Porträt Univ. Prof. Peter Nagele: Mit Lachgas an die Spitze

25.03.2018 | Themen


Vom einfachen Rettungssanitäter in Salzburg ist Univ. Prof. Peter Nagele zum Anästhesie-Chef der Universitätsklinik in Chicago aufgestiegen. Seine steile Karriere verdankt er unter anderem einer wichtigen Entdeckung: der Erkenntnis, dass Lachgas bei der Behandlung von schweren, therapierefraktären Depressionen hilft.
Ursula Jungmeier-Scholz

„Joy of discovery“ heißt der Motor, der Univ. Prof. Peter Nagele zu Spitzenleistungen treibt. Um neben der klinischen Tätigkeit in großem Stil forschen zu können, übersiedelte der Salzburger nach der Facharzt-Ausbildung in Anästhesie am Wiener AKH nach St. Louis in Missouri an die Washington University School of Medicine. Zwölf Jahre später wartet eine neue große Aufgabe auf den 46-Jährigen: Seit 1. März 2018 hat er die Leitung der Klinik für Anästhesie an der University of Chicago inne.

Neben seinem unstillbaren Wissensdurst und seiner Zielstrebigkeit punktet er in den USA mit der österreichischen Anästhesie- Ausbildung, die – für dortige Verhältnisse unüblich – auch Notfall- und Intensivmedizin beinhaltet. So hat er sich in St. Louis auf Trauma- und Akut-Anästhesie spezialisiert; drei Tage pro Woche waren für die Forschung reserviert. An der Uniklinik von Chicago wird er neben seiner Führungsaufgabe der Unfall-Anästhesie treu bleiben, besonders nach Eröffnung des neuen Trauma- Zentrums im Mai. „Der Bedarf ist groß: Chicago verzeichnet mehr Morde als Los Angeles und New York zusammen und die Klinik liegt nahe der South Side, wo die Kriminalitätsrate sehr hoch ist“, erzählt Nagele. „In den vergangenen Jahren sind auch Verletzungsopfer auf dem Transportweg in andere Kliniken verstorben, weil es hier keine Erwachsenen-Notaufnahme gibt. Das wird sich ab Mai ändern.“ Im Bereich der Notversorgung von Schussopfern strebt Milizoffizier Nagele auch Kooperationen mit österreichischen Institutionen militärischer wie ziviler Natur an. „In Österreich sind Schussverletzungen schließlich zu selten, um ausreichend klinische Expertise zu erwerben.“

Begeisterung für das Akute

Mit Schusswunden und Messerstichen hat Nagele schon Erfahrung: In St. Louis, schätzt er, waren im Schnitt drei Schuss- und Stichverletzte pro Tag zu behandeln. Besonders diese Art von Grenzsituation hat ihn aber von Beginn weg an der Medizin gereizt – seit seiner Zeit als Rettungssanitäter. Über Freunde war er bereits als 16-Jähriger zum Roten Kreuz in Salzburg gekommen, dem er auch während seiner Studienzeit in Innsbruck treu blieb. Hier nahm seine „Begeisterung für das Akute“ ihren Anfang; die Notärzte – meist Anästhesisten – waren seine Helden. „Bei der Erstversorgung Schwerverletzter einen kühlen Kopf zu bewahren, war auch mir nicht in die Wiege gelegt, aber ich habe es gelernt.“ Außerdem bereitete ihm die Interaktion mit den Patienten schon in jungen Jahren Freude und er entschied sich für das Medizinstudium. „Genetik oder Molekularbiologie hätten mich auch interessiert. Aber am wichtigsten war es mir, forschen zu können.“ Dass er als Sohn eines Bundesheer-Unteroffiziers und einer Hausfrau überhaupt aneine universitäre Ausbildung denken konnte, verdankt er der Unterstützung der Eltern und dem Engagement seiner Volksschullehrerin, die sehr darauf drängte, dass der Bub ins Gymnasium nach Salzburg gehen sollte.

