Porträt Kai Kummer: Dem chronischen Schmerz auf der Spur

10.06.2018 | Themen


Der Innsbrucker Neurowissenschafter Kai Kummer – er ist noch keine 30 Jahre alt – erhielt den mit 400.000 Euro dotierten Weiss-Preis, um mit seinem Team dem Geheimnis der Chronifizierung von Schmerzen näher zu kommen.

Ursula Jungmeier-Scholz

Rund ein Drittel der Bevölkerung leidet unter chronischen Schmerzen – wobei noch unklar ist, was dazu führt, dass der Schmerz bleibt, selbst wenn die ursprüngliche Irritation des Körpers schon geheilt ist. Einen Beitrag zur Klärung möchte der junge Innsbrucker Neurowissenschafter Kai Kummer leisten. Am Mausmodell versucht er nachzuvollziehen, welche Prozesse im Gehirn – besonders welche Verschaltungen im präfrontalen Kortex – zur Chronifizierung des Schmerzes führen. „Bei unserer Arbeit handelt es sich zwar um klassische Grundlagenforschung. Die Ergebnisse dienen aber nicht nur dazu, den reinen Wissensdurst zu stillen; sie sollen die Basis für neue Therapieansätze bei Schmerzpatienten bilden.“

In seinem aktuellen mit Februar 2018 gestarteten Projekt – Dyn- ChomiR, Dynamische Regulation cholinergener Regelkreise und assoziierte microRNAs im präfrontalen Kortex eines neuropathischen Schmerzmodells – konzentriert er sich auf die Auswirkung von Acetylcholin auf die neuronale Aktivität verschiedener Subgruppen von Nervenzellen. Eine wesentliche Grundlage dazu bilden Daten aus dem EU-Projekt ncRNAPain, das Michaela Kress, Leiterin der Sektion für Physiologie der MedUni Innsbruck, durchführt. Denn Kummer wird sich auch der Frage widmen, wie verschiedene microRNAs Zellaktivitäten modulieren. Dabei ist er durchaus offen für Neben-Erkenntnisse: In einem späteren Versuchsstadium sollen die derzeitigen Standard-Versuche an männlichen Mäusen mit weiblichen Versuchstieren wiederholt werden, um Gender-Effekte zu identifizieren. Weiters behält Kummer im Fokus, wie seine zukünftigen Erkenntnisse auch zur Erforschung anderer neurologischer Erkrankungen beitragen können: „Bei Sucht, Schmerz, aber auch Depression gibt es Überlappungen der Netzwerke der Hirnareale.“

Für sein zukunftsweisendes Projekt erhielt der 29-Jährige kürzlich den mit knapp 400.000 Euro dotierten Weiss-Preis, der seit dem Jahr 2015 alternierend für herausragende Arbeiten von Nachwuchsforschern in den Disziplinen Meteorologie und Anästhesie vergeben wird. Diese ungewöhnliche Kombination ergibt sich aus den beiden Fachdisziplinen des österreichischen Stifter-Ehepaares Weiss: Gottfried Weiss war Direktor des World-Weather-Watch Departments und der Vertreter Österreichs in der World Meteorological Organisation WMO, Vera Weiss eine habilitierte auf Gynäkologie spezialisierte Anästhesistin.

Dass Kai Kummer im Laufe seiner akademischen Karriere als Neurowissenschafter einen Beitrag zur Schmerzforschung leisten würde, war keinesfalls absehbar, als er im Herbst 2006 an der Innsbrucker Universität sein Psychologie-Studium begann. „Ich wollte wissen, wie der Mensch im Geist funktioniert“, umreißt er sein ursprüngliches Erkenntnisinteresse. „Da schien mir die Psychologie am nächsten dran zu sein.“ Zwar verspürte er relativ früh auch eine Affinität zur Medizin und vollendete sogar den ersten Studienabschnitt. „Beide Studien parallel zu führen, war mir aber letztlich zu zeitintensiv. Weil ich in Psychologie deutlich weiter fortgeschritten war, habe ich mich dann auf diesen Abschluss konzentriert und bin über die Psychologie dann doch noch im medizinischen Bereich gelandet.“ Anknüpfungspunkt war seine Diplomarbeit auf dem Sektor der Suchtforschung, die am Rattenmodell gezeigt hat, inwieweit sich Kokain-Abhängigkeit durch soziale Interaktion abschwächen lässt. Für seine Dissertation über neuronale Signalverarbeitung experimentierte Kummer neuerlich an Nagetieren, wechselte dazu aber bereits an die Medizinischen Universität. Seit seiner Promotion vor drei Jahren ist Kummer nun als Universitätsassistent an der MedUni Innsbruck tätig.

