BKNÄ: „Wir brauchen ein Ende des Chaos“

10.06.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Nach den jüngsten politischen Entwicklungen sehnen sich nicht nur viele Bürger nach Stabilität. Auch die Ärzteschaft fordert für die anstehenden Herausforderungen im Gesundheitsbereich klare Strukturen ein. Gerade jetzt könne man sich keinen Stillstand erlauben, ist Johannes Steinhart, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann niedergelassene Ärzte, überzeugt.

Sascha Bunda

Binnen weniger Tage hat sich die politische Landschaft in Österreich erheblich verändert, auch die bisherige Gesundheits- und Sozialministerin wurde ersetzt. Wie schätzen Sie diese Situation ein? Der Zeitpunkt für diese überraschenden Entwicklungen ist natürlich alles andere als günstig. Gerade jetzt stehen Entscheidungen von erheblicher Tragweite an, zudem laufen weitere Entwicklungen, bei denen die Alarmstufe schon in den dunkelroten Bereich geht – man kann sich jetzt überhaupt keine Verzögerung oder gar Stillstand erlauben. Wir hatten in den vergangenen Monaten Grund zur Hoffnung, dass seitens der politischen Parteien etwa das Thema Ärztemangel nach unseren langen Jahren der Warnung endlich ernst genommen wird. Dieser positiven Entwicklung droht nun eine unnötige Unterbrechung. Das einzig Positive ist, dass sich nun die Möglichkeit zur Reflexion bisheriger Projekte bietet.

Im Herbst soll es Neuwahlen und dann eine neue Regierung geben. Was wünschen Sie sich von den neuen Akteuren? Zu allererst: Dass sie unsere Bedenken und die Herausforderungen, die auf Österreichs Gesundheitsversorgung zukommen, ernst nehmen. Die regionale Versorgungssteuerung muss sichergestellt werden. Dazu kommen die Pensionierungswelle, die Schwierigkeiten bei der Nachbesetzung offener Kassenstellen, die nötige Attraktivierung der Allgemeinmedizin, um wieder mehr Nachwuchs in diesen Bereich zu bekommen – es muss in den Köpfen der Beteiligten das Bewusstsein fest verankert sein, dass es hier dringend gute und nachhaltige Lösungen geben muss. Die monatelange Ungewissheit erhöht den Druck und den Handlungsbedarf nur noch mehr.

Was meinen Sie damit konkret? Der Schwerpunkt der Gesundheitspolitik muss klar auf regionaler Versorgung liegen. Österreichs bekanntermaßen sehr uneinheitliche regionale und soziale Struktur muss optimal abgebildet werden. Wir brauchen keine neuen zentralistischen Bürokratiemoloche und keine langen Entscheidungswege, sondern eine patientennahe Organisation. Weiters wird sich an unserer Forderung nach der unbedingt erforderlichen Patientenmilliarde nichts ändern. Diese muss ebenso aus dem Budget kommen wie auch die Ausgleichsfinanzierung, falls die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt werden. Unser Gesundheitssystem steht vor großen Herausforderungen und bedarf daher dringender Neuinvestitionen. Wir brauchen mehr Geld im System, statt es in Form von Rücklagen bei den Krankenkassen zu bunkern. Die Themen Patientenmilliarde und Hausarzt-Initiative wurden zuletzt nach langjähriger Forderung der Ärztekammer endlich konkret angegangen, das Verhandlungsklima war zuletzt gut und ließ Verständnis für die Positionen der Ärzteschaft durchblicken – nun gerät dieser Fortschritt womöglich wieder ins Wackeln.

Was sind Ihre weiteren Erwartungen an die Politik? Wir haben zuletzt viel Kraft und Einsatz in Projekte gesteckt, von denen wir uns deutliche Verbesserungen versprochen haben. Ich erinnere in diesem Zusammenhang etwa an das Mammutprojekt einheitlicher harmonisierter Leistungskatalog, bei dem dutzende Mitarbeiter und Kollegen in der Ärztekammer unfassbaren persönlichen Einsatz gezeigt haben und große Fortschritte erreichen konnten. Von der neuen Regierung erwarten wir, dass die konstruktive Zusammenarbeit hier und bei den anderen Vorhaben, von denen die Ärzteschaft überzeugt ist, unvermindert weitergeht. Wir brauchen ein Ende des Chaos und die Rückkehr zur Normalität.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11/ 10.06.2019