Interview Jochen Schuler: Heimbonus bei Arzneimitteln

25.09.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK

Jochen Schuler vom ÖÄK-Referat für Medikamentenangelegenheiten über Engpässe, Verbesserungspotential und Zugang zu Arzneimitteln.
Sophie Niedenzu

Wieso kommt es zu Medikamentenengpässen? Oft handelt es sich um Kapazitäts- oder Qualitätsprobleme am Produktionsort des Wirkstoffes – überwiegend außerhalb der EU. Es ist bei der Wirkstoffproduktion eine zunehmende Monopolisierung zu beobachten. Das macht das System anfällig. Wenn eine Fabrik in China, die hunderten weiterverarbeitenden Arzneimittelfirmen (Lizenznehmern) den Rohstoff liefert, Produktionsprobleme bekommt, wirkt sich das weltweit aus. Kapazitäts- und Qualitätsprobleme können aber ebenso bei den Händlern und den Lizenznehmern auftreten. Eine weitere Ursache sind die großen Unterschiede bei den Arzneimittelpreisen. Österreich hat im internationalen Vergleich nicht die höchsten Preise. Da kann es für heimische Händler lukrativ sein, Kontingente in ein höherpreisiges Land zu verkaufen, wo gerade ein Engpass besteht. Manche Lieferschwierigkeiten werden so zwischen den Ländern hin- und hergeschoben. Das Hochpreisland Deutschland schreibt seinen Apothekern sogar eine „Parallelimport-Quote“ vor, um die Arzneimittelpreise dort zu senken. An diesem Beispiel ist zu sehen, dass auch Preis-Steuerungsinstrumente Lieferengpässe begünstigen können.

Wie lassen sich Medikamentenengpässe vermeiden? Eine einfache Lösung gibt es nicht. Die Arzneimittelpreise dürften innerhalb der EU nicht so ein starkes Gefälle haben. Außerdem wäre es wichtig, die Wirkstoffproduktion wieder nach Europa zurückzuholen. Die europäischen Arzneimittelhersteller sollten eine Art Heimbonus erhalten, um gegen die Billiganbieter aus Übersee bestehen zu können. Eine Rückverlagerung der Generikaproduktion nach Europa würde auch mehr Versorgungssicherheit schaffen.

Wie weit verbreitet sind Generika? Der Generikamarkt macht ohne die Selbstmedikation 39 Prozent aller Verordnungen und 18 Prozent des Gesamtumsatzes bei Arzneimitteln aus. Generika werden bei uns oft kritisch, allein als Instrument zur Preis- und Kostensteuerung, dargestellt. Grundsätzlich sind sie jedoch eine der wichtigsten medizinischen Neuerungen der letzten Jahrzehnte. Durch die Generika haben mehr Menschen denn je Zugang zu Arzneimitteln. Generika fehlen oft dort, wo gerade der meiste Fortschritt besteht, derzeit beispielsweise in der Onkologie, und wo seltene Krankheiten behandelt werden. Das wird aber auch in Zukunft aufgrund des Patentrechts nicht anders sein. Bei einem schweren Versorgungsnotstand sollte aber über eine Aussetzung des Patentschutzes nachgedacht werden.

Wie groß sind die Unterschiede bezüglich Wirkstoffaufnahme tatsächlich? Immer wieder wird die Gleichwertigkeit von Original und Generikum angezweifelt. Die Bioäquivalenz des Wirkstoffes wird aber ordentlich geprüft. Abweichungen zum Originalpräparat bestehen jedoch, nicht nur beim Preis und Aussehen, sondern auch bei den Hilfsstoffen. Es könnte auch sein, dass der Kostendruck Qualitätsprobleme bei Generika begünstigt. Ich glaube allerdings, dass bei den Generika auch oft der Noceboeffekt zuschlägt. Je mehr wir die Generika in Frage stellen, desto häufiger werden Wirkschwankungen und Unverträglichkeiten auftreten. Eine „aut idem“-Regel führt nahezu zwangsläufig zu häufigeren Umstellungen, nur weil ein Präparat etwas teurer oder in der Apotheke gerade nicht lagernd ist. Jede dieser Umstellungen sorgt in der Ordination für Diskussionen, begünstigt Medikationsfehler und beeinträchtigt die Adhärenz.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 18 / 25.09.2019