Augen­ärzt­li­che Not­fälle: Visus­ver­lust abklären

10.10.2019 | Medizin


Neben offen­sicht­li­chen Ver­let­zun­gen und Ver­ät­zun­gen des Auges sollte vor allem bei Sym­pto­men wie einem gerö­te­ten Auge, star­ken Schmer­zen und einem aku­ten Visus­ver­lust eine oph­thal­mo­lo­gi­sche Abklä­rung ein­ge­lei­tet wer­den. Gerade bei einem Arte­ri­en­ver­schluss ist die Zeit für eine erfolg­rei­che Inter­ven­tion limi­tiert. 

Laura Scher­ber

Aku­ter Visus­ver­lust, starke Schmer­zen, Bewe­gungs­stö­run­gen (neu­ro­lo­gi­sche Sym­pto­ma­tik) sowie Ver­let­zun­gen und Ver­ät­zun­gen – so teilt Univ. Prof. Andreas Wed­rich von der Uni­ver­si­täts-Augen­kli­nik Graz nach der Sym­pto­ma­tik vier Grup­pen von augen­ärzt­li­chen Not­fäl­len ein. Univ. Prof. Mat­thias Bolz von der Uni­ver­si­täts­kli­nik für Augen­heil­kunde und Opto­me­trie Linz hin­ge­gen nennt hier den Glau­kom­an­fall, den Arte­ri­en­ver­schluss und die Abla­tio. Neben dem Pupil­len­re­flex geben vor allem Infor­ma­tio­nen im Rah­men der Erst­ana­mnese Hin­weise auf ein­zelne Dif­fe­ren­ti­al­dia­gno­sen. „Es ist wich­tig, den Unfall­her­gang zu erfra­gen, wel­che Beschwer­den oder wel­che Art der Seh­stö­rung vor­liegt, mit wel­cher Dyna­mik sich die Sym­ptome ent­wi­ckelt haben und wel­che Beschwer­den im Vor­feld auf­ge­tre­ten sind“, erklärt Wed­rich. Liegt ein Visus­ver­lust vor, sollte eine genaue Loka­li­sie­rung erfol­gen, inwie­fern das Seh­ver­mö­gen das gesamte Gesichts­feld betrifft oder nur in der Mitte stark her­ab­ge­setzt ist.

Aku­ter Visusverlust

Einem aku­ten Visus­ver­lust kön­nen viele Ursa­chen zugrunde lie­gen, wobei ent­schei­dend ist, wel­che Begleit­sym­ptome auf­tre­ten. Für den häu­fig schmerz­los ver­lau­fen­den Visus­ver­lust kön­nen Erkran­kun­gen im Bereich der Makula ursäch­lich sein, die sich in Form von Flüs­sig­keits­an­samm­lun­gen oder Blu­tun­gen mani­fes­tie­ren, so Wed­rich. Wei­tere Ursa­chen sind Gefäß­ver­schlüsse der Netz­haut, die eine schnelle, bis zur Erblin­dung füh­rende Seh­ver­schlech­te­rung oder Gesichts­feld­aus­fälle bewir­ken, sowie Beein­träch­ti­gun­gen des Seh­nervs wie Seh­ner­ven­ent­zün­dun­gen oder Durch­blu­tungs­stö­run­gen des Seh­ner­ven­kop­fes. Im Rah­men von Gefäß­er­kran­kun­gen, Dia­be­tes mel­li­tus oder reti­na­len Venen­throm­bo­sen kann es zur Neu­bil­dung von Blut­ge­fä­ßen kom­men, die zu einer Glas­kör­per­blu­tung füh­ren kön­nen. Dabei neh­men Pati­en­ten viele kleine Punkte bis hin zu deut­li­chen Seh­be­ein­träch­ti­gun­gen („Nebel“) wahr.

Arte­ri­itis tem­po­ra­lis abklären

Gerade bei älte­ren Men­schen ist beim Auf­tre­ten eines Visus­ver­lus­tes laut Wed­rich die Abklä­rung einer Arte­ri­itis tem­po­ra­lis indi­ziert. Diese Auto­im­mun­erkran­kung äußert sich häu­fig mit Gelenks­be­schwer­den, Schmer­zen beim Kau­vor­gang sowie Müdig­keit. Außer­dem kann damit ein plötz­li­cher Visus­ver­lust ein­her­ge­hen, wobei es inner­halb von Stun­den oder Tagen nicht sel­ten auch zu einer Erblin­dung des zwei­ten Auges kommt. Ein wei­te­rer Hin­weis ist eine erhöhte Blut­sen­kung in der ers­ten Stunde des Seh­ver­lusts. Bei Ver­dacht auf die Arte­ri­itis tem­po­ra­lis ist eine hoch­do­sierte Cor­ti­son­the­ra­pie über län­gere Zeit indi­ziert, damit eine Erblin­dung des ande­ren Auges ver­hin­dert wird, warnt der Experte.

