Porträt Klaus Pastl: „Wunderbares, geniales Material“

10.04.2018 | Themen


Der Linzer Orthopäde Klaus Pastl hat in Kooperation mit der TU Graz eine Schraube aus Spenderknochen entwickelt, die sich völlig in den Empfänger-Körper integriert. Diese Hightech-Anwendung hat medizinische und ökonomische Vorteile gegenüber herkömmlichen Metallschrauben.
Ursula Jungmeier-Scholz

Als Werkstoff wurden Knochen bereits in der Altsteinzeit verwendet; das Material kommt aber auch in einer neuartigen Hightech-Anwendung zum Einsatz: mit der Knochenschraube SharkScrew® können im orthopädisch-chirurgischen Bereich Knochen miteinander verbunden werden. Dabei wird der fremde Knochenteil im Lauf der Zeit vollständig vom Lagerknochen durchwachsen, umgebaut und erneuert. „Innerhalb von zwei Wochen wachsen Gefäße in das Transplantat ein. Osteozyten und Osteoblasten bauen den avitalen Knochen schließlich so um, dass er nach ein bis zwei Jahren im Röntgen nicht mehr sichtbar ist“, erklärt der Linzer Orthopäde Klaus Pastl. Er hat die innovative Schraube zusammen mit Kooperationspartnern entwickelt. Selbst die Knochendichte – für das Transplantat wird stets kortikaler Knochen verwendet – passt sich im Laufe der Zeit der örtlichen Belastung an und kann sich zu spongiösem Knochen wandeln. Weil rein menschliches Material verwendet wird, erkennt und akzeptiert der Körper die bekannte Knochenmatrix und es kommt zu keiner Abstoßungsreaktion. Der Spenderknochen ist zellfrei und mittels Peressigsäure-Ethanol-Verfahren sterilisiert. Dadurch kann die fertig bearbeitete Schraube bis zu fünf Jahre lang bei Raumtemperatur gelagert werden.

Gegenüber herkömmlichen Metallschrauben aus Titan oder Stahl punktet die Knochenschraube mit medizinischen und ökonomischen Vorteilen. „Der größte Nutzen besteht im Entfall des zweiten operativen Eingriffs, wodurch der Patient physisch und psychisch entlastet wird, aber auch deutlich geringere Kosten für das Gesundheitssystem anfallen“, erläutert Pastl. Mittels Knochenschraube lassen sich sogar kleine Knochenfragmente stabil verbinden; außerdem wird der überstehende Transplantat- Anteil nach erfolgter Positionierung auf Knochenniveau abgesetzt, sodass er von außen nicht mehr tastbar ist. Somit wird auch das umliegende Gewebe nicht gereizt und es kommt seltener zu Infektionen. Während gerade metallische Schrauben in Verbindung mit Metallplatten relativ viel Platz benötigen, weil sie dem Knochen außen anliegen, befindet die Spenderknochen- Schraube vollständig im Knocheninneren und ist deshalb – selbst bei Finger- und Handoperationen – auch knapp unter der Hautoberfläche gut zu positionieren. Die knöcherne Schraube liegt im Knochenspalt und bildet sofort eine stabile Brücke; bei der Plattenfixierung hingegen muss der Spalt erst vom Körper aufgefüllt werden. Auch im Vergleich zu anderen resorbierbaren Stoffen wie Magnesium oder Polylactid schneidet der Einsatz von menschlichem Knochenmaterial gut ab: Löst sich beispielsweise das Polylactid auf, kommt es lokal zu einer Schwächung des behandelten Areals; wenn die eingebrachte Substanz aber vor Ort bleibt und durch den Einbau immer stärker wird, passiert das nicht.

