Dossier Demenz in Österreich: Aktiv am Leben teilnehmen

25.05.2019 | Medizin


Über den Stellenwert der Kognitiven Rehabilitation bei Menschen, die an Demenz leiden, berichtete eine Expertin aus Großbritannien im Rahmen des Geriatriekongresses Ende April in Wien. In Österreich stehen bei der Umsetzung der Demenzstrategie im Jahr 2019 die Partizipation der Betroffenen und der Ausbau von niederschwelligen Angeboten im Vordergrund.
Laura Scherber

Ziel der Kognitiven Rehabilitation bei Menschen mit Demenz ist es, die Funktionsfähigkeit – etwa soziale und Alltags-Funktionalität – bestmöglich zu steigern sowie neues Lernen zu initiieren. Die Prinzipien dieses individuellen, problemlösungsorientierten Ansatzes, der in der Praxis deutliche Erfolge verzeichnet, erläuterte Jackie Pool von Sunrise Senior Living in Beaconsfield (UK) im Rahmen des Geriatriekongresses Ende April in Wien.

Essentiell dabei ist die Festlegung von individuellen Zielen zu Beginn der Therapie, da eine direkte Verbindung zu den relevanten Aktivitäten geschaffen wird, sinnvolle Strategien identifiziert werden und durch das Messbar-Machen des Erfolgs die Motivation gesteigert wird. Im Vorfeld ist es wichtig, herauszufinden, welche individuellen Ziele der Einzelne hat, welche Faktoren ihn am Erreichen hindern und welche Stärken er hat, auf deren Basis erfolgreiche Strategien entwickelt werden können.

Die drei Grundprinzipien des Therapieansatzes umfassen die Unterteilung der Lerninhalte in kleinere Einheiten („errorless learning“), die Vermittlung des Inhalts über mehrere Zugänge, um unterschiedliche Hirnregionen zu adressieren („effortful processing“) und die umfangreiche Wiederholung der Inhalte („expanding rehearsal“). Pool berichtet von bewegenden Momenten, wenn Menschen mit Demenz feststellen, dass sie etwas Verlerntes wieder erlernt haben. Auch wenn die kognitive Rehabilitationstherapie viel Energie erfordere, seien die Ergebnisse bei der Mehrheit der Betroffenen positiv. Die Personen erlangen soziale Funktionalität zurück, denn „sie wollen keine Barrieren und kein Stigma“, so die Expertin.

Dass die österreichische Demenzstrategie – „Gut leben mit Demenz“ – in der Öffentlichkeit über ein bestimmtes Fachpublikum hinaus nicht wirklich bekannt ist, bedauerte Brigitte Juraszovich von der Gesundheit Österreich GmbH. Ziel dieser Strategie ist die Früherkennung von dementiellen Erkrankungen. Sie umfasst sieben übergeordnete Wirkungsziele mit insgesamt 21 daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen, die die Bereiche Demenzversorgung, Public Health sowie Forschung, Qualität und Rahmenbedingungen adressieren. Seit 2016 wird die Demenzstrategie im Rahmen eines partizipativen, interaktiven Prozesses umgesetzt. „Das soll sich in Zukunft ändern. 2019 steht die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und die Partizipation der Betroffenen im Vordergrund“, erklärte Juraszovich. In den Arbeitsgruppen seien zunehmend Menschen mit Demenz involviert, allerdings vorwiegend Personen mit leichter Demenz, die aktiv ihr Leben gestalten. Wünschenswert wäre es, künftig auch Personen einzubeziehen, die weniger aktiv sind und die unter schwererer Demenz leiden. In Österreich gäbe es außerdem sehr viele Einzelmaßnahmen oder Maßnahmen auf Länderebene. Hier wäre jedoch nach Ansicht von Juraszovich eine einheitliche Strategie auf Bundesebene notwendig; sie schaffe einen gemeinsamen Orientierungsrahmen für alle Stakeholder.

Wichtig für die Umsetzung der Demenzstrategie sei die Bereitstellung von entsprechenden Strukturen beispielsweise durch den Ausbau von niederschwelligen Anlaufstellen wie es in Oberösterreich durch die Demenz-Servicestellen erfolgt. Aktuelle Umsetzungsbeispiele für das erste Wirkungsziel („Teilhabe und Selbstbestimmung der Betroffenen sicherstellen“) sind Selbsthilfe-Angebote für Betroffene und Angehörige (zum Beispiel Promenz, Demenz-Cafés, Stammtische), Demenz-freundliche Gemeinden (Gesamtkonzepte im Bundesland, lokale Initiativen), Demenz-freundliche Apotheken sowie Leitfäden oder spezielle Schulungen im Bereich des öffentlichen Verkehrs oder der öffentlichen Dienste. So gibt es zum Beispiel 150 Demenz-freundliche Polizei-Einsatzstellen, die wissenschaftlich evaluiert und begleitet werden. Ein wichtiger Aspekt des vierten Wirkungsziels („Rahmenbedingungen einheitlich gestalten“) ist die ‚Integrierte Versorgung Demenz‘ mit der Vernetzung im Gesundheits- und Sozialbereich. Neben einigen Pilotprojekten in Wien, dem Versorgungsmodell „Integrierte Versorgung Demenz Oberösterreich“, dem geriatrischen Konsiliardienst GeKo in Kärnten und der Weiterentwicklung der gerontopsychiatrischen Kompetenz in den Vorarlberger Pflegeheimen wird die 2011 erstellte „medizinische Leitlinie für die integrierte Versorgung Demenzerkrankter“ derzeit überarbeitet.


Servicestellen für Demenz

Um die Früherkennung zu fördern, wurden in Oberösterreich flächendeckend niederschwellige Demenz-Servicestellen eingerichtet. Dort wird Menschen, die sich Sorgen um ihre Gedächtnisleistung machen, im Rahmen eines psychologischen Gesprächs Beratung angeboten; auf Wunsch wird ein Gedächtnis-Check durchgeführt oder zum Facharzt überwiesen. Die drei wesentlichen Ziele sind die Früherkennung der Erkrankung, die Verhinderung einer frühzeitigen Institutionalisierung und die Entlastung der Angehörigen. „Von den frühesten Stadien mit Präventivmaßnahmen bis hin zu den späten Stadien wird ein Lebenskonzept für Menschen mit Demenz angeboten, das gemeinsam mit der Familie entwickelt wird und die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt“, erklärt Univ. Prof. Stefanie Auer vom Department für Klinische Neurowissenschaften und Präventionsmedizin an der Donau-Universität Krems. Außerdem hat sich eine behutsame Heranführung an die Diagnose bewährt, wobei die Diagnose besser akzeptiert wird, wenn im Vorfeld ein Lebenskonzept vorhanden ist. Die Daten von 4.295 Personen zeigen, dass die Betroffenen ihr Krankheitsbild relativ gut einschätzen können: 60 Prozent der Personen, die sich an die Demenz-Servicestellen wenden, haben noch keine medizinische Diagnose.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 10 / 25.05.2019