Arzt-Patienten-Kommunikation: Gesprächen Struktur geben

10.11.2019 | Medizin


Patientengespräche können fordernd sein – vor allem, wenn das Zeitkorsett eng ist. Kommunikation ist aber ein Handwerk, das man lernen kann. Was es in jedem Fall zu verinnerlichen gilt: Wer die Perspektive des Gegenübers versteht, profitiert gleich mehrfach.

Nora Schmitt-Sausen

Die Kommunikation in der Praxis ist ähnlich elementar wie das Behandeln als solches. Denn: Gute Kommunikation sorgt für eine positive Atmosphäre, schafft Vertrauen, macht zufrieden und hilft, erfolgreich zu arbeiten. Doch die Realität ist: Für viele Ärzte und auch Ordinations-Angestellte ist die Kommunikation mit den Patienten eine permanente Herausforderung, die im Lauf der Berufsjahre nicht einfacher wird. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn der Rahmen der ärztlichen Tätigkeit hat sich in den vergangenen Jahren verändert.

Der große Zeitdruck im Arbeitsalltag; die steigende Anspruchshaltung von Patienten; sprachliche oder kulturelle Barrieren, die zu überwinden sind; fehlende Anerkennung für die Arbeitsleistung. All dies kann auf die Kommunikation einwirken – und damit dem Praxisalltag einen Stempel aufdrücken. Das ärztliche Arbeitsumfeld ist kein leichtes Umfeld, damit ein gelungener Austausch möglich ist.

Dazu kommt: Oft fehlt Ärzten das kommunikative Handwerkszeug, um Gespräche zufriedenstellend zu führen. „Ich mache Patienten-Gespräche immer viel zu detailliert.“ „Der Patient versteht nicht so viel, wie ich denke.“ „Man verzettelt sich manchmal, weil man es zu gut meint.“ „Ich will klar sein, ohne zu enttäuschen.“ „Mir fehlen oft die Worte.“ „Manchmal ist nicht genug Zeit für Gespräche.“ „Ich kann schlecht nein sagen.“ „Mir fehlt irgendwann die Geduld, darüber bin ich mir selbst dann böse.“ Sätze wie diese fallen häufig, wenn es um die Herausforderung  Patientengespräche geht, weiß die Münchner Kommunikationsexpertin Yasmine Bouali-Freybe, die auf das Coaching von Ärzten und Ordinations-Mitarbeitern spezialisiert ist. Doch es gibt Auswege – mehr als einen.

Den roten Faden nicht verlieren

Sein Gesprächsziel im Vorfeld genau zu kennen und einer Unterhaltung Struktur zu geben, ist schon die halbe Miete, raten Kommunikationsexperten. „Es ist wichtig, in Gesprächen den roten Faden zu halten und zu wissen, was man erreichen will“, sagt Bouali-Freybe. Dies gilt auch – oder ganz besonders – für Situationen, in denen das schwierig erscheint. Etwa wenn ein Patient bei einem Routine-Kontrolltermin anfängt, von anderen Beschwerden zu berichten und damit den Termin in eine nicht kalkulierte Länge zieht.

Der Rat der Trainerin: Der Arzt muss sich in seiner Gesprächsführung stets an den Grund halten, weswegen der Patient eigentlich gekommen ist – auch wenn es schwerfällt, nicht auf die weiteren Wünsche und den Gesprächsbedarf des Patienten einzugehen. „Um das eigene Zeitmanagement einhalten zu können, ist es hilfreich, für die anderen Themen einen weiteren Termin zu vereinbaren.“ Dies möge dem ein oder anderen nicht effizient erscheinen, doch nur so könne mittel- und langfristig eine zufriedenstellende Patientenbindung entstehen – und auch der ärztliche Frust über ausufernde Gespräche vermieden werden.

Klare Haltung zeigen

Eine klare Haltung spielt in der Kommunikation in der Praxis eine zentrale Rolle. Dazu zählt auch, ein Mittel zu wählen, das eigentlich recht einfach ist: Ehrlichkeit. Etwa dann, wenn in der vollen Praxis ungeduldige Patienten auf ihre Behandlung pochen und die Stimmung angespannt ist. „Sagen Sie, was los ist“, sagt Bouali-Freybe. „Erklären Sie, warum es zu der langen Wartezeit gekommen ist. Etwa weil es einen Notfall gab, oder weil derzeit Grippewelle ist. So erreichen Sie Verständnis auf Patientenseite.“

Bouali-Freybe geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie sagt: Eine Entschuldigung kann manchmal Wunder wirken. „Bei angemessenen Beschwerden über Probleme im Ordinationsablauf ist es immer eine gute Option, sich zu entschuldigen.“ Es lohne sich, hier eine klare Haltung zu zeigen und sich transparent zu geben. Der Patient fühle sich so wahr- und ernstgenommen.