Optogenetische Verfahren

Sein Alltag ist geprägt von hochkonzentrierter Laborarbeit, die er im Team mit Molekularbiologen und Elektrophysiologen abwickelt. Auch Kummer selbst führt elektrophysiologische Ableitungen durch, wertet Sequenzierungsdaten aus und entwickelt daraus Modelle. Dabei entstehen nebenbei auch immer wieder neue Projekt-Ideen.

Um die Verschaltungen in Mäusegehirnen sichtbar zu machen, verwendet das Team von Kummer optogenetische Verfahren, bei denen Licht-sensitive Ionenkanäle aus Algen in tierische Zellen verpflanzt werden können, um diese Zellen durch Licht aktivieren oder hemmen zu können. Da die gewonnenen präparierten Maus-Hirnschnitte auch in optimaler Umgebung in Zuckerlösung und bei bestmöglicher Sauerstoffversorgung nur vier bis acht Stunden überleben, hat Effizienz für Kummer höchste Priorität. „Wir arbeiten über Stunden äußerst konzentriert.“ Auch aus ethischen Gründen versucht er, aus einem Präparat möglichst viele Erkenntnisse zu gewinnen. Zwar möchte Kummer die Schmerzforschung noch länger in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellen, würde jedoch eine Verlagerung hin zu in vitro-Modellen präferieren.

Labor, Forschungsgruppe, Professur

Seinen Antrieb für die langen Labortage gewinnt Kummer aus der Sinnhaftigkeit seines Tuns; schließlich geht es darum, Schmerzpatienten künftig besser helfen zu können. Für seine akademische Karriere hat er sehr konkrete Pläne: Das derzeitige Projekt, das er über den Weiss-Preis finanziert, soll über drei Jahre laufen. Parallel dazu möchte er sich habilitieren und danach strebt er einen Wechsel an eine der Top-Universitäten an der Ostküste der USA an. „Eigene Forschungsgruppe, eigenes Labor und eine Professur“, zählt Kummer seine Ziele ohne Zögern auf, so wie andere „Haus, Hund und Familie“ sagen. Die nötige Erfahrung in der Lehre bringt er schon mit: Er unterrichtet Medizinstudenten in Humanphysiologie; daneben ist er Lektor am Management Center Innsbruck.

Für seine Hobbys bleibt da immer weniger Zeit. In seiner Jugend hatte er sich intensiv – bis zur Wettbewerbsreife – der klassischen Klarinette gewidmet; für sein persönliches Vergnügen spielt er heute noch Ukulele, Gitarre, E-Bass und Cello. Öffentlich tritt er allerdings nicht mehr auf. „Man kann nicht auf allen Hochzeiten gleich gut tanzen. Und ich mache keine halben Sachen – dann lasse ich es lieber gleich.“ Auch der Sport ist seit einigen Jahren hinter das berufliche Engagement in den Hintergrund geraten. „Die Neurowissenschaften sind ein so vielfältiger Bereich, dass einem dabei nie langweilig wird, da braucht es eigentlich gar keinen Ausgleich dazu“, erklärt Kummer. „Ich kann richtig darin aufgehen.“ Selbst die Wochenenden nutzt er zur Weiterbildung, wobei er sich gerne mit angrenzenden Wissensgebieten wie Gedächtnis- und Alzheimer-Forschung beschäftigt. Die zeitintensive Weiterbildung, so betont er, bringe keine Überbelastung, sondern übe durchaus beruhigende und belohnende Effekte auf ihn aus. Und damit kennt er sich aus: Schließlich waren es genau jene belohnenden Effekte, die er schon im Rahmen seiner Diplomarbeit untersucht hat.

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 11 / 10.06.2018