, 15 Pro­zent hat­ten eine Dosis eines Masern-Impf­stoffs erhal­ten. Auch 2018 setzte sich der Trend der stei­gen­den Zahl an Masern-Erkran­kun­gen fort: Im ers­ten Halb­jahr gab es mehr als 41.000 Erkran­kungs­fälle. Zum Ver­gleich: Zwi­schen 2010 und 2017 lag die Zahl der jähr­li­chen Erkran­kungs­fälle zwi­schen 5.300 und 24.000. Die größ­ten Masern-Aus­brü­che gab es 2018 in der Ukraine mit mehr als 36.000 Fäl­len, in Ser­bien mit mehr als 5.700 Fäl­len. In Rumä­nien waren es 5.222, in Frank­reich 2.727, in Grie­chen­land 2.290 und in Ita­lien 2.295 Fälle. Betrof­fen waren vor allem Kin­der unter fünf Jah­ren sowie junge Erwachsene. 

Ziel: Masern-Eli­mi­na­tion

Da der Mensch der ein­zige Wirt ist, kön­nen Masern durch eine kon­se­quent hohe Durch­imp­fungs­rate aus­ge­rot­tet wer­den. Bereits 1998 hatte das Regio­nal­ko­mit­tee der WHO das Ziel der Masern-Eli­mi­na­tion beschlos­sen. 2005 wurde dies um Röteln erwei­tert mit dem Ziel, beide Erkran­kun­gen bis 2010 zu eli­mi­nie­ren. Auch das nächste Ziel der Eli­mi­na­tion – 2015 wurde ange­strebt – konnte nicht erreicht wer­den. Aktu­ell lau­tet das Ziel der WHO, Masern bis zum Jahr 2020 min­des­tens in fünf der sechs WHO-Regio­nen (Afrika, Ame­rika, Europa, öst­li­ches Mit­tel­meer, Süd­ost­asien und West­pa­zi­fi­scher Raum) zu eli­mi­nie­ren. Über den Sta­tus der Masern-Eli­mi­na­tion haben die Staa­ten der EU/​des EWR im Juni 2017 – basie­rend auf Zah­len von 2016 – wie folgt berich­tet: Dem­nach gibt es in 22 Staa­ten keine ende­mi­sche Trans­mis­sion. Zu die­sen Staa­ten zäh­len etwa Bul­ga­rien, Kroa­tien, Däne­mark, Ungarn, Malta, die Nie­der­lande und Schwe­den. Irland berich­tete, die ende­mi­sche Trans­mis­sion für 24 Monate unter­bro­chen zu haben. Öster­reich fin­det sich mit Deutsch­land und Polen in der Gruppe, die die ende­mi­sche Trans­mis­sion für zwölf Monate unter­bro­chen hat. In Bel­gien, Frank­reich, Ita­lien und Rumä­nien gibt es ende­mi­sche Transmission.

Schät­zun­gen der WHO zufolge konn­ten durch welt­weite Impf­pro­gramme von 2000 bis 2016 ins­ge­samt 20,4 Mil­lio­nen Todes­fälle ver­hin­dert wer­den und die Sterb­lich­keit an Masern um 84 Pro­zent gesenkt wer­den. Durch eine kon­se­quente Durch­imp­fungs­stra­te­gie konn­ten bei­spiels­weise auf dem gesam­ten ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent bis zum Jahr 2000 die dort ein­hei­mi­schen Masern aus­ge­rot­tet wer­den. Jedoch sind in vie­len Län­dern Euro­pas die Durch­imp­fungs­ra­ten nicht aus­rei­chend hoch, um die Wild­vi­rus-Zir­ku­la­tion zu unter­bre­chen. Die aktu­el­len Daten zei­gen, dass ledig­lich in Ungarn, Por­tu­gal, der Slo­wa­kei und Schwe­den Durch­imp­fungs­ra­ten von 95 Pro­zent erreicht werden.

Quel­len: Öster­rei­chi­scher Impf­plan 2019, Euro­pean Cen­ter for Dise­ase Con­trol (ECDC), WHO, Virus­epi­de­mio­lo­gi­sche Infor­ma­tion, Kurz­be­richt Masern/​Gesundheitsministerium


Inter­view: Univ. Prof. Hei­de­ma­rie Holz­mann
„Eli­mi­na­tion bleibt Fernziel”

Die Masern-Eli­mi­na­tion in Europa bleibt ein WHO-Fern­ziel, erklärt Univ. Prof. Hei­de­ma­rie Holz­mann vom Depart­ment für Viro­lo­gie der Med­uni Wien. Zwar sank die jähr­li­che Inzi­denz von 1993 bis 2007 um 98 Pro­zent, damit war es aber durch die Aus­brü­che der ver­gan­ge­nen Jahre in vie­len euro­päi­schen Län­dern vor­bei. Das Gespräch führte Andrea Riedel.

95 Pro­zent der Zwei- bis Fünf- bezie­hungs­weise der Sechs- bis Neun­jäh­ri­gen sind erst­im­mu­ni­siert. Mit der zwei­ten Teil­imp­fung errei­chen wir nur 80 bezie­hungs­weise 89 Pro­zent. Warum?
In den ers­ten Lebens­jah­ren kommt es am lau­fen­den Band zu meist bana­len Infek­ten. Eltern haben dann oft Beden­ken, aber auch viele Kol­le­gen imp­fen ein ver­schnupf­tes Kind vor­sichts­hal­ber nicht. Beim nächs­ten Ter­min hat das Kind Hals­weh und so wei­ter. Ich glaube, es wäre wich­tig, auch die Ärzte durch gezielte Fort­bil­dungs­an­ge­bote in ihrem Wis­sen zu bestär­ken. Nicht jeder leichte Infekt ist auto­ma­tisch eine Kon­tra­in­di­ka­tion. An den Med­Unis sind wir dabei, das Impf­we­sen umfas­send ins Cur­ri­cu­lum zu inte­grie­ren, um die Aus­bil­dung zu verbessern.