Sich höflich, aber deutlich zu positionieren, hilft auch, wenn es darum geht, redseligen Patienten Einhalt zu gebieten. Dies ist entgegen der weit verbreiteten Meinung, nicht unhöflich, sondern in Ordnung – und oft sogar schlicht notwendig, um nicht völlig aus dem Tritt zu kommen. Gut zu kommunizieren heißt also durchaus, das Gegenüber zu unterbrechen – freundlich, aber bestimmt. Gelingen kann dies etwa so: „Frau Weber, ich habe weitere Patienten, denen ich die gleiche Zeit widmen möchte wie Ihnen. Deshalb möchte ich jetzt zum Ende kommen.“

Wertschätzung und Verständnis

Das ist ein weiterer wichtiger Punkt, um eine gute Qualität von Patientengesprächen zu erreichen. Denn: Wertschätzendes Auftreten, empathisches Verständnis für die Situation des Gegenübers kommt am Ende allen zu Gute – nicht nur den Patienten. „Wie erreiche ich es, den Patienten abzuholen?“ sollte deshalb eine Art Leitfrage im ärztlichen Alltag sein, raten Kommunikations-Experten übereinstimmend. Im ureigensten Sinn.

Denn: Wer in den Gesprächen mit Patienten Verständnis und Empathie zeigt, kann viele Herausforderungen im Miteinander besser meistern. Schlicht und ergreifend deshalb, weil das individuelle Eingehen auf Patienten, das Anerkennen seiner aktuellen Situation und seine Sorgen ernst nehmen für Vertrauen sorgt und Bindung schafft. Fehler und Ineffizienzen zu kommunizieren, auch einmal ‚Nein‘ zu sagen und Wünsche abzulehnen, fällt in einem solchen Verhältnis dann wesentlich leichter – und wird von den Patienten auch besser akzeptiert.

Wertschätzung hilft auch – selbst wenn es schwerfallen mag – bei denjenigen Patienten, die nach dem Besuch von Dr. Google vor dem Arzt sitzen und sämtliche Therapieschritte vorgeben. „Diese Patienten können viel Zeit kosten und kommen schnell als Besserwisser rüber. Aber es zeigt sich, dass es besser ist, nicht gegen sie anzugehen. Selbst wenn Sie denken, dass da jemand nur mit Halbwissen daherkommt“, sagt Bouali-Freybe. Auch hier gilt: „Bringen Sie dem Patienten Wertschätzung entgegen. Blocken Sie nicht. Erkennen Sie an, dass der Patient Verantwortung für sich selbst übernimmt und geben Sie ihm Teil-Recht, statt ihn zu maßregeln.“ Ein No-Go: sich in Diskussionen verstricken lassen. Dies kostet viel unnötige Zeit und Nerven.

Wie eine solche Anerkennung aussehen könnte? Zum Beispiel so: „Ja, das Bestimmen von Werten ist natürlich wichtig und hilfreich, aber in Ihrem Fall ist es unnötig. Vertrauen Sie mir, es ist alles ok bei Ihnen.“ Verbindlich sein. Kompetenz zeigen. Sicher auftreten. Und wieder: eine klare Haltung haben. All das gibt dem Patienten Orientierung, einordnende Signale – und schafft Vertrauen.

Respektvoll, wertfrei und stets freundlich Dies ist eines der obersten Prinzipien von erfolgreicher Kommunikation – im Leben wie im ärztlichen Alltag. Zeigt ein Patient ein rüdes, unhöfliches Verhalten, ist dies zweifellos eine Herausforderung. In eine Schublade stecken sollte man den Menschen, der da aufgebracht vor einem steht, deshalb aber nicht. Und sich auch nicht auf die gleiche kommunikative Ebene begeben – dies schlägt nur wie ein Bumerang zurück.

Kommunikativ könnte sich eine solch schwierige Situation laut Bouali wie folgt lösen lassen: „Herr Müller, Ihr Ton ist gerade nicht angemessen. Ich weiß, dass es Ihnen nicht gut geht, aber das ist kein Grund, mich anzuschreien.“ Erneut gilt: Sogar bei unangenehmen Patienten ruhig und sachlich zu bleiben, eine klare Linie zu vertreten, spart Zeit und Nerven.

Ein stets ziemlich entwaffnendes Mittel ist: Freundlichkeit. Wer Patienten von Beginn an freundlich und mit einem Lächeln im Gesicht entgegentritt – unabhängig davon, welchen grimmigen Gesichtsausdruck dieser auch immer hat –, kann Nörglern schon früh den Wind aus den Segeln nehmen. Nonverbale Kommunikation in der Arztpraxis spielt mindestens eine genauso wichtige Rolle wie der verbale Austausch.

