Arbeitsplatz Spital/Online-Umfrage: Arbeiten am Limit

25.10.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


An der Freude an der Arbeit mangelt es nicht – dafür an den Rahmenbedingungen. Spitalsärzte in Österreich leiden unter Personalknappheit und zunehmender Gewalt, außerdem fehlen Dokumentationsassistenten zur Entlastung.

Sophie Niedenzu

Sie arbeiten im Durchschnitt 47 Stunden pro Woche, ihre Wunscharbeitszeit liegt aber bei durchschnittlich 38 Stunden. Das ist ein Teil der Ergebnisse der aktuellen ÖÄK-Befragung von Spitalsärzten in Österreich. Damit zeigt die Reduktion der Arbeitsstunden, die mit 1. Jänner 2015 umgesetzt wurde, ihre Wirkung. Aus Sicht des Patientenschutzes und im Hinblick auf die Gesundheit der behandelnden Ärzte eine erste positive Bilanz: „Wer will schon von einem völlig überarbeiteten und müden Arzt operiert werden?“, sagt Harald Mayer, Kurienobmann der angestellten Ärzte und Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer. Leider sei die Freude aber nicht ungetrübt: „Es kann nicht sein, dass die Arbeitszeit zwar endlich reduziert wurde, die daraus entstandene personelle Lücke aber von Spitalsträgern weiter ignoriert wird“, kritisiert er. Der akute Personalmangel in den Krankenhäusern wird auch in dieser Umfrage noch einmal bestätigt. Neben einem steigenden Zeitdruck und mehr Ambulanzfällen gehören die knappen Personalressourcen für die Studienteilnehmer zu den am stärksten wahrgenommenen, gravierenden Problemen. Alarmierend ist auch das Ergebnis, dass für mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer die Arbeit im Krankenhaus in den vergangenen fünf Jahren als unangenehmer empfunden wird. Besonders negativ wird die Entwicklung von Primarärzten bzw. Abteilungsleitern wahrgenommen, nämlich mit 71 Prozent, gefolgt von Oberärzten mit 65 Prozent.

Insgesamt halten es 73 Prozent für sehr bis eher unwahrscheinlich, unter der gleichbleibenden Belastung noch als Spitalsarzt tätig zu sein, wenn sie 65 Jahre alt sind. Gefragt nach den Voraussetzungen, noch im höheren Alter tätig zu sein, wird oft der Wunsch angegeben, Dienste und Stunden zu reduzieren bzw. die Möglichkeit genannt, sich verstärkt der Ausbildung junger Kollegen zu widmen. „Das alles zeigt wieder einmal, dass der enorme Druck, unter dem Spitalsärzte tagtäglich arbeiten, natürlich auch Folgen hat“, sagt Mayer. Es sei daher dringend notwendig, die Spitäler, und hier insbesondere die Ambulanzen, zu entlasten. Möglich sei dies mit Hilfe von freiberuflichen Strukturen in bzw. in der Nähe von Krankenhäusern, wie etwa allgemeinmedizinische Akutordinationen. „Patienten, die keine Notfälle sind, sollten zuerst Arztpraxen aufsuchen und nicht sofort ins Spital gehen“, sagt Mayer. Das würde auch die Wartezeiten reduzieren. Notwendig sei daher eine engere Abstimmung mit dem niedergelassenen Bereich. Der ÖÄK-Vizepräsident appelliert an die zukünftige Regierung, entsprechende finanzielle Mittel freizugeben. „Einerseits benötigen wir die Übernahme von viel mehr Leistungen durch freiberufliche Ärzte, andererseits muss endlich eine ausreichende Personalplanung mit notwendiger Aufstockung in den überlasteten Spitälern umgesetzt werden“, sagt Mayer. Immerhin seien die Dienstzeiten nicht neu, sondern bereits vor vier Jahren in Kraft getreten. Die aktuelle Situation stößt bei ihm auf Unverständnis: „Es ist doch vollkommen klar, dass mehr Personal notwendig ist, wenn jeder Arzt weniger Stunden arbeitet.“

