BKNÄ: Mehr ärztliche Hausapotheken gefordert

15.12.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Von 2009 bis 2018 wurden in Österreich 62 ärztliche Hausapotheken geschlossen, mit zum Teil  fatalen Folgen für die ländliche Gesundheitsversorgung. Die Österreichische Ärztekammer fordert eine Liberalisierung des Apothekengesetzes, das Ende der Kilometer-Mindestgrenze
und ein duales System.

„Wir steuern bei der Arzneimittel- und Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen geradewegs auf eine Versorgungskrise zu, wenn nicht bald etwas Wirksames passiert“, sagte Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der ÖÄK, im November auf einer Pressekonferenz in Wien. „Die Weichen müssen dringend neu gestellt werden.

“Ein wesentliches Problem dabei ist, dass die Gründungen neuer öffentlicher Apotheken in ländlichen Regionen zu einem Zusperren ärztlicher Hausapotheken führen. Es gibt davon heute um 102 weniger als noch vor 20 Jahren. Allein in den Jahren 2009 bis 2018 wurden in Österreich 155 öffentliche Apotheken neu eröffnet, jedoch 62 ärztliche Hausapotheken geschlossen. (Quelle: Bundeswettbewerbsbehörde) Das Apothekengesetz schreibt bekanntlich vor, dass in Gemeinden ärztliche Hausapotheken zusperren müssen, wenn ihr Abstand zur neu gegründeten öffentlichen Apotheke weniger als vier Kilometer betragt.

Politik darf nicht tatenlos zuschauen

„Dabei tritt oft ein fataler Prozess in Kraft“, so Steinhart. Viele der auf dem Land neueröffneten Apotheken geraten, nachdem sie ärztliche Hausapotheken verdrängt haben, selbst in wirtschaftliche Bedrängnis und sind vom Zusperren bedroht. Weil es dann in der Gemeinde keine Kassenarzt-Praxis mit Hausapotheke mehr gibt, wandern Ärzte häufig ab und es wird es noch schwieriger, einen niederlassungswilligen Nachfolger zu finden. „Wenn aber niemand mehr Medikamente verschreibt, kann sie auch niemand mehr verkaufen – zum Nachteil auch der Apotheke“, sagt Steinhart. „Diese Negativspirale dreht sich, in unterschiedlichem Tempo, gegenwärtig in sehr vielen ländlichen Regionen. Das Nachsehen haben die Bewohner, und ganz besonders kranke, immobile und alte Menschen. Hier dürfen Gesundheitspolitik und Gesetzgeber nicht länger tatenlos zuschauen.“

Dass die Bevölkerung Hausapotheken ausgesprochen schätzt, zeigte zuletzt einmal mehr eine von OGM durchgeführte Befragung von 1.500 Personen, die in der ORF-Sendung konkret vorgestellt wurde: 64 Prozent der Befragten halten Hausapotheken für sinnvoll und nur 19 Prozent für nicht sinnvoll.

Landesweit gibt es derzeit 1.438 von Apothekern geführte Apotheken und 794 ärztliche Hausapotheken. „In Gemeinden mit bis zu 5.000 Einwohnern wurde und wird die ärztliche und pharmazeutische Versorgung überwiegend durch Allgemeinmediziner mit ärztlicher Hausapotheke wahrgenommen“, erklärt Silvester Hutgrabner, Leiter des Referates für Landmedizin und Hausapotheken der ÖÄK. Insgesamt betreiben 21 Prozent der Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag eine Hausapotheke. In Gemeinden mit bis zu 1.000 Einwohnern sind es 74 Prozent, in Gemeinden mit 1.000 bis 5.000 Einwohnern 44 Prozent. „Ärztliche Hausapotheken sind eine kostengünstige, effektive, patientenfreundliche und wohnortnahe Lösung, die enorme ökologische Vorteile hat, weil jedes Jahr Millionen Kilometer auf dem Weg zu einer Apotheke wegfallen“, so Hutgrabner.

