Ambulante Versorgung: Zurück zu den Wurzeln

10.06.2019 | Aktuelles aus der ÖÄK


Ein Drittel mehr Patienten, Verdoppelung der Kosten – das ist die Bilanz der Ambulanzen. Eine Rückkehr zu ihren Kernaufgaben würde Spitalsärzte entlasten und die Kosten senken.

Sophie Niedenzu

Schnupfen, Husten, Heiserkeit, Fieber oder Ohrenschmerzen – ab in die Ambulanz? Ein durchaus realistisches Szenario. „Spitalsärzte behandeln in den schon übervollen Ambulanzen auch viele Selbstzuweiser, die größtenteils von niedergelassenen Ärzten betreut werden könnten“, kritisiert Harald Mayer, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. Die Zahlen bestätigen, wie sehr sich die Arbeit für angestellte Ärzte in den Spitälern verdichtet hat: Österreichweit sind die Ambulanzfälle zwischen 2005 und 2017 um 34 Prozent angestiegen, 2017 wurden 8.760.806 Ambulanzfälle dokumentiert.

Die Ambulanzen sind voll, die Patienten werden mehr – diese Erfahrung macht auch Karlheinz Kornhäusl, stellvertretender Obmann der Bundeskurie angestellte Ärzte. Derzeit absolviert er seine Facharzt-Ausbildung im Bereich Innere Medizin in Wagna am Landeskrankenhaus Südsteiermark. „Ungefähr die Hälfte der Patienten sind keine akuten Fälle für die internistische Notaufnahme und würden in einer Ordination ebenso gut und vermutlich schneller behandelt werden“, sagt er. Leider sei die hausärztliche Versorgung in vielen ländlichen Regionen nicht gewährleistet, der Hausärzte-Mangel eine „Tragödie“. „Die Allgemeinmedizin muss endlich entsprechend honoriert und der wichtige Beruf generell attraktiver gemacht werden“, sagt Kornhäusl. Es müsse die Möglichkeit geben, dass Patienten in erster Linie den Arzt ihres Vertrauens aufsuchen. Das entspricht auch den Wünschen der Bevölkerung: Eine Umfrage hat ergeben, dass Hausärzte eine wesentliche Rolle für die Versorgung in Österreich spielen. Hinzu kommt, dass 70 Prozent der Patienten bei chronischen Erkrankungen vom gleichen Arzt betreut werden möchten. Insgesamt wünscht sich die Bevölkerung in Österreich eine kontinuierliche, niederschwellige wohnortnahe medizinische Betreuung.

Es sind nicht nur die Ärzte, die fehlen: Kornhäusl habe in seinen Ambulanz-Diensten die Erfahrung gemacht, dass abends oder an den Wochenenden zunehmend Patienten aus umliegenden Pflegeheimen in die internistische Notaufnahme kämen. „Das bestätigt, dass nicht nur die Ärzteschaft, sondern auch die Pflege mit Personalmangel zu kämpfen hat“, resümiert Kornhäusl.

À propos Randzeiten: Eine weitere Steigerung der Patientenzahlen befürchtet Mayer nun durch das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die rechtliche Basis für verpflichtende Bereitschaftsdienste am Wochenende für Hausärzte fehle. „Die Patientenversorgung an Wochenenden oder Feiertagen im niedergelassenen Bereich muss gesichert werden, um zu verhindern, dass Patienten noch stärker in die Ambulanzen abwandern“, fordert der ÖÄK-Vizepräsident.

Die Entwicklung, dass immer mehr medizinische Leistungen durch Spitalsärzte in den Krankenhaus-Ambulanzen erbracht werden, wird von mehr als einem Drittel der Spitalsärzte laut einer von der BKAÄ beauftragten Umfrage grundsätzlich abgelehnt, etwas weniger als zwei Drittel hätte nichts dagegen, würde der Personalstand in den Krankenhäusern entsprechend erhöht werden. „Es ist hoch an der Zeit, die überfüllten Ambulanzen zu entlasten“, fordert Mayer und verweist auf die gesetzliche Grundlage der Spitäler: Das Aufgabengebiet von Ambulanzen ist im §26 im Krankenanstalten- und Kuranstaltengesetz (KAKuG) geregelt: „Spitalsambulanzen sollten allein diese festgelegten Aufgaben erfüllen und keine Lückenbüßer für den Mangel in der Patientenversorgung sein“, kritisiert der ÖÄK-Vizepräsident. Eine Konzentration auf die Kernaufgaben der Spitalsambulanzen würde nicht nur die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern verbessern, sondern ist für Mayer ökonomisch gesehen notwendig: „Es ist widersinnig, dass Spitäler als teuerster Faktor in der Gesundheitsversorgung in den Ambulanzen zusätzliche Aufgaben übernehmen und so die Kosten in Höhe getrieben werden“, sagt er. Von 2005 bis 2017 haben sich österreichweit die Ambulanzkosten fast verdoppelt.

Werden die Arbeitsbedingungen im Spital nicht verbessert, sind Konsequenzen für den Ärztenachwuchs zu befürchten. In bisherigen Umfragen hielten gut zwei Drittel der Ärzte es für eher bis sehr unwahrscheinlich, dass sie ihre Tätigkeit als Spitalsarzt noch mit 65 Jahren ausüben werden. Das bestätigen auch die Zahlen der ÖÄK-Ärztestatistik: Während jüngere Ärzte ausschließlich angestellt sind, ist ab Mitte bis Ende 40 eine Umkehr sichtbar, denn mit dem Alter steigt auch die Zahl der Ärzte mit Ordination. „Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um das Wissen an den Nachwuchs weiterzugeben, damit es nicht verloren geht“, fordert Mayer. Bereits jetzt fehlt engagierten Ärzten aufgrund der zunehmenden Arbeitsverdichtung die Zeit, ihre Erfahrung an die nächste Generation weiterzugeben.

Eine Konzentration auf die Kernaufgaben der Ambulanzen entlastet nicht nur die Spitalsärzte, sondern verbessert die Qualität der Arztausbildung. „Es ist wichtig, dass wir Ärzte in Ausbildung auch in den Ambulanzen arbeiten, um unterschiedlichste Erkrankungen, akute Fälle und chronische Verläufe kennenzulernen. Aber eine umfassende Ausbildung sollte nicht zu einem großen Teil in der Ambulanz erfolgen, wichtig ist eine ausgewogene Rotation zwischen den einzelnen medizinischen Funktionsbereichen“, sagt Kornhäusl. Gute Rotationsmöglichkeiten gehören zu den Faktoren, die bei der von der BKAÄ beauftragten Evaluierung für eine gute Bewertung der Ausbildungseinrichtung einfließen.

Vielfalt an medizinischen Angeboten

Welche Modelle sind möglich, um Ambulanzen zu entlasten, ärztliche Ressourcen gezielt einzusetzen und Patienten bestmöglich zu behandeln? „Die Lösung für eine flächendeckende Patientenversorgung ist eine Vielfalt an medizinischen Angeboten, unter Berücksichtigung der regionalen Besonderheiten“, sagt Kornhäusl.

Das bedeute: flexible Arbeitszeit- und Netzwerklösungen, eine Ärzte-Hotline als zusätzliches Service, sollte ein persönliches Arztgespräch nicht möglich sein, Gemeinschaftspraxen und strategisch gut situierte Primärversorgungseinheiten. „Wichtig ist, dass die Modelle an die  geografischen Gegebenheiten angepasst sind“, betont Kornhäusl.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2019