Gesucht: Dokumentationsassistenten

Personalknappheit ist eines der Probleme, der Aufwand für Patientendokumentation ein anderes. „Seit vielen Jahren klagen Spitalsärzte über das Ausmaß der Bürokratie – geändert hat sich offensichtlich nicht viel“, kritisiert Mayer. Denn Administration macht nach wie vor einen großen Teil der Arbeit von Spitalsärzten aus: Nur 58 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit entfällt auf ärztliche Tätigkeit, 37 Prozent auf Administration und fünf Prozent auf Forschung und Lehre. Jüngere Ärzte gaben in der Befragung tendenziell an, mehr mit Administration zulasten von Forschung und Lehre beschäftigt zu sein als Ärzte ab 40 Jahre. Auffallend ist, dass Bürokratie besonders bei Ärzten in Ausbildung zum Allgemeinmediziner bzw. in der Basisausbildung mit 44 bzw. 48 Prozent einen überdurchschnittlich hohen Teil der Arbeitszeit ausmacht. „Das ist eine Situation, die dringend verbessert werden muss. Ärzte in Ausbildung müssen praktische, medizinische Erfahrung erhalten, nicht für Administratives herhalten“, sagt Mayer. Die Ausbildung gehöre verbessert, nur so würden die jungen Ärzte auch tatsächlich im Land bleiben. „Die Konkurrenz schläft nicht. Wenn wir bereits in der Arztausbildung nicht wettbewerbsfähig sind, wird sich das rächen“, warnt der ÖÄK-Vizepräsident. Gerade im Hinblick darauf, dass in den kommenden Jahren viele Spitalsärzte in Pension gehen würden, sei es wichtiger denn je, das wertvolle Know-how rechtzeitig an den Ärztenachwuchs weiterzugeben.

Die Lösung sei eine Entlastung von administrativen Aufgaben durch entsprechend geschultes Personal. „Es muss endlich gelingen, dass Ärzte tatsächlich bürokratisch unterstützt werden und sie mehr Zeit für eine hochqualitative Patientenversorgung haben“, sagt Mayer. Was die Implementierung von Assistenzberufen angeht, zeigt sich in der Online-Befragung eine große Varianz in den einzelnen Bundesländern. Während österreichweit lediglich 32 Prozent angaben, in ihrer Abteilung Unterstützung durch Dokumentationsassistenten zu erhalten, gaben dies überdurchschnittlich viele in Vorarlberg und Oberösterreich an, nämlich 52 bzw. 45 Prozent. Schlusslicht bildet unter den Studienteilnehmern das Burgenland sowie die Steiermark mit je 21 Prozent. „Wichtig ist, dass österreichweit und flächendeckend Spitalsärzte administrativ entlastet werden“, sagt Mayer.

Gewaltprävention in Spitälern

Das Thema der Patientendokumentation und einem Mehr an administrativen Aufgaben ist nicht neu. Neu hingegen ist die Gewalt in Spitälern, mit denen sich die Ärzte konfrontiert sehen. Die überwiegende Mehrheit, nämlich 71 Prozent, hat verbale Gewalt erlebt, 25 Prozent der Studienteilnehmer gaben an, physische Gewalt erlebt zu haben. Sechs Prozent der Studienteilnehmer wurden in ihrer Arbeit mit einer Waffe bedroht. Auch hier variierte der Anteil in den Bundesländern – während in Wien neun Prozent bereits mit einer Waffe bedroht wurden, waren nur zwei Prozent der Befragten in Kärnten davon betroffen. Tendenziell geben in der Online-Umfrage Frauen häufiger an, von Gewalt in den Spitälern betroffen zu sein, als Männer. Gerade bei Gewalt herrsche dringender Handlungsbedarf. „Die Politik nimmt das Thema glücklicherweise mit dem aktuellen Gewaltschutzpaket sehr ernst“, sagt Mayer.

Die Spitalsärztebefragung bestätigt einmal mehr: Die Liste an Rahmenbedingungen, die in den Spitälern verbessert werden müssten, um weiterhin eine bestmögliche Patientenversorgung in Österreich zu gewährleisten, ist lang. „Die Politik ist gefordert, Maßnahmen zu setzen, damit die Freude an der Arbeit, die bislang stärkste Motivation für die berufliche Tätigkeit, bei Spitalsärzten nicht erlischt“, sagt Mayer.


Spitalsärztebefragung

Die Bundeskurie angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer beauftragt seit 2003 eine österreichweite, umfassende Befragung unter Spitalsärzten. Diesmal erfolgte sie zwischen 2. und 20. September, zum ersten Mal in Form einer Online-Befragung, die in Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Markt- und Meinungsforschungsinstitut IMAS International durchgeführt wurde. Schwerpunktthemen waren die Zufriedenheit mit der Tätigkeit allgemein, die Arbeitszeit, Belastungen im Spitalsalltag sowie die Sicherheitskultur und Erfahrungen mit Gewalt am Arbeitsplatz. Insgesamt haben 3.570 Spitalsärzte österreichweit an der Online-Umfrage teilgenommen.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 20 / 25.10.2019