Klar kommunizieren

Ärzte und Ordinations-Mitarbeiter wundern sich immer wieder, warum Erläuterungen bei Patienten häufig nicht ankommen – etwa im Hinblick auf die empfohlene Einnahme von Medikamenten oder die Erklärungen zu Diagnosen. Die Erklärung ist häufig sehr einfach: weil das, was für Fachkundige normaler Sprachgebrauch ist, den Großteil der Patienten überfordert. Erschwerend kommt hinzu, dass Patienten nicht selten ängstlich oder zumindest angespannt vor einem Arzt sitzen. Die Aufmerksamkeitsspanne geht dann rapide herunter, was sich viele Ärzte und Ordinations-Mitarbeiter zu wenig bewusst machen.

Die Lösung? Einfach nachzufragen, ob die Ausführungen verständlich waren, ist ein guter Ansatz, reicht aber in vielen Fällen nicht aus. Denn: Ein Nicken oder ‚Ja‘ zu sagen mag zwar Zustimmung signalisieren, doch nur weil ein Patient nickt, heißt das nicht, dass er alles verstanden hat. „Ärzte sind für Patienten eine Respektsperson. Und viele Patienten wollen auch gefällig sein, es recht machen“, sagt Bouali. Nachfragen oder widersprechen, das täten längst nicht alle. Ein hilfreicher Weg sei deshalb, das Gesagte vom Patienten wiederholen zu lassen. Wie man kommunikativ dahin gelangt? Etwa so: „Darf ich fragen, wie Sie es verstanden haben?“ Oder: „Darf ich nachhören, ob bei Ihnen alles richtig angekommen ist?“ Diese Technik sei gut geeignet sicherzustellen, „dass auch wirklich angekommen ist, was besprochen wurde“. Es greift hier wieder, was auch an anderer Stelle gilt: Etwas mehr Zeit einräumen an dieser Stelle, spart Zeit an anderer Stelle – etwa den Extrabesuch oder die Nachfrage per Telefon.

Was grundsätzlich zu jedem Patienten-Gespräch dazu gehört: nicht zu viel Information auf einmal liefern. Kurze Sätze machen. Eine einfache Sprache wählen. Klare Aussagen liefern. Nicht zu schnell sprechen. Pausen zwischen den Ausführungen einlegen. Mit Beispielen, Vergleichen und Bildern arbeiten, damit die übermittelten Informationen besser verständlich werden. Dies muss sich das gesamte Ordinations-Team immer wieder bewusst machen.

Regeln aufstellen

Wünsche nach Krankschreibungen, dringliche Bitten nach dem Verschreiben von Medikamenten, Forderungen nach bevorzugter Behandlung, rücksichtsloses Verhalten im Wartezimmer. Es gibt Patienten, die durch ihr Auftreten für Unruhe in der gesamten Praxis sorgen können und die ihre Erwartungshaltungen und Forderungen deutlich artikulieren. Es hilft in solchen Fällen, sich diesen Satz von Bouali ins Gedächtnis zu rufen: „Sie werden einen Patienten, der viel fordert, nicht zufriedenstellen, wenn sie noch mehr geben.“

Klar und bestimmt zu sein, Haltung zu zeigen und – ja – Regeln aufzustellen und daran zu erinnern, dass diese für alle gelten, sei gerade bei fordernden Patienten sehr wichtig. Solche klar formulierten Regeln – etwa ausformuliert als Ordinations-Philosophie und gut sichtbar in der Ordination oder beim Empfangsbereich/Rezeption postiert – können helfen, das Miteinander in Ordinationen zu erleichtern und die Kommunikation zu stützen. Das gilt auch dann, wenn Patienten im Wartezimmer laut und lange telefonieren – oder dort gar stark riechende Speisen verzehren. „Greifen Sie durch. Sagen Sie deutlich, dass Sie das nicht haben wollen“, macht Bouali klar. Denn Freundlichkeit und Verständnis in allen Ehren, aber: „Die Spielregeln in der Praxis bestimmen Sie.“


Tipps für erfolgreiche Patientengespräche

  1. Die Kraft und Bedeutung der kleinen Gesten und Aufmerksamkeiten sollte niemals vergessen oder unterschätzt werden.
  2. Patienten wollen wahrgenommen und gehört werden.
  3. Patienten wollen ernst genommen werden.
  4. Kontakt auf Augenhöhe schafft Vertrauen.
  5. Nur Informationen, die wirklich ankommen, sind gesicherte Informationen.

 


Kurz-Leitfaden für Patientengespräche

  1. Begrüßen Sie den Patienten mit Namen.
  2. Stellen Sie sich mit Namen, Funktion (ggf.) und Ihrem Gesprächsziel vor.
  3. Zeigen Sie Interesse am Wohlergehen des Patienten.
  4. Erkundigen Sie sich mit offenen Fragen nach den Gründen für den Besuch.
  5. Hören Sie einerseits aufmerksam zu, aber behalten Sie in der Gesprächsführung den roten Faden.
  6. Geben Sie ausreichend Information über jeden Untersuchungs- und Behandlungsschritt.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 21 / 10.11.2019