Porträt Joszéf Széles: Erfinder am N. vagus der Zeit

10.10.2018 | Themen


Mit der aurikulären Vagus-Stimulation lassen sich Schmerzen bekämpfen und die Durchblutung kann gefördert werden. Für diese Innovation hat Chirurg Joszéf Széles allein dieses Jahr schon drei Preise gewonnen.
Ursula Jungmeier-Scholz

Sie ist um die 80 Jahre alt, schmerzfrei und geht joggen. Als besagte Dame vor sieben Jahren zu Joszéf Constantin Széles in Behandlung gekommen war, hatte sie livid verfärbte Beine, trug orthopädische Schuhe und kämpfte mit starkem Ruheschmerz. Auch ihre Schwes-ter hatte an PaVK gelitten; eine Operation hatte die Situation nur verschlimmert. Also suchte die Patientin eine alternative Behandlungsform und landete beim Chirurgen Széles, der eine ganz spezielle Methode zur Durchblutungsförderung anwendet: die aurikuläre Nervus vagus-Stimulation. Damit lässt sich Schmerz bekämpfen und die Durchblutung fördern. Für seine jüngste Neuentwicklung des Stimulationsgerätes namens AuriMod® wurde Széles vor kurzem mit dem Pioneers18 Start-up-Award ausgezeichnet. „Was dieses Gerät von seinen Vorgängern unterscheidet, ist die Ausstattung mit Sensoren, die eine individualisierte Stimulation ermöglichen“, erklärt Széles. Über eine Handy-App werden laufend Daten gesammelt, an Hand derer die Therapie den persönlichen Erfordernissen angepasst wird.

Feine Titannadeln

Das Grundprinzip der elektrischen N. vagus-Stimulation in der Ohrmuschel, um eine Parasympathikus-Reaktion hervorzurufen, wendet Széles bereits seit Jahren an – zunächst in der Spezialambulanz für Wundchirurgie und perioperative Schmerztherapie am Wiener AKH. Dafür benutzt er ein Gerät, das bequem hinter dem Ohr platziert wird und über feine Titannadeln elektrische Impulse an die Nervenenden weitergibt. Bisher in der „universal frequency“, wie es Széles ausdrückt, von einem Hertz – und in seiner neuesten Form in Frequenz und Stärke angepasst an die aktuelle physiologische Situation des Patienten. „Da die Stimulationswahrnehmung von Mensch zu Mensch verschieden ist, wird auch eine unterschiedliche Stärke als angenehm empfunden.“ Die Stimulation soll deutlich und wohltuend zu spüren sein.

Rebell Széles, dessen Karriere nicht gerade klassisch verlaufen ist, kämpfte im Laufe der Zeit nicht nur mit der Finanzierung seiner Erfindungen, sondern auch mit fachlichem Gegenwind. Was er sich vorgenommen hat, zieht er trotzdem unermüdlich durch. Für 2019 plant er seine Habilitation. Auch hat er aktuell in J.B. Carlson einen US-amerikanischen Investor gefunden, mit dem er seine Erfindung auch in Übersee vertreiben möchte.

Die Karriere von Széles war schon bisher durch ungewöhnliche Etappen gekennzeichnet, also erscheint die jetzige Entwicklung nur die logische Fortsetzung seines bisherigen Werdeganges zu sein. Nach Österreich kam der gebürtige Ungar im Jahr 1963 mit zehn Jahren – eingemauert in einen präparierten Wohnwagen, ohne Deutschkenntnisse und ohne soziales Netz abseits der vierköpfigen Kernfamilie. Die Eltern kauften schließlich in Wien ein kleines Hotel, das bis vor wenigen Jahren im Familienbesitz blieb. Sohn Joszéf Constantin, der Zweitgeborene, war der klassische Machertyp. Rockstar, Autorennfahrer oder Arzt wollte er werden. Oder Erfinder. „Ich war ein sunny boy – alles easy going.“ Doch zunächst half er im Hotel mit, wobei er gleich die Gelegenheit ergriff, um zusammen mit einem Kumpel in jenem Jahr, als Lavazza Sponsor des Ski-Weltcups in Österreich war, die Generalvertretung für Österreich zu übernehmen. „Da waren wir als VIPs bei allen Rennen dabei.“ Ständig lockten neben dem mittlerweile begonnenen Medizinstudium neue Projekte – der Handel mit Gold und Edelsteinen, ebenso auch mit Textilien. Später war Széles Mit-Entwickler eines auf Messtechnik basierenden Sicherheitssystems für Atomkraftwerke. Im Bereich der Medizin vertiefte er sich während des Studiums in die Anatomie, war Demonstrator am Institut und bekam auch die Möglichkeit, Ohren zu sezieren – eine wichtige Basis für die Kreation seiner aurikulären Stimulationsmethode.

