Lindau: Tagung der Nobelpreisträger

15.08.2018 | Themen


Insgesamt 39 Nobelpreisträger und 600 Nachwuchs-Wissenschafter aus aller Welt haben sich zum Austausch bei der diesjährigen Nobelpreisträgertagung in Lindau getroffen. Damit soll der Austausch zwischen Wissenschaftern unterschiedlicher Generationen, Kulturen und Disziplinen gefördert werden.

Bereits zum 68. Mal haben sich in Lindau am Bodensee Nobelpreisträger und Jung-Wissenschafter zum Austausch getroffen. Der Leitgedanke: Wissenschaftliche Beweise als Antwort auf Fake News. Die diesjährige Tagung befasste sich schwerpunktmäßig mit der Forschung zur inneren Uhr, der personalisierten Medizin, der Gentechnik sowie der wissenschaftlichen Publikationspraxis im „postfaktischen“ Zeitalter. Die Tagung selbst stellte heuer gleich zwei Rekorde auf: Noch nie haben in der Geschichte ihres Bestehens so viele Nobelpreisträger teilgenommen und noch nie war das Teilnehmerfeld mit 84 Herkunftsländern so vielfältig.

In der Eröffnungsrede rief die deutsche Bildungsministerin Anja Karliczek angesichts „postfaktischer“ Praktiken Wissenschafter und Wissenschafterinnen auf, sich verstärkt und besser zu erklären. „Gerade in Zeiten einfacher Antworten und falscher Nachrichten möchte ich die Stimme der Wissenschaft deutlich hören. Ihre Arbeit muss relevant für die Menschen sein, aber Forscher und Wissenschaftlerinnen müssen auch hinaus in die Welt und ihr Wissen und ihren Enthusiasmus mit anderen Menschen teilen. Lindau setzt dafür Jahr für Jahr ein Zeichen, das heute wichtiger ist denn je. Laureaten und Nachwuchsforscherinnen und Nachwuchsforscher sind Botschafter des Wissens in einer freien Gesellschaft, die sich nicht von falschen und populistischen Nachrichten beirren lässt.“ Hochrangige Gäste aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik waren bei der Eröffnung anwesend; Österreich war durch Wissenschaftsminister Heinz Faßmann vertreten. 

Gastgeberin Bettina Gräfin Bernadotte, Präsidentin des Kuratoriums für die Tagungen der Nobelpreisträger in Lindau, appellierte in ihrer Begrüßung an die Wissenschafter, mittels offenen Dialogs mit der Gesellschaft und verständlicher Kommunikation Fehlinformationen abzuwehren. „Wir müssen den Wert der Wissenschaft als Anker in einer unruhigen Welt hervorheben. Ziel muss es sein, diesen Wert sowohl der breiten Öffentlichkeit als auch den politischen Entscheidungsträgern verstärkt nahezubringen.“ Die Lindauer Tagung sei als Dialog- und Austauschforum genau dazu prädestiniert.

Die Lindauer Ärzte Franz Karl Hein und Gustav Wilhelm Parade haben die Idee zu dieser Konferenz mit Nobelpreisträgern an Lennart Graf Bernadotte af Wisborg herangetragen. Dieser hatte als ein Enkel von König Gustav V. von Schweden hervorragende Kontakte nach Stockholm. Seine Bemühungen führten schließlich dazu, dass sich sieben Nobelpreisträger bereit erklärten, an der ersten „Europa- Tagung der Nobelpreisträger“ im Jahr 1951 teilzunehmen. Seither findet die Nobelpreisträgertagung jährlich statt und ist abwechselnd den Nobelpreis-Disziplinen Physiologie oder Medizin, Physik und Chemie gewidmet. 1953 entschloss man sich dazu, auch Studierende, Doktoranden und Post-Doktoranden zu diesen Treffen einzuladen. Seit 2004 findet außerdem in einem dreijährigen Turnus die Lindauer Tagung der Wirtschaftswissenschaften statt.

