Ärztetage Grado 2019: Psychopharmaka in der Allgemeinmedizin

10.04.2019 | Medizin


Etwa jedes zweite Antidepressivum wird vom Allgemeinmediziner verschrieben, wobei Psychopharmaka ganz generell häufig mit anderen Medikamenten interagieren. Je ungewöhnlicher eine Nebenwirkung ist, desto weniger wird ein möglicher Zusammenhang mit dem Psychopharmakon vermutet. Ein Seminar bei den diesjährigen Ärztetagen in Grado Ende Mai befasst sich mit dieser Thematik.


Auch wenn aktuell die Zahl der neu auf den Markt kommenden Psychopharmaka überschaubar ist, nimmt das Wissen um die bestehenden Medikamente deutlich zu. „Da sich diese immer länger auf dem Markt befinden, werden auch immer mehr Nebenwirkungen im Laufe der Zeit beschrieben, die man im Kopf behalten muss“, betont Univ. Prof. Hans Rittmannsberger von der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie am LKH Steyr. Eine besondere Herausforderung stelle dabei der Umstand dar, dass die Behandlung vom Facharzt erfolge und der Allgemeinmediziner für die ärztliche Betreuung des Patienten ganz generell zuständig sei. „Je ungewöhnlicher eine Nebenwirkung ist, desto weniger wird ein möglicher Zusammenhang mit dem Psychopharmakon vermutet“, hebt Rittmannsberger hervor.

Psychopharmaka zählen zu den Medikamenten, die doch sehr häufig mit anderen Medikamenten interagieren, was entsprechende Aufmerksamkeit diesbezüglich und auch Wissen darüber voraussetzt. Medikamente können sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken oder abschwächen. „Sinnvoll ist eine Art Signalerkennung, das heißt, dass man gewisse Risikofaktoren oder Risiko-Medikamente im Auge hat“, unterstreicht Rittmannsberger. Darüber hinaus verläuft die Metabolisierung von Mensch zu Mensch unterschiedlich rasch, basierend auf der genetischen Ausstattung mit Enzymen. Kommt es bei einer Person nach verschiedenen Medikamenten zu Besonderheiten in der Metabolisierung, erweist sich eine Genotypisierung als sinnvoll. „Das Ergebnis ist praktisch wie eine Diagnose anzusehen“, so Rittmannsberger. Wegen der Kosten von rund 400 Euro sei es jedoch nicht sinnvoll, diese flächendeckend zu propagieren.

Sichere Behandlungsführung

Etwa 50 Prozent der Antidepressiva werden vom Allgemeinmediziner verschrieben, wobei dieser in der Regel auf zwei oder drei bevorzugte Medikamente zurückgreift. Zusätzlich gibt es noch zahlreiche Indikationen, bei denen die Verschreibung von Psychopharmaka „off-label“ erfolgt. „Gerade bei Indikationen, bei denen früher in erster Linie Tranquilizer verschrieben wurden, werden jetzt Antidepressiva verordnet“, so eine Beobachtung des Experten. Speziell bei Beschwerden im Grenzbereich Körper/Psyche wie beispielsweise bei Neuralgien oder funktionellen Beschwerden werde gerne auf ein Antidepressivum zurückgegriffen. Einige Warnungen von Gesundheitsbehörden limitierten jedoch den Einsatz von Antidepressiva in bestimmten Situationen, wie Rittmannsberger betont. So hat vor einiger Zeit die Warnung vor dem Einsatz von Antidepressiva bei Kindern und Jugendlichen für Aufregung gesorgt: Bei Beginn der Behandlung mit Serotonin-Wideraufnahme-Hemmern (SSRI) hatte man eine erhöhte Suizidalität festgestellt. Diese Warnung wurde später auf alle Antidepressiva und Erwachsene ausgedehnt. In der Praxis habe dies dazu geführt, dass betroffenen Jugendlichen seltener Antidepressiva verschrieben wurden – und die Suizidrate erst recht angestiegen ist. Gerade bei SSRI können initial Angst und Unruhe auftreten – dies umso stärker, je jünger der Patient ist. Wie ist daher vorzugehen? Rittmannsberger dazu: „Antidepressiva sollten im Bedarfsfall auch bei Jugendlichen verordnet werden. Allerdings muss man dabei unbedingt darauf aufmerksam machen, dass sich die Unruhe verstärken kann. Deswegen sollte man mit dem Betroffenen auch eine Notfall-Strategie besprechen.“

Verlängerte QTc-Zeit

Ein weitere Herausforderung – speziell bei Psychopharmaka – stellt die Tatsache dar, dass es bei vielen zu einer Verlängerung der QTc-Zeit kommt. Meist ist diese so minimal, dass sie klinisch keine Rolle spielt. „Wenn aber Patienten mehrere derartige Medikamente einnehmen, können sich in Summe relevante Effekte ergeben.“ Für Cipralex® wurde von der Behörde vorgeschrieben, dass es – weil es die QTc-Zeit verlängert – nicht zusammen mit Substanzen verordnet werden darf, die auch zu einer Verlängerung führen. Das würde bedeuten, dass man Cipralex® praktisch nur in Monotherapie verwenden kann, was in der Praxis aber oft nicht befolgt wird. Nachfolgende Untersuchungen haben das Risiko stark relativiert, weshalb die Warnung laut Rittmannsberger oft für „überzogen“ gehalten wird – speziell im Hinblick darauf, dass solche Ereignisse extrem selten vorkommen. Die Kontraindikation ist dennoch aufrecht und im Schadensfall sehe es von rechtlicher Seite betrachtet sehr schlecht aus. Ähnlich ist die Situation, wenn Triptane zusammen mit SSRIs verordnet werden. Auch hier sei die Warnung „vermutlich überzogen“ (Rittmannsberger).

In der ersten Generation der Neuroleptika und Antipsychotika zählen extrapyramidal motorische Nebenwirkungen zu den typischen Nebenwirkungen. Die neuen Antipsychotika wiederum weisen Nebenwirkungen im metabolischen Bereich auf. So kann es zur Beeinflussung des Stoffwechsels mit einem Anstieg des Blutzuckers kommen, was in einem Diabetes mellitus resultieren kann. Darüber hinaus ist Gewichtszunahme möglich und die Entstehung eines metabolischen Syndroms. Bei Clozapin® besteht das Risiko für eine Perikarditis beziehungsweise Myokarditis. Dies sei noch vor einigen Jahren kein großes Thema gewesen, wie Rittmannsberger betont, jedoch habe sich mittlerweile die Meinung dazu geändert. Interessant dabei seien regionale Unterschiede: Während in Europa diese Fälle eher selten sind, seien sie in Australien häufig. Dort darf Clozapin® nur noch nach vorangegangener Herzechokardiographie verordnet werden. (cs)

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2019