Jahrelanger Entwicklungsprozess

Die Idee zur Knochenschraube reifte in Klaus Pastl schon ab den 1990er-Jahren im Laufe seiner chirurgischen Tätigkeit mit mehr als 10.000 Eingriffen oder besonders bei der Versorgung von Menschen, die an Rheuma erkrankt sind, sowie in der Hand- und Fußchirurgie. Oft konnten kleine Knochenfragmente nicht mit Metallschrauben fixiert werden und es kam durch die Verwendung von Metall immer wieder zu Komplikationen. Als Erfinder im engeren Sinn sieht er sich dennoch nicht – eher als Katalysator für den Entwicklungsprozess: „Die Idee, Knochen mit Knochen zu verbinden, ist nicht neu. Mit Spenderknochen zu arbeiten hat schon im vorigen Jahrhundert viele Kollegen fasziniert, deshalb können wir auf deren wertvolle Erkenntnisse zurückgreifen.“ Für die Entstehung der Knochenschrauben, die mittlerweile in 14 österreichischen Kliniken eingesetzt werden, waren allerdings noch einige Hightech-Fertigungsschritte notwendig. Ab dem Jahr 2008 kooperierte Pastl mit der Technischen Universität Graz, genauer gesagt mit dem Institut für Biomechanik und dem Institut für Elektronenmikroskopie und Feinstrukturforschung. Auch das in der Chirurgie erstmals eingesetzte CNC-gefräste Feingewinde der Schraube wurde mit Wissenschaftern der TU speziell für diese Anwendung verfeinert; dadurch bekommen auch kleine Schraubenteile stabilen Halt. Die Dicke der Schraube kann der Chirurg je nach anatomischem Bedarf aus vier verschiedenen Durchmessern wählen. „Mit der SharkScrew® wird extrem materialschonend umgegangen – manchmal kann mit einer Schraubenlänge auch zweimal gearbeitet werden. Oft wird wirklich nur der Schraubenkopf verworfen.“ Ein ethisch einwandfreier, sparsamer Umgang mit dem post mortem-Spenderknochen hat für Pastl höchste Priorität.

Stolz auf Österreich

Im Jahr 2016 gründete Pastl zusammen mit dem Chemiker Stefan Doboczky die Surgebright GmbH, die als österreichische Gewebebank zertifiziert ist. Kooperationspartner für die Herstellung der Schrauben sind die TU Graz und das Deutsche Institut für Zell- und Gewebeersatz DIZG. Zugelassen ist das Endprodukt in Österreich und der Schweiz; in Deutschland läuft ein entsprechendes Verfahren.

Die schwierigsten Etappen von der Idee bis zum fertigen Produkt waren für Pastl die Weiterentwicklung der Schraube, der Aufbau der Gewebebank, aber auch das Finden eines geeigneten Partners. Insgesamt sei er im Zuge der Unternehmensgründung jedoch meist auf offene Türen gestoßen. „Bei den Menschen, die uns weitergeholfen haben, war manchmal fast so etwas wie Stolz zu spüren, einer österreichischen Innovation zum Durchbruch verhelfen zu können.“ Phasen der Ernüchterung gab es trotzdem, wenn unvorhergesehene Schwierigkeiten, aber auch finanzielle Herausforderungen aufgetaucht sind. „Neben der Unterstützung meiner Familie waren es die anhaltenden klinischen Erfolge, die mich stets zum Weitermachen motiviert haben“, erzählt Pastl. Seine beiden Söhne Lukas und Thomas arbeiten mittlerweile ebenfalls für Surgebright, Lukas als Geschäftsführer und Thomas als Marketing-Experte. Positives Feedback bekam der Orthopäde aber auch von nichtmedizinischen Institutionen: 2012 erhielt sein Produkt den ACR-Kooperationspreis (Austrian Cooperative Research) und zwei Jahre danach – ausgewählt aus 3.500 Patenteinreichungen – den Österreichischen Erfinderpreis Inventum in Silber.

Rund 270 Patientinnen und Patienten tragen heute bereits eine vom Team um Klaus Pastl entwickelte Knochenschraube. Weitere Entwicklungen sind in der Pipeline; derzeit arbeitet das bewährte Team an Prototypen für die Fuß- und Kieferchirurgie. Klaus Pastls Faszination und Begeisterung für das „wunderbare, geniale Material“ ist jedenfalls noch lange nicht zu Ende.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 7 / 10.04.2018