Weiterentwicklung im Team

Als er sich einmal in Zeiten einer Projektflaute in einer August-Nacht zurückzog, „um etwas zu erfinden“, entstanden aus seinen Visionen Grundlagen für die Weiterentwicklung von bildgebenden Verfahren ebenso wie der Initialgedanken für die aurikuläre Stimulation. Später gelang es ihm, die Vater-Pacini-Tastkörperchen in vivo darzustellen, die ihm durch ihre Vibrationsempfindlichkeit für die Stimulation ideal zu sein schienen. Beim Setzen der Elektroden, das derzeit wöchentlich mit einem neuen Gerät erfolgen muss, orientiert er sich am Verlauf der Blutgefäße, die er in speziellem grünem Licht sichtbar macht. „Wir stimulieren dabei nicht die Akupunkturpunkte, sondern spezielle Bereiche, die der Nervus vagus versorgt“, betont Széles. Zur Vermarktung seiner Medizinprodukte gründete er mehrere Unternehmen, zuletzt im Jahr 2015 SzéleSTIM zum Vertrieb von AuriMod®, jenem Produkt, für das er gemeinsam mit seinem Team allein im Jahr 2018 drei Preise gewonnen hat: Neben dem Pioneer18 Startup-Preis auch die Wiener #glaubandich-Challenge der Erste Bank und die TechSauce Global Summit in Bangkok.

An der Entwicklung beteiligt ist seit zwölf Jahren auch der Leiter des Instituts of Electrodynamics, Microwave and Circuit Engineering, Eugenijus Kaniusas von der Forschungsgruppe für Biosensorik der TU Wien und seit ein paar Jahren auch dessen Assistent Stefan Kampusch. Der Sohn von Széles – Dorian –, ist für Marketing und Vertrieb zuständig. Ganz in der Tradition des Vaters macht er den Job neben seinem Biologie-Studium. Zwei Diplomanden am AKH werten derzeit die von Széles gesammelten klinischen Daten aus, denn als evidenzbasiert kann man seine Methode derzeit noch nicht bezeichnen. Trotzdem hält Széles fest, dass von den Tausenden Patientinnen und Patienten, die er im Laufe der Jahre in seiner AKH-Spezialambulanz behandelt hat und die alle Indikationen zu Amputationen hatten, letztlich nur ganz wenige einen Körperteil verloren haben.

Nicht-pharmazeutische Schmerzlinderung

Eine schmerzlindernde Wirkung der Methode, zum Beispiel bei chronischem Rückenschmerz oder nach Operationen, konnte in einigen klinischen Studien bereits nachgewiesen werden. Erste Beobachtungsstudien bestätigen den klinischen Effekt und zeigen eine durchblutungsfördernde Wirkung der Stimulation. Es sollen nun weitere Herausforderungen im Bereich des nicht-medikamentösen Schmerzmanagements getestet werden. Széles hat sich zum Ziel gesetzt, auch perioperative Schmerzen mit seiner Methode zu bekämpfen – speziell bei Personen, die sich in kurzen Abständen mehreren kleineren Operationen unterziehen müssen und sonst häufigen Narkosen ausgesetzt wären. Neben dem Akutschmerz versucht er, die Anwendung bei chronischen Schmerzen weiter zu erforschen und diese nicht-pharmazeutisch zu lindern etwa bei Migräne. 

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 19 / 10.10.2018