Liegt ein reti­na­ler Arte­ri­en­ver­schluss vor, sollte der Pati­ent an ein Kran­ken­haus über­wie­sen wer­den: Hier ent­schei­det laut Bolz ein Fens­ter von vier Stun­den über den Erfolg der The­ra­pie. Die häu­figs­ten Ursa­chen sind Vor­hof­flim­mern, arte­rio­skl­ero­ti­sche Plaques oder Throm­ben, die sich aus der Caro­tis los­lö­sen. „Da es sich um ein End­strom­ge­biet han­delt, haben die Arte­rien bei Ver­schluss eines Gefä­ßes keine Kom­pen­sa­ti­ons­mög­lich­kei­ten durch andere zufüh­rende Arte­rien, sodass ein gan­zes Areal der Netz­haut nicht mehr ver­sorgt wird“, betont der Experte. Je nach­dem, ob eine ganze Arte­rie oder nur Teile des Gefäß­baums in der Netz­haut betrof­fen sind, kommt es zu einem voll­stän­di­gen oder par­ti­el­len Gesichts­feld­aus­fall. Bei einem Arte­ri­en­ver­schluss wird im ers­ten Schritt ver­sucht, den Augen­in­nen­druck akut zu sen­ken. Damit wird der Wider­stand im Auge redu­ziert und das Gefäß kann sich wie­der aus­deh­nen; in der Folge wer­den Plaques in die Peri­phe­rie geschwemmt und das unter­ver­sorgte Gebiet wird ver­klei­nert, wie Bolz erklärt. Inner­halb der ers­ten vier Stun­den kann eine Lys­e­the­ra­pie ein­ge­lei­tet wer­den. Nach vier Stun­den sind die Seh­ver­luste irrever­si­bel und kön­nen in schwe­ren Fäl­len in einer kom­plet­ten Erblin­dung des Auges resul­tie­ren. „Im Gegen­satz zu Arte­ri­en­ver­schlüs­sen wer­den reti­nale Venen­ver­schlüsse in der Augen­heil­kunde nicht als Not­fall gese­hen, da nur der Ein­satz von Anti-VEGF-Prä­pa­ra­ten zur Reduk­tion der auf­tre­ten­den Schwel­lung indi­ziert ist“, so Bolz.

Zu einer Netz­haut­ab­lö­sung kann es kom­men, wenn der Glas­kör­per ein klei­nes Loch in die Netz­haut reißt und Flüs­sig­keit unter die Netz­haut ein­dringt, wie Bolz erklärt. „Der Pati­ent merkt einen Schat­ten oder Blu­tun­gen, nimmt eine Art Ruß­re­gen wahr, also schwarze Punkte, die sich bewe­gen“, beschreibt der Experte. Und wei­ter: „Wenn sich die Netz­haut kom­plett ablöst, merkt er auch eine Seh­ver­schlech­te­rung.“ Bei einer Abla­tio ist eine mini­mal­in­va­sive Ope­ra­tion – die Vit­rek­to­mie – indi­ziert, bei der der Glas­kör­per ent­fernt wird. Post­ope­ra­tiv sollte laut Bolz neben einer gene­rel­len Scho­nung berück­sich­tigt wer­den, dass der Pati­ent für etwa drei bis vier Wochen weder Schwimm­bad, Dampf­bad noch Sauna auf­sucht, um Infek­tio­nen zu ver­mei­den. Da bei der Vit­rek­to­mie als Tam­po­nade häu­fig ein Luft- oder Gas­ge­misch ver­wen­det wird, sollte der Pati­ent post­ope­ra­tiv auch nicht flie­gen oder berg­stei­gen, da es sonst zu einer Druck­stei­ge­rung kommt. Wenn sich nach einer Vit­rek­to­mie Nar­ben ent­wi­ckeln, könne sich die Netz­heut even­tu­ell erneut ablö­sen und eine wei­tere Ope­ra­tion not­wen­dig machen, führt Bolz aus.

