Divertikulitis: Oft selbstlimitierend

15.12.2019 | Medizin


Bis zu 60 Prozent aller 60-Jährigen haben Divertikel. Bei rund zehn Prozent der Betroffenen entwickelt sich eine akute Divertikulitis. Nicht jeder, der an einer akuten Divertikulitis leidet, benötigt ein Antibiotikum, weil die mäßige oder leichte Form der Erkrankung
oft selbstlimitierend ist.
Laura Scherber

Obwohl sich Divertikel grundsätzlich in jedem Alter bilden können, steigt die Wahrscheinlichkeit mit dem Alter an. „Die Prävalenz der Divertikulose liegt zwischen 28 und 45 Prozent in der Gesamtbevölkerung, wobei von den 60-Jährigen bis zu 60 Prozent Divertikel haben“, berichtet Univ. Doz. Andreas Shamiyeh von der Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie und Viszeralchirurgie in Linz. Die grundsätzlich gutartigen Ausstülpungen der Darmwand bilden sich meist im Bereich der Sigmaschlinge, können aber prinzipiell im gesamten Colon auftreten. Nicht immer entwickelt sich beim Vorhandensein von Divertikeln auch unbedingt eine Entzündung, allerdings kommt es besonders bei Obstipation zu einer erhöhten Druckentwicklung und zu sogenannten Hochdruckzonen, sodass in weiterer Folge eine Entzündung entsteht.

„Während 90 Prozent der Personen, die an einer Divertikulose leiden, klinisch unauffällig bleiben und vielleicht an gelegentlichen Verdauungsproblemen oder Schmerzen leiden, entwickelt sich bei den übrigen zehn Prozent eine Divertikulitis“, erklärt Univ. Prof. Herbert Tilg von der Universitätsklinik für Innere Medizin I in Innsbruck. Das Hauptsymptom ist in 85 Prozent der Fälle Bauchschmerz, wobei begleitend auch Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation oder Diarrhoe auftreten können. Neben den typischen Schmerzen im linken Unter- oder Mittelbauch kommt es sehr häufig dazu, dass der über der Harnblase befindliche Anteil des Peritoneums gereizt ist. Die Patienten glauben dann, dass sie unter einer Zystitis leiden und konsultieren zunächst einen Urologen, wobei die Analyse des Harns dann Klarheit verschafft.

Divertikel: Meist Zufallsbefund

„Divertikel als solche findet man meist als Zufallsbefund bei einer Vorsorge- oder Routinedarmspiegelung“, weiß Shamiyeh. Neben der klinischen Untersuchung und dem Anamnesegespräch ist der Goldstandard für die Erkennung einer akuten Divertikulitis die Computertomographie bei gleichzeitiger Verwendung eines wasserlöslichen Kontrastmittels, wodurch nicht nur die Divertikulitis, sondern auch das umgebende Fettgewebe und potentielle Entzündungen sichtbar werden. „Neben der Computertomographie ist eine gute Ultraschalluntersuchung in der Diagnostik auch sehr aussagekräftig, wohingegen die Koloskopie bei einer akuten Divertikulitis kontrainduziert ist“, so Tilg. Im Blutbild zeigt sich die Divertikulitis durch erhöhte Entzündungsparameter wie ein erhöhtes C-reaktives Protein und eine Leukozytose. „Bei 75 Prozent der Patienten mit einer Divertikulitis ist der Verlauf relativ unkompliziert. Die übrigen 25 Prozent entwickeln hingegen Komplikationen wie Abszesse, Fisteln, Perforationen oder einen Ileus“, führt Tilg weiter aus. Gleichzeitig leidet etwa ein Drittel der Betroffenen unter wiederholten Episoden und damit unter einer rekurrenten Divertikulitis.

Risikofaktoren für die Entwicklung einer Divertikulose sind ballaststoffarme und fettreiche Ernährung, Obstipation und das Alter. Die frühere Ansicht, ein hoher Verzehr von Samen und Kernen würde beim Vorhandensein von Divertikeln zu einer höheren Rate vonEntzündungen führen, „kann in neueren Studien nicht belegt werden“, betont der Experte. Die genaue Ursache für die Entwicklung einer Divertikulose oder für das wiederholte Auftreten ist bisher unbekannt. Bei der Divertikulose handelt es sich um eine weltweit vorkommende Erkrankung, die nicht nur für westliche Kulturen typisch ist. Auch hier wird so wie in vielen anderen Bereichen auch der Einfluss des Mikrobioms diskutiert.

