CED bei Kindern und Jugendlichen: Aggressiverer Verlauf

25.03.2019 | Medizin


Chronisch entzündliche Darmerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind gekennzeichnet durch einen aggressiveren Verlauf als bei Erwachsenen. Bei der Zahl der Erkrankungen liegt Österreich im oberen Segment der Industriestaaten, wobei zwei Drittel aller Neudiagnosen auf M. Crohn entfallen. Hier kann mit einer rund sechswöchigen Ernährungstherapie eine Remission erzielt werden.

Laura Scherber

Seit rund 15 Jahren wird in den Industrienationen ein kontinuierlicher Anstieg der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen registriert. „Mit einer durchschnittlichen Inzidenz von zwölf pro 100.000 liegt Österreich im oberen Segment der Industrienationen“, weiß Univ. Prof. Almuthe Hauer von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz. Im Gegensatz zu Erwachsenen entfallen zwei Drittel der Neudiagnosen dabei auf den Morbus Crohn und ein Drittel auf die Colitis ulcerosa inklusive der nicht klassifizierbaren Colitis. „In 25 Prozent der Fälle präsentieren sich chronisch entzündliche Darmerkrankungen vor dem 20. Lebensjahr. Davon treten unter zehn Prozent erstmalig vor dem zehnten Lebensjahr auf“, erklärt Assoz. Prof. Judith Pichler von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien.

Seltene Formen von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen manifestieren sich schon früh kurz nach der Geburt oder in den ersten Lebensjahren. Den Aussagen von Pichler zufolge verlaufen chronisch entzündliche Darmerkrankungen bei 25 Prozent der Kinder im Vergleich zu Erwachsenen aggressiver und erfordern eine höhere Immunsuppression. Der Altersgipfel liegt häufig um die Pubertät und zwar zwischen dem 11. und 16. Lebensjahr. Wesentliche Risikofaktoren für die Entstehung von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen stellen neben der genetischen Prädisposition und dem westlichen Lebensstil auch Umwelteinflüsse in den frühen Lebensjahren dar. Dazu werden eine Geburt mittels Kaiserschnitt, frühes Abstillen und wiederholte antibiotische Therapien als Risiko vermutet. Eine große Rolle spielt gleichzeitig laut Pichler die Darmflora: „Man weiß, dass bei allen chronisch entzündlichen Darmerkrankungen eine Dysbiose vorliegt, sowohl qualitativ als auch quantitativ.“ Folge sind eine verminderte Diversität von Bakterien. Durch die Erkrankung kommt es zu einer überschießenden Reaktion der Immunantwort und zur chronischen Entzündung der intestinalen Schleimhaut.

Diagnose heute rascher

Die diagnostische Latenzzeit habe sich in den letzten zehn Jahren deutlich verbessert, so Hauer. Die Daten des Registers für Kinder und Jugendliche mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung zeigen, dass es 2005 noch vorgekommen ist, dass ein M. Crohn erst nach rund fünf Jahren diagnostiziert wurde. „Grund dafür sind die häufig unspezifischen Leitsymptome des Morbus Crohn mit gelegentlichen Bauchschmerzen, schlechter Stimmung, Appetitlosigkeit, fehlender Gewichtszunahme und fehlendem Wachstum“, erklärt Hauer. Heute beträgt die diagnostische Latenzzeit beim Morbus Crohn im Durchschnitt nicht mehr als vier Monate. Bei Colitis ulcerosa sind es nur sechs Wochen, da blutiger Durchfall bei Kindern und Jugendlichen „ein Alarmsymptom darstellt“, so die Expertin. „Gerade bei kleinen Kindern kann ein Morbus Crohn häufig erst verzögert diagnostiziert werden, da es für sie schwieriger ist, die Symptome zu verbalisieren“, hebt Pichler hervor. Deshalb sei bei kleinen Kindern speziell bei fehlender Gewichtszunahme, Wachstumsschwierigkeiten und verzögerter Pubertät besondere Aufmerksamkeit geboten. Erschwerend kommt hinzu, dass extraintestinale Manifestationen wie etwa Arthritis oder spezielle Hautausschläge bereits Wochen bis Jahre vor den abdominellen Beschwerden auftreten.

Diagnostisch ist nach den Porto-Kriterien der European Society for Paediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition vorzugehen. Diese umfassen laut Pichler im ersten Schritt differenzierte Stuhl- und Blutuntersuchungen; wie etwa Blutbild inklusive Differentialblutbild, Blutsenkungsgeschwindigkeit, CRP, Eisenstatus, Eiweißelektrophorese, Elektrolyte, Leber- und Nierenwerte, Amylase, Lipase; im Rahmen der Stuhluntersuchung sollten mehrmals Proben auf Bakterien, Viren, Parasiten sowie fäkale Marker wie Calprotectin und Lactoferrin, die Hinweise auf chronisch entzündliche Darmerkrankungen geben, getestet werden. „Verstärkt sich der Verdacht, sollten die Kinder so früh wie möglich an eine Spezialklinik überwiesen werden, damit weitere Schritte wie eine Gastroskopie und Koloskopie eingeleitet werden“, betont Pichler.

