Diabetes-Leitlinie: Geänderte Therapie-Regimes

25.10.2019 | Medizin


In der überarbeiteten und erweiterten Fassung der Diabetes-Leitlinie geht die Empfehlung bei der medikamentösen Therapie zunehmend weg vom Insulin und den Sulfonylharnstoffen hin zu GLP1-Analoga und SGLT2-Inhibitoren.

Laura Scherber

Das Herzstück der neuen Leitlinie ist die Therapie des Typ 2-Diabetes, da es den Großteil der Patienten mit über 90 Prozent betrifft“, erklärt Univ. Prof. Alexandra Kautzky-Willer von der Universitätsklinik für Innere Medizin III an der MedUni Wien. Die Überarbeitungen hinsichtlich des Typ 1-Diabetes beziehen sich vorwiegend auf technische Neuerungen wie die kontinuierliche Glukosemessung und die Entwicklung in Richtung eines künstlichen Pankreas mit Pumpen und Glukosesensoren.

Kommunikation im Vordergrund

Bei der antihyperglykämischen Therapie des Typ 2-Diabetes hat sich der Expertin zufolge eine Art Paradigmenwechsel vollzogen – sowohl in den österreichischen als auch in den internationalen Leitlinien der US-amerikanischen und europäischen Diabetesgesellschaft. Während die österreichischen Leitlinien schon seit geraumer Zeit zu einer individualisierten, personalisierten Diabetestherapie tendieren, rückt die ständige Kommunikation zwischen betreuendem Arzt und Patienten nun noch stärker in den Vordergrund. Zu berücksichtigen ist „das gesamte Umfeld des Patienten, die psychische und soziale Situation, Risiken und Komorbiditäten sowie die Vereinbarung von realistischen Zielen mit dem Patienten und wie viel er bereit ist, selbst beizutragen“, so Kautzky-Willer. Eine entsprechende Evaluation des Therapieerfolgs nach drei bis sechs Monaten und die Anpassung der Ziele zusammen mit dem Patienten ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie.

Die Basistherapie des Typ 2-Diabetes umfasst die Lebensstilmodifikationen wie die Ernährungsänderung und Gewichtsreduktion, die Steigerung von Bewegung und das Reduzieren von Sitzzeiten. Wie bereits in den vorherigen Leitlinien werden 150 Minuten Bewegung pro Woche in Form von Ausdauer- und Krafttraining empfohlen. Im Rahmen der Ernährungstherapie stehen die mediterrane und die nordische Diät im Vordergrund. Die Leitlinien sind laut der Expertin hinsichtlich der Ernährung stark überarbeitet worden: „Neu hinzugekommen ist, dass wir nun auch die Trends in den Ernährungsformen, die Low-Carb-, Low-Fat-Diäten beziehungsweise die ketogenen Diäten ausführlicher abhandeln und anhand großer Studien zeigen, dass man mit einer zumindest vorübergehenden Very-Low-Calorie-Diet bei adipösen Typ 2-Diabetikern eine deutliche Verbesserung des Stoffwechsels, teilweise sogar eine Remission des Diabetes erzielen und diese Erfolge mit einer Low-Calorie-Diet noch weiterführen kann“. Weitere Lebensstilmodifikationen zum Thema Rauchen und Alkohol sind neu hinzugekommen, da insbesondere Rauchen das Diabetesrisiko erhöht und gerade in Österreich eine hohe Anzahl von Rauchern unter den Diabetikern zu verzeichnen ist.

Die größten Änderungen haben sich Kautzky-Willer zufolge aber anhand der Fülle an neuen Studienergebnissen bei der medikamentösen Behandlung des Typ 2-Diabetes ergeben. Während Metformin bei fehlenden Kontraindikationen weiterhin First-Line-Therapie bleibt, haben die GLP1-Analoga oder die SGLT2-Inhibitoren bei Vorliegen von kardiovaskulären Erkrankungen oder der chronischen Niereninsuffizienz in Studien einen klaren Vorteil zusätzlich zur reinen Blutzuckersenkung gezeigt. Die ganz neuen kardiologischen Empfehlungen gehen noch einen Schritt weiter und setzen Metformin sogar zurück.

Bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz mit oder ohne vorhandene Gefäßproblematik sind „unbedingt“ (Kautzky-Willer) SGLT2-Inhibitoren einzusetzen, da sie zur deutlichen Reduktion von Hospitalisierungen bei Herzinsuffizienz beitragen. Auf die Gabe von Glitazonen (Pioglitazon) ist hingegen zu verzichten, da es zu einer Verschlechterung kommen kann. Auch wenn kardiovaskuläre oder renale Probleme nicht gegeben sind, ist ein weiteres wichtiges Ziel, Hypoglykämien zu vermeiden, wobei auch in diesem Sinn GLP1-Analoga und SGLT2-Inhibitoren empfohlen werden. Ähnlich verhält es sich, wenn eine Gewichtsreduktion erreicht oder eine Gewichtszunahme vermieden werden soll, da GLP1-Analoga und SGLT2-Inhibitoren zu einer Gewichtsreduktion führen. Werden die Therapieziele mit der oralen Medikation nicht erreicht, sind GLP-1-Analoga der Insulintherapie vorzuziehen. Beim Gestationsdiabetes verhält es sich laut der Expertin nun gegensätzlich: Insulin bleibt Erstlinientherapie und Metformin soll nur zusätzlich bei massiver Insulinresistenz gegeben werden, da Metformin mit höherem Übergewicht und höherer Fettmasse beim Kind assoziiert sein kann. Der Glukosetoleranztest kann künftig bereits vier Wochen nach der Entbindung durchgeführt werden.

Zwischenzeitlich sind seit der Veröffentlichung der Leitlinie im Rahmen der Jahrestagung der US-amerikanischen Diabetesgesellschaft (ADA) weitere Studien präsentiert worden, die wichtige Ergebnisse für die medikamentöse Therapie hervorgebracht haben.

Dazu gehören die REWIND-Studie, in der Daten für die kardiovaskuläre Sicherheit des GLP-1-Rezeptor-Agonisten Dulaglutid vorliegen; die CAROLINA-Studie, in der vergleichbar gute, kardiovaskuläre Ergebnisse für den Sulfonylharnstoff Glimepirid und den DPP-4-Hemmer Linagliptin gefunden wurden; ferner die PIONEER-6-Studie, in der die orale Gabe des GLP-1-Rezeptor-Agonisten Semaglutid zu einer Verminderung der Gesamtsterblichkeit und der kardiovaskulären Sterblichkeit geführt hat und die CREDENCE-Studie, in der Canaglifozin die Verschlechterung der Nierenfunktion aufhalten konnte. „Wir haben wirklich Substanzen, die zusätzlich zur Blutzuckersenkung einfach einen kardiovaskulären und renalen Benefit zeigen. Allerdings wird eine Kombination von SGLT2-Hemmern und GLP-1-Analoga bisher leider von den Krankenkassen noch nicht erstattet“, bedauert Kautzky-Willer.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2019