Negativ-Trend verschärft

Jede zweite der neuen öffentlichen Apotheken wurden 2009 bis 2018 in Gemeinden mit 1.000 bis 5.000 Einwohnern eröffnet. Besonders dort kam es durch die Neueröffnungen zu einer Verdrängung bestehender ärztlicher Hausapotheken. Hutgrabner: „Diese Entwicklung verschärft einen negativen Trend, denn unversorgte Gemeinden liegen sehr oft in ländlichen Regionen. 61 Prozent der Gemeinden ohne Haus- oder öffentliche Apotheke und 66 Prozent der Gemeinden ohne Kassenarzt liegen auf dem Land.“

Ärztliche Hausapotheken sind nicht nur versorgungsrelevant, sondern bedeuten außerdem für Landärzte einen unentbehrlichen und existenzsichernden Einkommensbestandteil. Gibt es also in einer Gegend keine Hausapotheke mehr, so verringert das die Attraktivität der Niederlassung als Landarzt. „In Zeiten des Ärztemangels und ganz besonders des Landarztmangels ist das ein beträchtlicher zusätzlicher Nachteil“, sagt Hutgrabner.

Dazu kommt, dass nahezu alle wirtschaftlich erfolgversprechenden Standorte für öffentliche Apotheken in den Städten und größeren Gemeinden inzwischen besetzt sind. Auch Apotheker stehen vor einer Pensionswelle und suchen Nachfolger. „Die geforderten Ablösesummen können sich junge niederlassungswillige Apotheker vielfach nicht leisten. Jeder neue potentielle Standort ist rechtlich heiß umkämpft, denn bestehende Apotheken dürfen nicht unter ein Versorgungspotential von 5.500 Bewohner fallen. Das bedeutet auch hohe Anwaltskosten“, erklärt Hutgrabner. „Wollen sich angestellte Apotheker selbständig machen, sind sie praktisch gezwungen, in kleinere Gemeinden auszuweichen.

“Jedoch rechnet sich dort der Betrieb einer öffentlichen Apotheke nur dann, wenn der Umsatz zumindest einer, besser von zwei Hausapotheken abgeschöpft werden kann. Und trotzdem könne es für die neuen Apotheken eng werden, sagt Hutgrabner: „Zuletzt beklagte die Apothekerkammer, dass vor allem außerhalb der Ballungszentren der Fortbestand vieler Apotheken gefährdet sei.“

Schlimmsten Falls gibt es letztlich in so einer Gemeinde weder eine ärztliche Hausapotheke, noch einen Arzt, noch eine öffentliche Apotheke.

Verdrängung der Hausapotheken

Das zugrundeliegende Problem ist, dass der Verdrängungswettbewerb zwischen den öffentlichen Apotheken aus gesetzlichen Gründen immer zu Lasten der ärztlichen Hausapotheken geht, die zusperren müssen, wenn sich eine öffentliche Apotheke in der Nähe niederlässt. „Ärztliche Hausapotheken sind besonders in ländlichen Regionen eine einfache und sehr gut geeignete Lösung für ein zunehmendes Versorgungsproblem, doch leider gibt es davon viel zu Wenige. Wir brauchen unbedingt mehr davon“, so Hutgrabner. „Dem kranken Patienten hilft es am besten, wenn er die erforderlichen Medikamente direkt im Anschluss an die ärztliche Behandlung bekommt, und nicht erst viele Kilometer bis zur nächsten Apotheke zurücklegen muss.“

Maßnahmen gegen Hausapotheken-Sterben

„Der Trend zum Hausapotheken-Sterben und dessen negative Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung ist äußerst alarmierend und muss unbedingt gestoppt werden“, so Ärztekammer-Vizepräsident Steinhart. Dafür empfiehlt er eine Reihe von Maßnahmen:

  • Erstrebenswert im Sinne einer besseren Arzneimittelversorgung sei ein duales System, also ein kundenfreundliches Neben- und Miteinander von öffentlichen Apotheken und ärztlichen Hausapotheken.
  • Das Apothekengesetz müsse völlig überarbeitet und zeitgemäß angepasst und liberalisiert werden.
  • Der strenge Gebietsschutz für öffentliche Apotheken sei ein Anachronismus auf Kosten der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Er gehöre im Sinne eines fairen und versorgungsorientierten Wettbewerbs abgeschafft.
  • Die im Apothekengesetz festgeschriebenen Mindestentfernungen zwischen ärztlichen Hausapotheken und öffentlichen Apotheken, wonach andernfalls Hausapotheken zusperren müssen, seien ersatzlos zu streichen.

„Wir unterstützen im Wesentlichen die Empfehlungen der Bundeswettbewerbsbehörde zu einer Liberalisierung des Medikamentenverkaufs und einer Lösung, die den heutigen Strukturen gerecht wird“, so Steinhart. „Maßstab für allfällige Regelungen muss der reale Bedarf der Bevölkerung sein, und nicht das wirtschaftliche Interesse der Apothekenbranche.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 23-24 / 15.12.2019