Auslandsjahre erwartet

Eine weitere Mentorin führte Nagele schließlich nach St. Louis. Im Rahmen der Anästhesie-Ausbildung am AKH wurde von jenen, die eine Habilitation anstrebten, ein Forschungsaufenthalt im Ausland erwartet. „Was mich schon während des Studiums fasziniert hat, war, wie Anästhetika im Gehirn wirken.“ Eines der besten Grundlagen-Forschungszentren in diesem Bereich war damals in St. Louis. Als dann die österreichische Anästhesistin Andrea Kurz, mit der Nagele in derselben OP-Gruppe gearbeitet hatte, nach St. Louis berufen wurde, verhalf sie ihm im Jahr 2000 zu seiner Forschungsstelle. Finanzieren konnte er sie mittels Schrödinger-Stipendium. Das Angebot, nach Abschluss von Habilitation und Facharztausbildung in Wien nach St. Louis zurückzukehren, nahm er begeistert an. Sein erster Sohn (von zweien) war bereits auf der Welt und Nageles Frau, eine diplomierte Anästhesie-Schwester, eigentlich nur mäßig begeistert, ging aber ihm zuliebe mit. „Hätte ich diese Chance nicht wahrnehmen können, wäre ich ziemlich unglücklich gewesen“, sagt Nagele rückblickend. Im Gegenzug engagierte er sich bei seiner Berufung dafür, dass auch ihr adäquate berufliche Möglichkeiten geboten werden.

Lachgas gegen Depression

Den steilen Verlauf der eigenen Karriere verdankt Nagele unter anderem einer Entdeckung, die ihm nicht nur einen exzellenten fachlichen Ruf, sondern auch knapp drei Millionen Dollar Forschungsgelder eingebracht hat: der Erkenntnis, dass sich schwere, therapierefraktäre Depressionen mit Lachgas behandeln lassen. Zuvor war bereits die antidepressive Wirkung von Ketamin entdeckt worden. „Ich wusste, dass Lachgas molekular ähnlich wirkt. Also war meine Hypothese, dass es auch eine antidepressive Wirksamkeit hat.“ Bei manchen Patienten verschwinden die Symptome nach einer Stunde Inhalation für Tage, obwohl das Gas nach wenigen Stunden aus dem Körper verschwunden ist. Seine Lachgas-Experimente wird Nagele auch in Chicago fortführen. „Daran werde ich wohl mein restliches Leben forschen …“ Kampf um beste Köpfe Neben der Forschung, bei der er die Anästhesie der Uniklinik Chicago wieder an die Spitze der US-Rankings führen möchte, erwarten ihn als Klinikchef noch andere diffizile Aufgaben: „Kern meiner Arbeit ist die effiziente Patienten-Versorgung, aber auch die Qualität der ärztlichen Ausbildung an der Klinik. In den USA herrscht ein ständiger Wettkampf um die besten Bewerber.“ Außerdem will Nagele, der eben erst ein Patent angemeldet hat, seine Klinik dabei unterstützen, eigene Business-Ideen zu verwirklichen und Start-Ups zu gründen. Ganz neu für ihn ist die wirtschaftliche Führung der Klinik. „In den USA gibt es keine Gehaltsschemata. Ich muss die Löhne so ausverhandeln, dass sich die Besten bei uns bewerben, die Personalkosten aber leistbar bleiben.“ Ein großer Ansporn für Nagele, einen Befürworter der amerikanischen Meritokratie, der auch dem Bildungssystem viel abgewinnen kann. Ab Herbst werden seine zweisprachig aufwachsenden Söhne jene universitätseigene Schule besuchen, die auch die Töchter von Barack Obama absolviert haben.

Sehnsucht nach Kabarett und Beisl

Peter Nageles Wissensdurst beschränkt sich nicht auf die Medizin. Die österreichische Kaffeehausliteratur hat es ihm ebenso angetan wie Christoph Ransmayrs Romane sowie Theater und Kabarett. Auch kann er sich vorstellen, im Alter noch Geschichte oder Archäologie in Österreich zu studieren. „Aber über fünf Jahre hinaus zu planen, funktioniert nicht“, lautet eine seiner Überzeugungen. Also freut er sich erst einmal auf das Abenteuer Chicago. Dass er für die nächste Zeit in den USA bleiben möchte, steht für ihn fest. Ein Zweitwohnsitz in Wien oder Salzburg wäre eine Option für später, denn er vermisst nicht nur Familie, Freunde und die Berge, sondern auch das Café, den Heurigen und das Beisl. „Österreich wird immer meine Heimat sein. Aber mein jetziger Alltag wird vom Beruf dominiert: Da fühle mich gefordert und kann Sinnvolles bewirken und so ist es auch in Ordnung, einmal woanders zu leben.“

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 6 / 25.03.2018