Konservative Therapie meist ausreichend

„Nicht jeder Patient mit einer akuten Divertikulitis benötigt heute ein Antibiotikum, weil die mäßige oder leichte Form oft selbstlimitierend ist“, betont Tilg. Meist reicht eine konservative, symptomatische Therapie mit Schonkost und stuhlregulierenden Maßnahmen. „Es gibt Hinweise, dass dadurch das wiederholte Auftreten von Entzündungen vermindert werden kann“, erklärt der Experte. Darüber hinaus spreche auch nichts gegen den Verzehr von Nüssen und Samen, sofern bei den Betroffenen keine Engstelle existiert. Weiters können bestimmte stuhlregulierende Substanzen wie Lactulose, Molaxole oder Movicol zur Vermeidung einer Obstipation eingesetzt werden. Ein Medikament, das das neuerliche Auftreten einer Divertikulitis verhindert, gibt es bislang nicht. „Obwohl viele Daten zu Mesalazin erhoben worden sind, reicht die Studienlage bisher nicht aus, um entsprechende Empfehlungen auszusprechen“, berichtet Tilg.

Auch wenn die konservative Behandlung bei einigen Patienten zielführend ist, stellt die antibiotische Therapie „für einen substantiellen Teil der Betroffenen“ einen zentralen Bestandteil der Therapie dar. Die eigentliche Herausforderung liege darin, zu erkennen, welcher Patient eine Antibiotika-Therapie tatsächlich benötigt. Obwohl nicht zwingend notwendig, werden bei der unkomplizierten Divertikulitis in Österreich „flächendeckend“ (Shamiyeh) Antibiotika eingesetzt. Handelt es sich hingegen um eine komplizierte Divertikulitis mit entsprechenden Komplikationen, ist ein chirurgischer Eingriff erforderlich. „Bei einem gedeckten Durchbruch behandelt man mit Antibiotika und Nahrungskarenz und führt meistens eine elektive Operation durch, bei der das betroffene Darmstück sechs bis acht Wochen später entfernt wird“, erklärt Shamiyeh. Liegen hingegen Abszesse vor, hängt die Therapie von der Größe ab. Kleine Abszesse bis zu drei Zentimeter werden nur mit Antibiotika behandelt, größere Abszesse werden CT-gezielt oder Schall-gezielt drainiert und ebenfalls im Rahmen einer elektiven Operation nach sechs bis acht Wochen entfernt. Liegt ein freier Durchbruch vor, ist eine Notoperation indiziert. „Grundsätzlich werden chirurgische Eingriffe seltener durchgeführt als noch vor zehn bis 15 Jahren. Operiert werden nur noch die wirklich schweren Fälle, wobei die Laparoskopie Standard sein sollte“. Auch werden immer weniger Patienten, die an einer rekurrenten Divertikulitis leiden, operiert. Tilg dazu: „Früher wurde bei jüngeren Patienten oder bei Patienten mit drei Divertikulitis-Episoden ein chirurgischer
Eingriff durchgeführt. Heute ist man generell zurückhaltender und die Anzahl früherer Attacken stellt nicht unbedingt eine Indikation dar“, betont der Experte.

Was es ganz grundsätzlich noch zu beachten gilt: Alte Menschen präsentieren sich oft oligosymptomatisch. „Je älter die Patienten, desto weniger typisch ist das Krankheitsbild“, erklärt Tilg. Eine Divertikulitis äußert sich im Alter daher öfter in Form von unklaren Symptomen wie Schwäche, Müdigkeit und Inappetenz und sollte besonders bei alten Menschen, Patienten mit Grunderkrankungen, nach Organtransplantation oder unter Immunsuppression unbedingt bedacht werden. Darüber hinaus kann es neben der Entzündung der Divertikel auch zu Blutungen kommen – vor allem bei denjenigen, die zusätzlich kardiovaskuläre Erkrankungen haben und Antikoagulantien erhalten. In diesem Fall ist eine stationäre Aufnahme meist unumgänglich mit einer Unterbrechung der Blutverdünnung oder dem temporären Wechsel auf alternative Präparate.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2019