Die Tagung selbst umfasst Plenarvorträge ebenso wie Podiumsdiskussionen und zahlreiche soziale Veranstaltungen mit der Möglichkeit zum Networking. Für die Teilnahme müssen Nachwuchswissenschafter ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen. Bewerben können sich Studenten, Doktoranden und Post-Docs unter 35 Jahren, die zu den besten ihres Jahrgangs gehören und noch keine feste Anstellung haben. Bisher haben insgesamt rund 30.000 Studenten im Laufe der Jahre teilgenommen. AM

Lindauer Nobelpreisträgertagung

Wer es bis nach Lindau schaffte, traf dort in diesem Jahr auf 39 Nobelpreisträger aus den Bereichen Physiologie und Medizin. Ihre wissenschaftlichen Vorträge bildeten den Schwerpunkt des sechstägigen Programms (dessen offizielle Kongresssprache Englisch war). Daneben gab es unter anderem auch sogenannte Agora Talks, in denen Laureaten den Zuhörern Frage und Antwort standen und Science Walks mit wenigen handverlesenen Teilnehmern und einem Laureaten. Zudem präsentierten die Nachwuchswissenschaftler ihre eigene Forschung in Poster Flashes und Master Classes vor den Laureaten. Auch drei frischgebackene Nobelpreisträger von 2017 nahmen teil: Der deutsch-amerikanische Chemiker Joachim Frank, der den Nobelpreis für seine Beiträge zur Kryo-Elektronenenmikroskopie erhielt, sowie die Biologen Michael Rosbash und Michael Young, die für ihre Forschung zur inneren Uhr ausgezeichnet worden waren. – Und was trieb die Forscher an? – Für Rosbash ist die Antwort leicht: „Die Grundlage aller wissenschaftlichen Forschung sind Neugier und Zweifel. Allerdings ist es heutzutage sehr schwierig, als Wissenschaftler durchschlagenden Erfolg zu haben. Deswegen ist Neugier wohl umso wichtiger.“ – Und wie verändert der Nobelpreis das eigene Dasein? Rosbash antwortet trocken, dass er bislang ein sehr entspanntes Forscherleben geführt habe. „Aber seit Stockholm muss ich mich häufig auch nach dem Abendessen noch an den Schreibtisch setzen.”

Neben dem wissenschaftlichen Austausch bei offiziellen Programmpunkten begegnen sich die Teilnehmer auch bei zahlreichen Social Events. Jeder trägt ein farbiges Bändchen als Erkennungszeichen um den Hals. Klar, dass sich zu jeder Tages- und Nachtzeit große Menschentrauben um die Laureaten mit blauen Bändchen bilden. Zunächst begegnen die Youngster den gestandenen Wissenschaftlern ehrfürchtig, doch je länger die Tagung andauert, desto eher geht es neben dem Fachlichen auch um Privates und vor allem um Ratschläge, wie man seine wissenschaftliche Laufbahn am besten voranbringt: Nicht zuletzt ist das Lindau Nobel Laureate Meeting auch eine gigantische Kontakt- und Jobbörse: Das 300-seitige Teilnehmerverzeichnis zeigt alle Nachwuchswissenschaftler im Bild und beschreibt individuelle Forschungsschwerpunkte und -motivationen. So manche Karriere ließ sich in Lindau schon zielgerichtet boostern.

Natürlich kann die Wissenschaft sich nicht auf ihre Labore beschränken, sondern muss beispielsweise auch mit politischen Rahmenbedingungen klarkommen: In einer Veranstaltung fiel der Name von Donald Trump ein gutes Dutzend Mal. Kein Wunder, ging es in der Session doch um die „Wissenschaft in einer postfaktischen Welt“. Dabei war für Peter C. Doherty (1996 ausgezeichnet für die Entdeckung, wie das Immunsystem virusinfizierte Zellen erkennt) klar: „Wir sind keine Trumps! Wir können nicht jeden Morgen eine neue Realität erfinden, wenn wir aufstehen!“ Wissenschaft sei exakt und müsse sich künftig mehr nach außen öffnen, unter die Leute gehen, mit den Nachbarn und mit den Menschen in der Kneipe sprechen.

Dazu trug einmal mehr auch die Lindauer Tagung bei: Ihr einzigartiger Spirit wird inzwischen nicht nur verstärkt national und international wahrgenommen, sondern vor allem auch in der unmittelbaren Nachbarschaft: Viele Bürger aus der Umgebung bieten den Nachwuchsforschern eine kostenfreie Unterkunft bei sich Zuhause und unterstützen sie bei der An- und Abreise. So entstehen häufig lebenslange Freundschaften zwischen dem Städtchen am Bodensee und der weiten Welt der wissenschaftlichen Forschung. Eine wunderbare Perspektive für die Zukunft der Wissenschaft im Allgemeinen und der Medizin im Besonderen.

Mit freundlicher Genehmigung von: Ärzteblatt Baden-Württemberg/ Chefredakteur Dr. med. Oliver Erens

www.lindau-nobel.org

© Österreichische Ärztezeitung Nr. 15-16 / 15.08.2018