Eine vollständige Endoskopie des oberen und unteren Gastrointestinaltrakts – unter Vollnarkose – ist indiziert, also eine Gastroskopie bis ins Duodenum und eine Ileokoloskopie mit Entnahme von entsprechend vielen Gewebeproben. „Die Risiken einer Endoskopie sind gerade bei besonders kleinen Kindern zu bedenken und erfordern eine fachlich und technisch einwandfreie Durchführung“, betont Hauer. Weitere wichtige Untersuchungen sind die Magnetresonanz-Enterographie und die Hydro-Magnetresonanztomographie für die genaue Lokalisation des Befalls und der Detektion von potentiell vorhandenen Fisteln oder Stenosen. An der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Graz ist am initialen diagnostischen Work-up auch immer ein klinischer Psychotherapeut beteiligt; neben einem Erstgespräch wird auch eine weiterführende Betreuung angeboten.

Spezialnahrung bei M. Crohn

Seit dem Ende der 1990er Jahre ist aus der klinischen Forschung bekannt, dass bei Kindern, die an Morbus Crohn leiden, eine vergleichbare Remission durch eine sechs- bis achtwöchige Therapie mit Spezialnahrung zu erreichen ist. „Die Ernährungstherapie stellt ein Unikat für die Kinder- und Jugendheilkunde insofern dar, als die Ergebnisse in Studien mit Erwachsenen keine so guten Ergebnisse liefern“, weiß Hauer. Das führt man auf eine größere Adhärenz bei Kindern und Jugendlichen bei der Ernährungstherapie zurück, die wohl für berufstätige Erwachsene im Alltag schwieriger umzusetzen zu sein scheint.

Bei der Spezialnahrung handelt sich um meist polymere Nahrungen, oft in Päckchengrößen von 200 Millilitern, die eine gut aufgeschlüsselte Nahrung mit hochwertigem Eiweiß beinhalten; darüber hinaus ist sie Laktose-frei und mit 1,5 Kilokalorien pro Milliliter hyperkalorisch. Neben der Spezialnahrung sind nur Kräutertees, Wasser und zuckerfreier Kaugummi erlaubt. Da Kinder und Jugendliche mit Morbus Crohn häufig untergewichtig sind, funktioniert die Ernährungstherapie am besten, wenn „etwa 30 Prozent mehr Kilokalorien zugeführt werden als es für die jeweiligen Patienten sonst üblich wäre“, berichtet Hauer aus der Praxis. Da sich diese Spezialnahrung durch eine hohe Verträglichkeit auszeichnet und sich die gastrointestinalen Symptome rasch bessern, ist die Adhärenz zunächst meist gut. Wirksam ist die Therapieform allerdings nur, wenn sie mindestens sechs Wochen eingehalten wird. „Anstelle der Ernährungstherapie ist auch die Behandlung mit Cortison möglich. Allerdings besteht hier das Problem der Nebenwirkungen wie etwa Gewichtszunahme oder Akne“, betont Hauer. Eben mit diesem „kosmetischen Argument“ (Hauer) könne man die Jugendlichen für die Ernährungstherapie gewinnen. Wenn diese gut funktioniert, wird nach ein bis zwei Wochen ein Immunmodulator dazu verordnet. In der Regel handelt es sich dabei um Azathioprin, das gut verträglich ist und häufig als einzige Medikation ausreicht. Alternative Präparate sind 6-Mercaptopurin und Methotrexat. Bei schweren Fällen – wenn die Kinder bei Erstvorstellung massiv untergewichtig sind oder bei intestinalen Fisteln – kommen Biologika bereits initial zum Einsatz, sonst meist erst bei therapierefraktären Verläufen. Dass bei Kindern bislang nur Tumornekrosefaktor-alpha-Blocker zugelassen sind, bedauert Pichler: „Deswegen müssen wir bei schweren chronisch entzündlichen Darmerkrankungen auf off label-Medikamente aus der Erwachsenentherapie zurückgreifen“. Infliximab und Adalimumab sind die einzigen Präparate, die für die Behandlung von Kindern zugelassen sind. Hauer weiter: „Biologika sind die effizientesten Therapieoptionen, die derzeit zur Verfügung stehen und werden mit dem Ziel einer schnellen Schleimhautheilung immer mehr verschrieben.“ Grundsätzlich gilt: Kann mit den sonstigen therapeutischen Optionen bei einem Kind nicht innerhalb von zwölf Wochen eine Remission erzielt werden, „sollte man über den Einsatz von Biologika nachdenken, die zum Beispiel bei einem perianalen Befall von Anfang an verwendet werden“, betont Hauer. In Graz werden derzeit rund 30 bis 40 Prozent der betroffenen Kinder mit Biologika behandelt.

Die Therapie der Colitis ulcerosa umfasst die lokale und orale Gabe von 5-ASA-Präparaten, zusätzliche Steroide sowie in schwereren Fällen Immunmodulatoren wie beispielsweise Azathioprin, Sandimmun oder Biologika. „Im Gegensatz zu den Erwachsenen befällt die Colitis ulcerosa bei Kindern und Jugendlichen meist das gesamte Colon. Deswegen ist die Entzündung mit einem Einlauf allein in der Regel nicht zu behandeln und immer auch eine orale Medikation indiziert“, unterstreicht Hauer. Milde Formen der Colitis ulcerosa könnten laut der Expertin speziell bei Jugendlichen häufig allein mit Probiotika als Dauertherapie erfolgreich behandelt werden.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2019