Tre­ten nach Ope­ra­tio­nen am Auge wäh­rend der post­ope­ra­ti­ven Betreu­ung in den ers­ten zehn Tagen – vor allem nach einer Kata­rak­t­ope­ra­tion – Schmer­zen und Seh­ver­schlech­te­run­gen auf, ist der Pati­ent an eine Kli­nik zu über­wei­sen, um eine Endo­ph­thal­mi­tis aus­zu­schlie­ßen, so Wed­rich. Ein mit der Taschen­lampe sicht­ba­rer, gelb­li­cher Strich – also eine Eiter­an­samm­lung in der vor­de­ren Augen­kam­mer – ist ein Hin­weis für eine fort­ge­schrit­tene Endo­ph­thal­mi­tis. Starke Schmer­zen kön­nen prin­zi­pi­ell durch ober­fläch­li­che Ver­let­zun­gen der Horn­haut her­vor­ge­ru­fen wer­den. Beinhal­tet die Sym­pto­ma­tik aber ein rotes, schmerz­haf­tes Auge mit Schmer­zen um das Auge herum und halb­sei­ti­gen Kopf­schmer­zen, kön­nen eine Iri­do­zy­kli­tis oder ein Glau­kom­an­fall vor­lie­gen. Wäh­rend die Pupille bei der Iri­do­zy­kli­tis eher ver­engt ist, ist sie beim Glau­kom­an­fall auf­grund des hohen Augen­in­nen­drucks mit­tel­weit bis weit. Oft wird der Glau­kom­an­fall aller­dings mit einer ein­fa­chen Bin­de­haut­ent­zün­dung ver­wech­selt. „Beim Glau­kom­an­fall kommt es zu einem aku­ten Anstieg des intraoku­la­ren Drucks, am häu­figs­ten durch einen soge­nann­ten Win­kel­block. Das heißt, dass die Iris den Abfluss des Kam­mer­was­sers im Kam­mer­win­kel ver­hin­dert oder redu­ziert“, erklärt Bolz. Wäh­rend der Augen­in­nen­druck im Nor­mal­fall zwi­schen zehn und 20 mmHg beträgt, erreicht er bei einem Glau­kom­an­fall meist zwi­schen 30 und 50 mmHg, nicht sel­ten ver­bun­den mit einer Seh­ver­schlech­te­rung. Ursa­chen sind vor allem ana­to­mi­sche Beson­der­hei­ten wie die Weit­sich­tig­keit oder Infek­tio­nen. Die The­ra­pie umfasst die medi­ka­men­töse Sen­kung des Augen­in­nen­drucks. Bei einem weit­sich­ti­gen und damit sehr kur­zen Auge kann in wei­te­rer Folge eine anschlie­ßende Kata­rak­t­ope­ra­tion indi­ziert sein, um in der Vor­der­kam­mer durch eine dünne Kunst­linse mehr Platz für den Abfluss des Kam­mer­was­sers zu schaf­fen. Laut Bolz kann in man­chen Fäl­len der Abfluss des Kam­mer­was­sers auch durch die Iri­do­to­mie mit einem Laser ver­bes­sert wer­den. Da Rezi­dive nicht sel­ten sind, soll­ten nach einem Glau­kom­an­fall regel­mä­ßige Augen­druck­kon­trol­len beim nie­der­ge­las­se­nen Augen­arzt durch­ge­führt wer­den. In man­chen Fäl­len sollte eine druck­sen­kende Dau­er­the­ra­pie ange­dacht wer­den, so Bolz.

Hirn­ner­ven­be­ein­träch­ti­gung abklären

Wed­rich zufolge wird die akut auf­tre­tende Läh­mung oder Schwä­chung eines Mus­kels als Zei­chen einer Hirn­ner­ven­be­ein­träch­ti­gung inter­pre­tiert und bedarf einer zeit­na­hen oph­thal­mo­lo­gi­schen und neu­ro­lo­gi­schen Abklä­rung. Nicht sel­ten sind akut auf­tre­tende Bewe­gungs­stö­run­gen auch mit Dop­pel­bil­dern ver­ge­sell­schaf­tet. Bewe­gungs­stö­run­gen kön­nen viele ver­schie­dene Ursa­chen haben, von Blu­tun­gen oder Ent­zün­dun­gen im Zen­tral­ner­ven­sys­tem, Hirn­druck­stei­ge­run­gen bis hin zu Schlag­an­fäl­len, so der Experte.

Bei den Ver­let­zun­gen sind laut Wed­rich geschlos­sene und offene Bul­bus­ver­let­zun­gen zu unter­schei­den. Lie­gen Häma­tome als Folge einer stump­fen Ver­let­zung vor, soll­ten eine Seh­ner­ven­kom­pres­sion und eine Orbi­ta­bo­den­frak­tur durch bild­ge­bende Ver­fah­ren aus­ge­schlos­sen wer­den. Bei Ver­let­zun­gen, bei denen ein Fremd­kör­per im Auge steckt, sollte die­ser nicht her­aus­ge­zo­gen wer­den, bevor eine ent­spre­chende Bild­ge­bung durch­ge­führt wurde. Ver­ät­zun­gen wie­derum ent­ste­hen durch das Ein­drin­gen von Flüs­sig­kei­ten oder fes­ten Bestand­tei­len, häu­fig durch Säu­ren, Lau­gen oder Kalk. Wäh­rend Säu­ren eher auf der Ober­flä­che ver­blei­ben und eine Koagu­la­ti­ons­ne­krose her­vor­ru­fen, füh­ren Lau­gen zu einer Kol­li­qua­ti­ons­ne­krose, so Wed­rich. In leich­ten Fäl­len reicht als Erst­maß­nahme das Spü­len über zehn bis 15 Minu­ten aus. „Eine abso­lute Kon­tra­in­di­ka­tion ist die Ver­wen­dung von adr­en­er­gen Trop­fen, soge­nann­ten ‚Weiß­ma­cher-Trop­fen‘, die frü­her gerne ein­ge­setzt wur­den, um die Gefäße zusam­men­zu­zie­hen und die rote Fär­bung des Auges zu ver­min­dern“, hebt Wed­rich her­vor. Bei Ver­ät­zun­gen ver­schlech­tert sich dadurch der Schwe­re­grad erheblich. 

© Öster­rei­chi­sche Ärz­te­zei­tung Nr. 19 /​10.10.2019