Das größte Pro­blem sind junge Erwach­sene. Kön­nen Ärz­tin­nen und Ärzte „drau­ßen“ diese Gruppe errei­chen?
Das ist in der Tat schwie­rig. Das Minis­te­rium geht von mehr als 500.000 nicht voll­stän­dig gegen Masern geimpf­ten Per­so­nen zwi­schen 15 und 30 aus. In die­sem Alter geht man sel­ten zum Arzt, Gefah­ren und Fol­gen impf­prä­ven­ta­bler Krank­hei­ten sind aus dem All­tag ver­schwun­den. Diese Gruppe wird man wohl nur mit geziel­ten inten­si­ven Kam­pa­gnen für Catch-up-Imp­fun­gen gewin­nen. Bei jun­gen, gesun­den Frauen kommt den Gynä­ko­lo­gen eine Schlüs­sel­rolle zu.

Was wür­den Sie Ärz­tin­nen und Ärz­ten raten, wenn Pati­en­ten eine Imp­fung ableh­nen, weil ‚andere eh geimpft sind‘?
Ich bin nicht für Angst­ma­che, aber mit ‚immu­no­lo­gi­schen Tritt­brett­fah­rern‘ sollte man Klar­text reden und die soziale Kom­pe­tenz för­dern: Masern kön­nen zum Tod füh­ren. Dass sie das Immun­sys­tem stär­ken, ist ein Mär­chen. Im Gegen­teil: Die Abwehr­kraft ist noch zwei, drei Jahre nach der Erkran­kung geschwächt. Will ich das fürs eigene Kind wirk­lich in Kauf neh­men? Und kann ich damit leben, dass mein infi­zier­tes Kind viel­leicht im Bus ein zwei Monate altes Baby oder einen Immun­sup­p­ri­mier­ten ansteckt und in Lebens­ge­fahr bringt?

Wie soll man mit „Hardcore“-Impfgegnern umge­hen?

Deren Anteil wird wohl wei­ter bei zwei bis vier Pro­zent lie­gen. An denen soll­ten wir uns nicht fest­bei­ßen. Die meis­ten Leute neh­men Impf­an­ge­bote aus ganz ande­ren, unter­schied­li­chen Grün­den nicht an: Für die ver­un­si­cherte Mut­ter, die das Beste für ihr Kind will, ist jeden­falls der Arzt die rich­tige Anlauf­stelle. Impf­ge­sprä­che sind auf­wän­dig, das muss sich auch im Hono­rar nie­der­schla­gen. Der Mana­ge­rin, die keine Zeit für einen Impf­ter­min beim Arzt fin­det, kommt eine Betriebs­ak­tion ent­ge­gen. Für die vie­len, die ein­fach ver­ges­sen, dass die letzte Imp­fung schon x Jahre her ist, brau­chen wir Recall­sys­teme, die mit dem e‑Impfpass hof­fent­lich kom­men. Wich­tig wäre auch, das Ordi­na­ti­ons­per­so­nal gut auf­zu­klä­ren. Es darf zum Bei­spiel nicht sein, dass die Assis­ten­tin dem Pati­ent am Schal­ter so neben­bei sagt, diese oder jene Imp­fung sei ‚nicht so wichtig‘.

Eine Impf­pflicht wäre kein Thema?
Nicht gene­rell. Für bestimmte Grup­pen wie das Gesund­heits­per­so­nal aber sehr wohl. Prin­zi­pi­ell bin ich für eine ver­bes­serte Aus­bil­dung und eher für Anreiz- als für Sanktionssysteme.

Aber in Ita­lien hat die Impf­pflicht die Masern­fälle von 2017 auf 2018 hal­biert.
Ita­lien hat als ‚ultima ratio‘ die Not­bremse gezo­gen. Durch die vie­len Masern­aus­brü­che ist die Lage außer Kon­trolle gera­ten, zudem ist die Fall­zahl immer noch extrem hoch. Mas­sive Gegen­re­ak­tio­nen in der Bevöl­ke­rung wie auch auf poli­ti­scher Ebene zei­gen aber, dass eine Impf­pflicht keine nach­hal­tige Lösung ist. Diese Aus­gangs­lage ist mit Öster­reich abso­lut nicht ver­gleich­bar: Bei uns setzt ein Aus­bruch sofort einen bis ins Detail abge­stimm­ten Maß­nah­men­plan in Gang. Alle rele­van­ten Insti­tu­tio­nen und Behör­den ken­nen sich aus und koope­rie­ren rei­bungs­los. Wir ver­su­chen sofort, Infek­ti­ons­kette und Kon­takt­per­so­nen abzu­klä­ren und lei­ten Gegen­maß­nah­men ein, wie Abrie­ge­lungs­imp­fun­gen, Qua­ran­täne etc. So ist es uns immer gelun­gen, Aus­brü­che zu been­den und ein­ge­schleppte Viren­stämme rasch zu eli­mi­nie­ren, sodass sie nicht ende­misch wer­den konnten.

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 3 /​10.02.2019